Waffenrecht in den USA: Schär­fere Gesetze eher unrea­lis­tisch

Gastbeitrag von Robert Peres

28.02.2018

Der verheerende Amoklauf an einer High School in Parkland, Florida, bei dem 17 Schüler und Lehrer getötet wurden, hat erneut schmerzlich klar gemacht, dass die USA ein massives Waffenproblem haben. Die Hintergründe erläutert Robert Peres.

Daten des amerikanischen Archivs für Waffengewalt (Gun Violence Archive) belegen, dass an neun von zehn Tagen im Jahr ein sog. "mass shooting" passiert. Als solches werden Ereignisse gezählt, bei denen vier oder mehr Menschen Schussverletzungen erleiden. Anders als nach den vergangenen Anschlägen etwa in Las Vegas oder Orlando scheint allerdings in Teilen der amerikanischen Gesellschaft ein Umdenken einzusetzen, zumindest bei jungen Menschen. Doch woher kommt diese Obsession mit Waffen in Amerika und wie hat sich das Recht dazu entwickelt?

Neben dem individuellen Recht auf Abtreibung ist das Recht auf Waffenbesitz das umstrittenste Recht in den Vereinigten Staaten. Während das Abtreibungsrecht auf Roe v. Wade, eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahre 1973 beruht, geht das Waffenbesitzrecht auf den 2. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika zurück. Dieser wurde am 15. Dezember 1791 verabschiedet und ist Teil des "Bill of Rights", also der absoluten Grundrechte eines jeden US-Bürgers.

Streit über die Auslegung der Verfassung

Wörtlich lautet der 2. Zusatzartikel: "A well regulated Militia, being necessary to the security of a free State, the right of the people to keep and bear Arms, shall not be infringed." ("Da eine wohlgeordnete Miliz für die Sicherheit eines freien Staates notwendig ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden").

Über die Auslegung dieses Artikels wird seit langem gestritten. Waffengegner argumentieren, dass sich der Text nur auf die Bürger erstreckte, die sich seinerzeit in einer Bürgermiliz zusammenschlossen, um sich gegen englische Truppen zu verteidigen. Da es aber heute keine solchen Bürgermilizen mehr gebe, habe lediglich der Staat das Gewaltmonopol.

Die Befürworter des Rechts auf Waffenbesitz verweisen auf die ständige Auslegung durch das höchste Gericht. Bereits 1874 hat der Supreme Court festgestellt, dass es eine direkte Verbindung gibt zum englischen Bill of Rights, in dem der Besitz von Waffen als Naturrecht anerkannt ist. Der Zusatzartikel stelle lediglich fest, das dieses Naturrecht nicht durch Gesetze eingeschränkt werden dürfe, es führe das Recht gar nicht neu ein.

Waffenbesitz ursprünglich als Schutz vor dem Staat

Im Laufe der Zeit beschäftigten sich die obersten Richter immer wieder mit dem Verfassungszusatz aus dem Jahre 1791 (Second Amendment). In der Hauptsache ging es dabei um Fragen, inwieweit der private Waffenbesitz Einschränkungen unterliegen könne und um die Definition einer Waffe im Allgemeinen. Meist nach Anschlägen wurde diskutiert, ob einzelne Bundesstaaten etwa stärkere Kontrollmaßnahmen beim Erwerb einführen dürfen oder ob Schnellfeuerwaffen verboten werden könnten. 1993 unterzeichnete Präsident Bill Clinton den Brady Act, ein Bundesgesetz das erstmalig den Zugang zu Handfeuerwaffen durch Wartezeiten und die Überprüfung des Käufers auf Vorstrafen durch das FBI vorsah. Der Namensgeber des Gesetzes war James Brady, der Pressesprecher von Ronald Reagan, der beim Attentat auf den Präsidenten am 30. März 1981 ebenfalls schwer verletzt wurde.

Der individuelle Waffenbesitz hat in den USA historische Ursachen: Ursprünglich wurde der individuelle Waffenbesitz als Beschwichtigung der antiföderalistischen Kräfte in die Verfassung eingefügt. Damit wurde verankert, dass der Staat die Bürger nicht entwaffnen darf.

Die Geschichte der USA war ein stetiger Eroberungskampf. Der Westen wurde durch Siedler und weniger durch Armeen gewonnen. Daraus leiten viele Amerikaner noch heute ihr Recht ab, sich und ihre Familien mit Waffen zu verteidigen. Gleichzeitig war schon den frühen Amerikanern ein Misstrauen gegen die Obrigkeit eigen. Der Staat, ob in Form der englischen Kolonialisten oder der neu gegründeten Föderation der 13 Gründerstaaten, war vielen suspekt. Bereits damals spaltete sich die Bevölkerung in sog. Federalists und Antiföderalisten. Die Gruppe der Antiföderalisten bekämpfte das von den Verfassungsvätern intendierte Gewaltmonopol des Staates und erreichte, dass Gründervater James Madison, später der 4. Präsident der Vereinigten Staaten, den 2. Zusatzartikel in den Bill of Rights einfügen ließ.

300 Millionen Schusswaffen in den USA

Noch heute beharren insbesondere viele Waffenbesitzer auf dem Land darauf, sich im Zweifel gegen einen Staat wehren zu können, der ihnen ihre Freiheitsrechte entziehen könnte. Dies ist ein eklatanter Gegensatz zum preußisch geprägten Deutschland, wo das staatliche Gewaltmonopol von der Allgemeinheit akzeptiert wird. In den USA gibt es geschätzt etwa 300 Millionen Schusswaffen, also etwa eine pro Einwohner. In Korrelation steht die Anzahl der Tötungsdelikte durch Waffen, die stetig steigt. Von ca. 12.000 im Jahr 2013 bis über 15.000 in 2017. Das bedeutet, dass seit dem denkwürdigen Massaker in Newport vor Weihnachten 2012, bei dem 20 Kinder und 8 Erwachsene erschossen wurden, knapp 70.000 Menschen in den USA durch Schusswaffen zu Tode gekommen sind.

Weitere 140.000 Menschen wurden verletzt. Es kommt, wie eingangs erwähnt, zu etwa 300 sog. "Mass Shootings" im Jahr. Bisher ist eine Reaktion der Politik ausgeblieben. Man ist mit seinen "Gedanken und Gebeten" bei den Opfern und Angehörigen, aber gesetzliche Änderungen werden abgelehnt. Zu stark ist der Einfluss der Waffenlobby der NRA (National Rifle Association), die weiterhin vielen Kongressabgeordneten Millionensummen für ihre Wiederwahl zur Verfügung stellt. Obama konnte nichts ändern, Trump will nichts ändern. Der jetzige Präsident erhielt über 30 Millionen Dollar von der Waffenlobby und hat sich selbst als deren bester Freund bezeichnet.

Dass es anders geht zeigen das Vereinigte Königreich und Australien. Beide Länder wurden im Jahre 1996 von schrecklichen Amokläufen heimgesucht und haben daraufhin ihre Waffenpolitik restriktiv geändert. Jetzt gehören Großbritannien und Australien zu den Ländern mit der geringsten Waffengewalt. Dazu gehören auch Südkorea und Japan. Dennoch behaupten die US Waffenlobby und Politiker weiterhin, dass ein Waffenverbot nichts ändern würde.

Supreme Court wäre gefragt

Die Städte Washington D.C. und Chicago haben versucht, eigene Regelungen zum Waffenbesitz einzuführen, scheiterten aber 2008 (District of Columbia vs. Heller) und 2010 (Macdonald vs. Chicago) jeweils am Supreme Court, das mit knappen Entscheidungen die Restriktionen der Städte aufhob. Die Rechtslage hat sich sogar in einigen Bundesstaaten dahingehend verschlechtert, als nun das offene Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit erlaubt wurde.

Ein wichtiges Element der Debatte bleibt, ob halbautomatische Waffen wie das AR-15 Sturmgewehr verboten werden sollte. Dieser Typ wurde bei allen Blutbädern der jüngsten Zeit verwendet, oft mit einem Zusatzgerät namens "Bump Stock", das ein ständiges Nachladen erlaubt. Damit wird eine AR-15 quasi zu einem vollautomatischen Maschinengewehr.

Ob sich die Entwicklung eines Tages zum Besseren wendet, ist fraglich. Gesetzliche Initiativen der Bundesstaaten oder einzelner Distrikte und Städte landen irgendwann vor dem Supreme Court. Solange dort keine höchstrichterliche Einschränkung erfolgt, wird alles beim Alten bleiben. Das liegt auch am Mehrheitsverhältnis auf der Richterbank. Derzeit überwiegen die konservativen Stimmen mit 5 zu 4.

Verfassungsänderung unwahrscheinlich

Auch wäre natürlich eine Verfassungsänderung denkbar. Wahrscheinlich ist sie jedoch nicht. Denn dafür müsste im Kongress eine Zwei-Drittel-Mehrheit gefunden werden, um etwa den privaten Waffenbesitz auf ganz wenige Menschen zu begrenzen und den Sportgebrauch restriktiver zu regeln. Auf absehbare Zeit wird das nicht gelingen.

Realistischer wären allenfalls einfachgesetzliche Möglichkeiten der Beschränkung: Diese könnten darin bestehen, den Besitz bestimmter halbautomatischer Waffen zu verbieten, behördliche Zuverlässigkeitsüberprüfungen ernsthaft und restriktiv zu handhaben und den Zugriff auf Waffen für Unbefugte massiv zu erschweren.

Ein Mittel wäre auch, private Weitergabe von Waffen und Munition bei Waffenmessen oder über Ebay zu verbieten. Trotzdem bliebe aber weiterhin das Problem, dass bereits extrem viele Waffen im Umlauf sind, ein oft gehörtes Argument der Waffenlobby. Vielleicht bliebe dann nur ein behördliches Rückkaufprogramm wie in Australien. Doch damit ist leider ebenfalls nicht zu rechnen.

Der Autor Robert Peres ist Rechtsanwalt und Kanzleiberater. Er arbeitete viele Jahre für große US-Sozietäten in Deutschland und den USA.

Zitiervorschlag

Robert Peres, Waffenrecht in den USA: . In: Legal Tribune Online, 28.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27255 (abgerufen am: 02.12.2024 )

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