Frauen verdienen weniger als Männer – über diese Ausgangslage sind sich die Parteien einig. Nicht jedoch darüber, was dagegen getan werden kann. Der konkreteste Vorschlag kommt von der SPD: Die Betriebe sollen die Gehälter regelmäßig selbst überprüfen. Zu viel Bürokratie, die am Ende nichts bringt, meint ein Arbeitsrechtler von der Uni München. Mehr Kitaplätze wären sinnvoller.
In Deutschland verdienen Frauen im Schnitt 22 Prozent weniger als Männer. Daran hat sich seit 1995 nichts geändert. Die Zahl liegt weit über der europäischen Durchschnittsdifferenz von 16 Prozent. Schlimmer ist es nur in Österreich, Tschechien und Estland. Allerdings gibt die 22 die unbereinigte Lohnlücke wieder, bei vergleichbarer Tätigkeit und Qualifikation liegt der Unterschied nur bei etwa sieben Prozent. Die Zahlen stammen vom Statistischen Bundesamt, politisch sind sie weitgehend unumstritten.
Die Parteien streiten sich eher darüber, was sie dagegen tun sollten. Die SPD will mit einem Entgeltgleichheitsgesetz die Betriebe verpflichten, Lohndiskriminierung von Frauen aufzudecken und zu beenden. Bei Untätigkeit sollen die Unternehmen sanktioniert werden. Auch die Grünen setzen sich für ein Entgeltgleichheitsgesetz ein.
Die Union unterstützt laut ihrem Wahlprogramm die Durchsetzung des Anspruchs von Frauen auf gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit. Sie will prüfen, ob gesetzliche Transparenzpflichten eingeführt werden sollten, um die Entgeltgleichheit mit Männern zu erreichen. Die Linke fordert ein Gleichstellungsgesetz, das Unternehmen verpflichtet, Gleichstellungsmaßnahmen einzuführen, wenn Frauen oder Männer in Bezahlung, Aufstieg und Verantwortung benachteiligt werden. Der FDP scheinen all diese Überlegungen so dubios zu sein, dass sie sich gar nicht erst zur Entgeltgleichheit äußert.
Arbeitnehmer tragen Beweislast für Diskriminierung
Rechtlich können sich Frauen schon heute wehren, wenn sie weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen und meinen, dass es dafür keine sachlichen Gründe gibt. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz (GG) sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Der Staat ist verpflichtet, diese Gleichberechtigung zu fördern.
Das gilt auch für das Arbeitsentgelt, wie § 2 Abs. 1 Nr. 2 des Allgemeinen Gleichheitsgesetzes feststellt. Die EU sieht das genauso. Gemäß Art. 157 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU hat jeder Mitgliedstaat sicherzustellen, dass Männer und Frauen für eine gleichwertige Arbeit ein gleiches Entgelt bekommen.
Aber wer verklagt schon gerne seinen Arbeitgeber, solange das Arbeitsverhältnis noch andauert und möglichst fortgeführt werden soll? Außerdem trägt die Arbeitnehmerin die Darlegungs- und Beweislast für die Diskriminierung.
Experte: "Helfen würden eher mehr Kitaplätze"
Im Februar diskutierte der Familienausschuss des Bundestags mit Experten einen entsprechenden Gesetzentwurf der SPD für ein Entgeltgleichheitsgesetz. Es soll Arbeitgeber mit mehr als 15 Beschäftigten verpflichten, regelmäßig die Entgeltgleichheit in ihrem Betrieb nach einem zertifizierten Verfahren zu überprüfen und ungleiche Bezahlungen gegebenenfalls zu beseitigen. Kommen sie dieser Pflicht nicht nach, kann ein Bußgeld verhängt werden – bis zu 500.000 Euro. Tarifverträge soll die Antidiskriminierungsstelle des Bundes auf Entgeltgleichheit überprüfen, wenn es dafür einen Anlass gibt.
Der Münchner Juraprofessor Martin Franzen war als Sachverständiger bei der Anhörung im Bundestag dabei. Er glaubt nicht, dass ein Entgeltgleichheitsgesetz etwas an der ungleichen Bezahlung von Männern und Frauen ändern wird.
"Dass Frauen offen wegen ihres Geschlechts weniger Geld bekommen, das gibt es heute nicht mehr wirklich." Diskriminierungen seien eher mittelbar. "Wenn die Höhe des Lohns etwa an die Körperkraft anknüpft, dann wäre das ein neutrales Kriterium, das aber faktisch Frauen benachteiligt." Aber auch solche Kriterien seien in der heutigen Dienstleistungsgesellschaft eigentlich überwunden.
Die Ursachen für die Lohnlücke sieht der Arbeitsrechtler eher in anderen Bereichen. Frauen arbeiteten häufiger in Branchen, in denen weniger gezahlt wird. Außerdem belegten die Zahlen des Statistischen Bundesamts, dass die Lohnlücke erst bei Arbeitnehmern ab 30 Jahren auftauche. "Und was ist dafür wohl der Grund? Natürlich die Familiengründung." Solche Umstände hätten aber mit einer Ungleichbehandlung im Rechtssinn nichts zu tun. Deshalb könnten sie auch nicht mit rechtlichen Instrumenten beseitigt werden, meint Franzen. "Helfen würden da eher mehr Kitaplätze."
2/2: SPD-Vorschlag verstößt nicht gegen GG
Für verfassungswidrig hält Franzen den Gesetzentwurf der SPD allerdings nicht. Die Unternehmerfreiheit sei nicht unbedingt verletzt, "auch wenn natürlich jede Dokumentationspflicht Kosten produziert und den Unternehmer davon abhält, sich seinem eigentlichen Geschäftszweck zu widmen."
Geht es um Löhne, die von Tarifpartnern ausgehandelt worden sind, schränkt der Gesetzentwurf die Tarifautonomie ein, die das Grundgesetz allerdings auch nicht schrankenlos gewährleistet. Der Gesetzentwurf der SPD gibt den Tarifvertragsparteien außerdem die Möglichkeit, die Entgelte vorrangig selbst genauer zu überprüfen, wenn die Antidiskriminierungsstelle Anhaltspunkte für eine Ungleichheit festgestellt hat. Den Sachverständigen komme dabei eine sehr mächtige Stellung zu. "Inwieweit ihre Einschätzungen gerichtlich überprüft werden können, klärt der Gesetzentwurf aber nicht", so Franzen.
SPD: Arbeitnehmer müssen Auskunft über Verdienst geben dürfen
Unter dem Motto "Mehr Lohntransparenz im Betrieb" enthält der Gesetzentwurf der SPD noch eine weitere interessante Vorschrift. Arbeitnehmer sollen nicht dazu verpflichtet werden dürfen, keine Auskunft über das eigene Entgelt zu geben.
"Solche Klauseln sind in Arbeitsverträgen recht üblich, sie würden einer AGB-Kontrolle aber nicht standhalten", meint Franzen. Arbeitnehmer könnten solche Verpflichtungen nämlich unter Umständen gar nicht erfüllen. Gegenüber ihrem Vermieter oder ihrer Bank müssen sie häufig nämlich Auskunft über ihr Einkommen geben. "Die Klausel würde sie dann unangemessen benachteiligen."
Das sah auch das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern so. Eine Verschwiegenheitsklausel hindere Arbeitnehmer daran, Verletzungen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz erfolgreich geltend zu machen. Die einzige Möglichkeit einen Verstoß festzustellen, sei nämlich das Gespräch mit den Kollegen. Darüber hinaus verstoße das Verbot gegen die Koalitionsfreiheit, wenn auch Mitteilungen über die Lohnhöhe an eine Gewerkschaft verboten seien. Sinnvolle Arbeitskämpfe gegen ein Unternehmen seien nämlich nicht möglich, wenn die Gewerkschaften keine Informationen über die Lohnstruktur haben (Urt. v. 21.10.2009, Az. 2 Sa 183/09).
Umgehungsmöglichkeiten eher gering
Es sind eher die praktischen Auswirkungen, die Franzen an dem Entgeltgleichheitsgesetz der SPD bemängelt. "Eine solche Regelung würde dazu führen, dass die Gewerkschaften in Tarifverhandlungen keinerlei Anreiz mehr hätten, selbst für eine Entgeltgleichheit zu kämpfen. Sie könnten sich ja darauf verlassen, dass dies am Ende die Gerichte für sie tun." Die Arbeitgeber würden sich dadurch in einer ungleichen Verhandlungsposition wiederfinden.
Obwohl die SPD betont, dass sich der Staat auch nach ihren Plänen so weit wie möglich zurückhalten soll, befürchtet der Arbeitsrechtler, dass ein System, wie es die Sozialdemokraten vorschlagen, zu mehr Bürokratie führen würde. "Das Verfahren schafft eine Überprüfungsindustrie."
Die Möglichkeiten der Arbeitgeber, die Regelungen zu umgehen, schätzt Franzen dagegen eher gering ein. "Ich denke nicht, dass es den Unternehmen regelmäßig gelingen würde, Gründe für ein ungleiches Entgelt darzulegen, das eigentlich nicht gerechtfertigt ist." Das Problembewusstsein sei mittlerweile außerdem so stark, dass Arbeitgeber eine ungleiche Bezahlung eigentlich von selbst zu vermeiden suchten.
"Ein Entgeltgleichheitsgesetz ist gut gemeint, würde aber nicht viel bringen – außer Bürokratie." Freuen würden sich darüber sicherlich die Rechtsberater – aber das sei ja nicht Sinn der Sache.
Claudia Kornmeier, Wahlprogramme – Teil 4: Gleiches Geld für gleiche Arbeit . In: Legal Tribune Online, 10.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9327/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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