Der Strafsenat am BGH urteilt zur Betriebsräteverfügung bei VW, nur leider nicht im Einklang mit dem BAG. Der Autokonzern kürzt trotzdem Gehälter, die Arbeitsgerichte erhöhen sie wieder. Für die Arbeitsrechtler auch beim BMAS ist die Sache aber klar.
Als Betriebsrat bei VW konnte man reich werden. Zwischen 80.000 und 560.000 Euro Jahresgehalt mit Bonuszahlungen bekamen die Betriebsräte von VW in einigen Jahren. Das ist viel Geld – zu viel, meinte der Strafsenat am Bundesgerichtshof (BGH) und hob Freisprüche für VW-Manager auf (Urt. v. 10.01.2023, Az. 6 StR 133/22). Die vier Männer waren wegen Untreue gem. § 266 Strafgesetzbuch (StGB) angeklagt, weil sie den Betriebsräten die hohen Gehälter genehmigt hatten.
Dies geschah allerdings zu Recht, meinen allerdings jetzt einige Arbeitsgerichte. Sie versuchen wieder Klarheit zu bringen in die Rechtsunsicherheit, die seit dem BGH-Urteil zur Betriebsratsvergütung entstanden ist. Denn der Strafsenat hatte nicht nur die Freisprüche aufgehoben und ans Landgericht (LG) Braunschweig zurückverwiesen. Er hatte auch ausgeführt, wie die Höhe der Vergütung von Betriebsräten zu ermitteln sei. Diese Vorgaben deckten sich allerdings nicht ganz mit den gesetzlichen Regelungen bzw. den Maßstäben des sachlich zuständigen Bundesarbeitsgerichts (BAG).
Um dennoch die Gefahr von Straftaten durch die eigenen Manager auszuschließen, kürzte VW kurzerhand einigen VW-Betriebsratsmitgliedern die Vergütung. Die wiederum zogen deswegen in den vergangenen Monaten reihenweise vor die Arbeitsgerichte. Dort bekamen sie bisher fast alle recht: Die Arbeitsgerichte erhöhten wieder die Gehälter, teilweise sogar um mehr, als zuvor gezahlt wurde.
Die Unsicherheit bleibt. Denn es gibt nun unterschiedliche Ansätze von BGH und BAG.
Wie Betriebsräte vergütet werden
Der Strafsenat hat für seine Urteilsbegründung auf arbeitsrechtliche Normen abstellen müssen. Er musste prüfen, ob die von den angeklagten Personalern genehmigten Zahlungen an die Betriebsräte von den betriebsverfassungsrechtlichen Maßstäben gedeckt sein konnten.
Die Normen dazu finden sich weitgehend im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Da ist klargestellt, dass die Tätigkeit eines Betriebsrates ehrenamtlich ausgeübt wird, § 37 Abs. 1 BetrVG. In großen Unternehmen aber ist der zeitliche Aufwand für dieses Ehrenamt so groß, dass eine normale Arbeit neben der Tätigkeit als Betriebsrat nicht mehr möglich ist. Daher regelt § 37 Abs. 2 BetrVG, dass die Betriebsräte in dem Fall bei Fortzahlung des Gehalts von der Arbeit befreit, teilweise sogar vollständig freigestellt werden. Dann ist die Betriebsratsarbeit das einzige, was diese Beschäftigten im Unternehmen machen. Wie viele Freistellungen nötig sind, ist abhängig von der Anzahl der Mitarbeiter:innen im Unternehmen, § 38 BetrVG.
Doch wie werden Menschen bezahlt, die über Jahre – manchmal wie bei VW über Jahrzehnte – dieses Amt übernehmen? Sie sind aus den üblichen Karriereschritten ausgestiegen, um sich für die Belegschaft zu engagieren. Sollen sie auf ihrer Gehaltsstufe stehen bleiben, während die Kollegen immer mehr Geld verdienen? Und was ist mit den im Laufe der Zeit erworbenen zusätzlichen Kompetenzen, dürfen diese bei der Gehaltsfindung berücksichtigt werden?
Maßstab ist: keine geringere Vergütung
Unstreitig ist, dass den Beschäftigten, die diese Aufgabe wahrnehmen, dadurch keine Nachteile entstehen dürfen. Es wäre also nicht im Sinne des Gesetzgebers, wenn die Betriebsräte während 20 Jahren dieser Tätigkeit auf ihrer Gehaltsstufe stehen blieben, während die Kolleg:innen Karriere machen. Dann würden sich schnell keine guten Leute mehr finden, die diese Aufgabe übernehmen, so die Befürchtung des Gesetzgebers. Das Gehalt muss also wie bei anderen Beschäftigten über die Zeit auch für Betriebsräte steigen, die gar nicht mehr operativ tätig sind.
Betriebsräte gehen daher die Karriereleiter wie vergleichbare Mitarbeitende weiter, selbst wenn sie freigestellt sind. Doch diese Methode kann "an Grenzen stoßen und zu einer Benachteiligung führen", so die IG Metall bei VW. Denn das Gehalt der Betriebsräte darf nicht "geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung", heißt es dazu in § 37 Abs. 4 BetrVG. Dies gilt auch für allgemeine Zuwendungen des Arbeitgebers. Zudem heißt es in § 78 S. 2 BetrVG, dass Betriebsräte "wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden [dürfen]; dies gilt auch für ihre berufliche Entwicklung", es geht dann um die sogenannte hypothetische Fortschreibung des Berufsweges.
Durchaus üblich ist etwa, dass sich Betriebsräte weiterbilden, Kurse wie Englisch für Betriebsräte oder zur Verhandlungsführung absolvieren. Bei VW gibt es zudem Management-Assessment-Center, dort können Betriebsräte Management-Qualifikationen erwerben – und haben das auch getan und entsprechende Nachweise erworben.
Doch was bedeutet derartiger Kompetenzzuwachs für das Gehalt?
"Rechtliche und Handwerkliche Fehler des BGH"
Dem BGH jedenfalls seien bei der Anwendung der Grundsätze für die Betriebsratsvergütung, so schreibt Prof. Dr. Georg Annuß auf LinkedIn, "mehrere rechtliche und handwerkliche Fehler unterlaufen. Auf einen mit Fragen der Betriebsratsvergütung vertrauten Betrachter wirken die Ausführungen des BGH mitunter, als wüsste dieser nicht so recht, wovon er spricht."
Edith Gräfl und Dr. Maren Rennpferdt, ehemalige bzw. amtierende Richterin am BAG, formulieren in der Zeitschrift "Recht der Arbeit" (2023, 245) zurückhaltender: "Die Darstellung des Bundesgerichtshofs zur Vergütung von Betriebsratsmitgliedern während der Dauer ihrer Amtszeit berücksichtigt die Konzeption von § 78 Satz 2 und § 37 Abs. 4 BetrVG und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur unvollständig", schreiben sie.
Die Kritik richtet sich vor allem gegen zwei Aspekte: Zum einen schreibt der Strafsenat in seinem Urteil, die Vergütung der Betriebsräte müsse mit anderen Beschäftigten vergleichbar sein. Tatsächlich darf es aber nach dem Gesetzeswortlaut nur nicht "geringer" sein.
Zudem erweckt der BGH den Eindruck, dass eine durchaus mögliche besondere Karriere, der hypothetische Berufsweg, von Betriebsräten nicht in den Gehältern berücksichtigt werden dürfe. Dies stünde jedoch im Widerspruch zur Rechtsauffassung des BAG, schreiben Gräf und Rennpferdt. Diesen Widerspruch habe der BGH aber offenbar nicht selbst gesehen, sonst hätte er den Großen Senat anrufen müssen. Dies ist immer dann erforderlich, wenn Bundesgerichte unterschiedliche Rechtsauffassungen haben. Das BAG hat bisher zwar nicht explizit entschieden, wie individuelle Leistungsentwicklung während der Betriebsratsarbeit zu bewerten sind. Das BAG hat aber in anderen Entscheidungen dargelegt, dass individuelle Entwicklungen relevant sein können bei der Vergütung.
Die IG Metall meint daher, inzwischen sei "arbeitsrechtlich geboten, was ein strafrechtliches Risiko bedeuten kann". Seit langem schon forderten daher VW, Betriebsrat, Gewerkschaften und Fachleute gesetzliche Klarstellungen.
Gehaltskürzungen und arbeitsgerichtliche Verfahren
Bisher gibt es nur Klarstellungen von den Arbeitsgerichten. Die jüngste Entscheidung erging am Arbeitsgericht (ArbG) Hannover (Urt. v. 17.10.2023, Az.: 12 Ca 272/23). Geklagt hatte in diesem Fall der Betriebsratsvorsitzende der Volkswagen Nutzfahrzeuge (VWN), Stavros Christidis. Er ist seit rund zwanzig Jahren freigestelltes Mitglied der Arbeitnehmervertretung in Hannover-Stöcken, war in der 20-stufigen Haustariftabelle im oberen Viertel eingestuft. VW senkte das Entgelt um sechs Stufen, das bedeutete monatlich fast 2000 Euro brutto weniger Gehalt. Das ArbG stellte jetzt nicht nur die frühere Entgeltstufe am Ende der Tariftabelle wieder her, sondern legte noch eine Stufe über das frühere Niveau drauf.
"Klagende VW-Betriebsratsmitglieder haben mittlerweile 17 von 18 Fällen gewonnen", teilte ein Sprecher des Konzernbetriebsrats von VW mit. Es gebe Entscheidungen aus Braunschweig, Hannover, Emden und Kassel. Dabei sei der Tenor eindeutig: VW sei bei der Vergütung ihrer Betriebsratsmitglieder in der Vergangenheit korrekt vorgegangen.
Die VW AG begrüßt die arbeitsgerichtlichen Klärungen, teilte ein Sprecher des Unternehmens auf LTO-Anfrage mit: "Auf diesem Wege können Reichweite und Grenzen der Entscheidung des BGH-Strafsenats durch die Arbeitsgerichte als zuständige Fachgerichtsbarkeit eingeordnet werden."
Kommission für gesetzliche Ergänzung
Die Klärung wird nicht allein durch die Rechtsprechung erfolgen: Nach dem Urteil des BGH-Strafsenats hat das Bundesarbeitsministerium wegen der entstandenen Rechtsunsicherheiten eine Kommission einberufen. Dies bestand aus dem amtierenden Präsidenten des Bundesozialgerichts Prof. Dr. Rainer Schlegel, der ehemaligen Präsidentin des BAG Ingrid Schmidt und Prof. Dr. Gregor Thüsing, Direktor des Lehrstuhls für Arbeitsrecht am Institut für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit in Bonn – also eine in der politischen Orientierung ausgeglichene Mischung an Personen, die keinen Raum für Vorwürfe ließe, einseitig Interessen zu vertreten.
Die Ergebnisse hat die Kommission bereits Ende September vorgestellt und ausgeführt, dass das BGH-Urteil bei "betriebsverfassungsrechtlichen Amtsträgern in Entgeltfragen in der Praxis zu Rechtsunsicherheiten geführt" habe. Klarstellende gesetzliche Maßnahmen seien notwendig, um negative Folgen für die betriebliche Mitbestimmung insgesamt auszuschließen, ohne dabei die Möglichkeiten der Aufklärung und Ahndung von Verstößen gegen das Begünstigungsverbot einzuschränken.
Die Kommission hat vorgeschlagen, dass ergänzende Sätze ins BetrVG eingefügt werden. Damit soll zum einen klargestellt werden, wie die Vergleichsgruppen zu bilden sind, an denen sich die Gehälter der Betriebsräte orientieren. Zweitens soll es Klarstellungen zum fiktiven Beförderungsanspruch geben. Beides soll in Anlehnung an die bisherige Rechtsprechung des BAG erfolgen, betonte die Kommission.
Und die laufenden Verfahren?
Nun ist also das Bundesarbeitsministerium am Zug, diese Änderungen ins Gesetzgebungsverfahren zu bringen. Den Zeitplan dafür hat das Ministerium noch nichtmitgeteilt. Klar ist aber, dass es eine Neuregelung braucht.
Auch das BAG wird die Gelegenheit bekommen, explizite Entscheidungen zur Betriebsratsvergütung zu treffen: Durchaus ohne Groll aufeinander gehen die Betriebsräte und VW selbst in den arbeitsrechtlichen Fällen in die nächste Instanz. Wenn die Landesarbeitsgerichte schnell sind, könnten erste Verfahren schon 2024 am zuständigen 7. Senat am BAG ankommen.
Das Strafverfahren gegen die VW-Personalmanager liegt derweil bei der 11. Strafkammer des Landgerichts Braunschweig. Terminiert ist in dem Strafverfahren bisher nicht.
Personalmanager kürzen Gehälter der VW-Betriebsräte: . In: Legal Tribune Online, 26.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53001 (abgerufen am: 15.10.2024 )
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