Geklauter CSU-Slogan "Söder macht's": Die freie Mei­nung in Zeiten des digi­talen Wahl­kampfs

von Pia Lorenz

22.08.2018

Für die gebeutelte Bayern-SPD ist es ein Coup: Sie sicherte sich eine Domain, mit deren Wortfolge die CSU Wahlkampf macht. Aber muss eine Partei sich gefallen lassen, dass sie ausgerechnet dort kritisiert wird, wo man ihre eigenen Inhalte erwartet?

Politisch gesehen hat die Bayern-SPD mit der Domain "soeder-machts.de" einen Coup gelandet. Der, politisch gesehen, bloß der Schlafmützigkeit des CSU-Wahlkampfteams geschuldet ist. Das hatte es nämlich versäumt, sich bei Beginn der von ihm initiierten Nutzung des Hashtags #soedermachts auch die dazu passende Domain zu sichern.

Und so erscheinen unter dem Schlagwort, mit der die CSU eigentlich Tatkraft und Schlagkräftigkeit des Spitzenkandidaten demonstrieren wollte, nun bei Aufruf der Webseite soeder-machts.de jede Menge Dinge, die der CSU-Chef tut – allerdings aus Sicht der SPD-Konkurrenz in Bayern: Öffentliche Wohnungen an private Investoren verkaufen und damit Mietern schaden, ein verfassungswidriges Polizeigesetz durchs Parlament peitschen, Polizisten vom Dienst auf der Straße abziehen, um sie an der Grenze einzusetzen oder ertrinkende Menschen im Mittelmeer als "Asyl-Touristen" bezeichnen. Und darunter, natürlich, findet sich, was der Freistaat nach Ansicht der dortigen SPD wirklich braucht: bezahlbaren Wohnraum, mehr Unterstützung für Familien, Fairness auf dem Arbeitsmarkt.

Die Reaktionen der CSU fallen bislang eher eingeschnappt als schlagfertig aus: Das Wahlkampfteam versuchte den Hashtag #diespdmachtnix zu prägen. Und mit dem Hinweis, dort finde man seriöse Politik statt Klamauk, nutzt es nun den Hashtag #derechtesoedermachts - offenbar ohne Sinn für die nicht nur auf bayerisch naheliegende (Ver-)Lesart "de' (r)echte Söder macht's".

Auf Nachfrage von LTO erklärte ein Sprecher der Bayern-CSU, man werde eine Gegenkampagne starten. Juristisch aber werde die CSU gegen die Aktion nicht vorgehen. Dabei wäre das für die Rechtsfortbildung wirklich spannend.

Kritik auf einer Webseite, die dem Kritisierten zugerechnet wird

Immerhin vertrat der Kölner Medienrechtler Christian Solmecke im ARD-Morgenmagazin recht klar die Auffassung, dass die CSU wohl erfolgreich einen Unterlassungsanspruch geltend machen könnte. Und erst in der vergangenen Woche hat das Oberlandesgericht (OLG) Köln einen Hinweisbeschluss in einem Rechtsstreit zwischen der Alternative für Deutschland (AfD) und einem Berliner Blogger erlassen. Der im Berufungsverfahren befasste Senat hat vor, die Berufung des Bloggers Nathan Mattes ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen: Unter der Domain wir-sind-afd.de müsse die AfD sich seine Kritik nicht gefallen lassen, meinen die Kölner Richter, die Mattes dazu verurteilen wollen, die Domain löschen zu lassen.

Wie schon nach Meinung des Landgerichts Köln (LG) hat auch nach Ansicht des OLG die AfD ein schutzwürdiges Interesse daran, dass ihr Name nicht gebraucht wird, um gegen sie Stimmung zu machen. "Sie braucht es sich nicht gefallen zu lassen, dass durch den Gebrauch ihres Namens in einer Domain zunächst der Irrtum hervorgerufen wird, die unter der Domain betriebene Homepage stamme von ihr, damit sie alsdann auf der unter dieser Domain betriebenen Webseite kritisiert wird", heißt es im Hinweisbeschluss des OLG.

Das OLG stellt dabei auf das Namensrecht der Partei ab und sieht die für eine Verwechslungsgefahr maßgebliche Zuordnungsverwirrung auch im Layout in den Parteifarben, in den auf der Seite aufgelisteten Zitaten von Afd-Politikern und in der Wir-Form in der Domain begründet. Nun ist der Name von Markus Söder etwas anderes als der – neben § 12 BGB auch vom Grundgesetz geschützte – Name einer Partei; das Layout der Seite "soeder-machts.de" ist weniger stark an das der CSU angelehnt und die Inhalte sind ziemlich eindeutig auf den ersten Blick nicht der CSU zuzurechnen, auch wenn die SPD sich erst nach kurzem Scrollen als ihre Urheberin zu erkennen gibt.

Aber würde das ausreichen, um die zivilrechtliche* Bewertung der Nutzung einer Domain zu verändern, die vom Verkehr ersichtlich einer Partei zugerechnet wird, um ebendiese Partei zu kritisieren? Warum sollte die CSU sich unter dem Namen ihres Spitzenkandidaten, mit dem sie für sich und ihre Ziele wirbt, mehr Kritik gefallen lassen müssen, als die AfD sich von einem Blogger gefallen lassen muss?

Wieviel Kritik muss eine Partei sich gefallen lassen?

Aus Sicht der Anwältin des Berliner Bloggers ist schon diese Frage falsch. Dr. Miriam Vollmer ist Fachanwältin für Verwaltungsrecht, kommt also nicht aus dem zivilrechtlichen Gewerblichen Rechtsschutz, in dem der Rechtsstreit sich prima facie abspielt. Vollmers Argumentation aber ist verfassungsrechtlicher Art. Sie ist der Auffassung, dass das Zivilgericht in Köln die verfassungsrechtliche Implikation nicht hinreichend gewürdigt hat.

Vor allem die Wirkung von Art. 21 Abs. 1 Grundgesetz interpretiert sie anders als die Kölner Richter, die die Grenzen berechtigter Kritik in den Grundrechten der AfD sehen: Die Domain wir-sind-afd.de beeinträchtige, weil sie den Anschein erwecke, die dort veröffentlichten Inhalte stammten von der Partei, deren durch Art. 21 Abs. 1 Grundgesetz geschützte Aufgabe, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, meint das OLG.

Vollmer argumentiert genau andersherum: "Das OLG Köln stellt sich auf den Standpunkt, eine Partei müsste sich weniger sagen lassen als andere Leute. Wir meinen, dass genau das Gegenteil zutrifft. Schließlich ist der politische Streit deren Geschäft."

Damit spielt sie an auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Das verlangt von Parteien, in Sachen politische Meinungsäußerung vom Gegner einiges hinzunehmen, wenn damit "ein Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage durch einen dazu Legitimierten" geleistet wird; dann spreche die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede, so das BVerfG.

Schließt die Freiheit der Meinungsäußerung auch ihren Ort im Netz ein? 

Allerdings gilt das vor allem im Wahlkampf: Soweit sich politische Parteien im Wahlkampf miteinander auseinandersetzen, ist Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG laut dem BVerfG "für die Zuordnung von Meinungsfreiheit und beschränkenden Gesetzen von wesentlicher Bedeutung: Er verstärkt die Vermutung für die Zulässigkeit freier Rede mit der Folge, dass gegen das Äußern einer Meinung nur in äußersten Fällen eingeschritten werden darf."

Gehört zu dieser geschützten Meinungsäußerung der SPD auch das Recht, ihre Meinung ausgerechnet unter einer Domain zu vertreten, die der CSU zugerechnet wird? Diese Frage ist, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden. Sie – wie das OLG Köln in seinem Hinweisbeschluss zu wir-sind-afd.de –mit dem lapidaren Hinweis darauf zu verneinen, schließlich könne der Blogger seine AfD-Kritik auch woanders im Netz vertreten, dürfte die Reichweite der Meinungsfreiheit jedenfalls klar verkennen.

Hier zeigen sich aber die Unterschiede zwischen den Fällen: Der Blogger hat nicht bloß einen Slogan gekapert, sondern den Namen der AfD. Es geht nicht um Wahlkampf, denn er betreibt die Seite schon seit 2015. Mattes ist auch kein politischer Gegner in dem Sinne, dass er zum Parteienapparat gehörte, sondern er will mit Zivilcourage gegen die Ideen der AfD im Netz aufstehen. Reicht das, damit das BVerfG ihm die Privilegierung zugesteht, einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage zu leisten?   

Die nun von der SPD mit soeder-machts.de aufgeworfene Rechtsfrage wird sich künftig häufiger stellen. Im digitalen Zeitalter werden Wahlen im Internet gewonnen oder verloren. Legt man die Argumentation des BVerfG zugrunde, dass Parteien als "Wahlvorbereitungsorganisationen" eine öffentliche Aufgabe wahrnehmen, die prinzipiell keine inhaltlichen Reglementierungen verträgt, spricht vieles dafür, das clevere Kapern von Domains mit Politslogans des politischen Gegners mindestens im Wahlkampf als zulässiges Mittel anzusehen. Gegen die Nutzung von soeder-machts.de durch die SPD nicht juristisch vorzugehen, ist wohl doch eine gute Idee. Auch wenn es um die Chance zur Rechtsfortbildung wirklich schade ist. 

*Anm. d. Red.: Korrektur am 23.08., 12:!9h

Zitiervorschlag

Geklauter CSU-Slogan "Söder macht's": Die freie Meinung in Zeiten des digitalen Wahlkampfs . In: Legal Tribune Online, 22.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30505/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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