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23410

Software sagt Einbrüche voraus: Der "Mino­rity Report" wird Wir­k­lich­keit

von Peggy Fiebig

10.07.2017

Täteranalyse (Symbol)

© rimom - stock.adobe.com 

Mit Algorithmen will die Polizei künftig Einbruchskriminalität besser in den Griff bekommen: Computerprogramme, die musterbasiert vorhersagen können, wo der nächste Einbruch stattfindet, sollen dabei helfen – und sind bereits im Einsatz.

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Vorhersage-Software bereits im Einsatz

Die Parallele zum Film aus dem Jahr 2002 liegt nahe: In "Minority Report", von Stephen Spielberg mit Tom Cruise in der Hauptrolle verfilmt, werden Verbrechen aufgeklärt, bevor sie geschehen. Precrime heißt die dafür zuständige Abteilung der Washingtoner Polizei, "Precogs" wurden diejenigen genannt, die die Vorhersagen treffen.

Vermutlich haben die Entwickler von "Precobs" auch an den Film gedacht, als sie sich einen Namen für ihr Softwareprogramm ausgedacht haben, das ebenfalls Straftaten prognostizieren soll, bevor sie überhaupt begangen werden. Anders als im Film geht es hier jedoch nicht um Morde, die verhindert werden sollen, sondern um Einbrüche. Precobs steht für "Pre Crime Observation System" steht und beruht auf der Erkenntnis, dass in einem geografischen Umfeld, in dem beispielsweise ein Einbruch begangen wurde, in nächster Zeit mit weiteren ähnlichen Straftaten zu rechnen ist. Die Gültigkeit dieser sogenannten Near-repeat-Hypothese gilt nicht nur für Wohnungseinbrüche: In den USA wurde sie auch für Feuergefechte, KFZ-Diebstähle oder Raubüberfällte bestätigt, wie es in einer Studie des LKA Niedersachsen aus dem Jahr 2015 heißt.

"Near repeat prediction Method" nennt daher auch die Ingenieursfirma aus Oberhausen, die Precobs entwickelt hat, die theoretische Grundlage ihres Programms. Dabei bilden statistische, mathematische, aber auch kriminologische und geografisch bedingte Erkenntnisse das Fundament für die Konfiguration der Algorithmen. Als Datengrundlage werden dann empirische Erkenntnisse über bisherige Einbrüche und Täterprofile verwendet. So spielt es für die Auswertung beispielsweise eine Rolle, ob es sich um einen Einzel- oder Wiederholungstäter, einen Gelegenheits- oder einen professionellen Täter handelte und ob spontan oder strukturiert vorgegangen wurde.

Bayern meldet erste Erfolge

Dabei geht man davon aus, dass jeder Mensch – also auch ein Einbrecher – nach bestimmten Handlungsmustern vorgeht. Die Gebiete, in denen Täter wiederholt auftreten, werden als "near repeat affin" erkannt und bilden die Grundlage für die automatisierte Vorhersage von Wiederholungstaten. Die daraus gewonnenen Prognosen können dann von den Polizeibehörden für operative und präventive Zwecke verwendet werden.

Und auch, wenn es wie Zukunftsmusik klingt - die Software wird jetzt schon eingesetzt: Bayern arbeitet bereits damit, in anderen Bundesländern laufen Pilotprojekte mit diesem oder ähnlichen Systemen. Berlin beispielsweise hat sich dafür entschieden, einen eigenen Weg zu gehen – Krimpro heißt dort ein vergleichbares Programm, das in Zusammenarbeit mit der Firma Microsoft entwickelt wird. Seit Oktober 2016 läuft hier ein erweiterter Testbetrieb, der das gesamte Stadtgebiet erfasst. Im Laufe des Jahres 2017 soll mit Hilfe der gesammelten Daten und Erfahrungen eine Auswertung und Bewertung des Probelaufes durchgeführt und dann auch über die dauerhafte Anwendung entschieden werden.

Das Ganze läuft unter dem Namen predictive policing (vorausschauende Polizeiarbeit) und ist, wenn man dem Bayerischen Innenminister Glauben schenken darf, auch erfolgreich:

Bereits im Sommer 2015 berichtete Innenminister Joachim Herrmann, dass die Einbrüche in den Münchener Gebieten, die von Precobs analysiert wurden, um 42 Prozent zurückgegangen seien. In Berlin ist man vorsichtiger mit einer Einschätzung: Auf Nachfrage weist die Senatsverwaltung für Inneres und Sport darauf hin, dass für derartige Systeme eine statistisch belastbare Evaluation schwierig sei. Wenn in einem prognostizierten Gebiet kein Wohnraumeinbruch festzustellen sei, könne dies sowohl daran liegen, dass die Prognosequalität nicht hoch war, oder auch daran, dass die durchgeführten polizeilichen Maßnahmen erfolgreich waren. Deshalb entziehe sich der zu erzielende präventive Effekt weitgehend einfacher Überprüfung, heißt es in der Antwort der Senatsverwaltung.

Bundesjustizminister Maas: "Algorithmische Fehler können verheerend sein"

2/2: Jede Menge Skepsis

Wo Algorithmen verwendet werden, sind auch die Mahner vor den Gefahren nicht weit. Der Bundesjustizminister wies in der vergangenen Woche im Rahmen der Konferenz "Digitales Leben" nicht nur auf die grundsätzlichen Risiken einer unkontrollierten Verwendung von Algorithmen hin. "Im Bereich der Polizeiarbeit oder Strafverfolgung können die Folgen von algorithmischen Fehlern für die Betroffenen verheerend sein", sagte Heiko Maas in seiner Rede. Die Göttinger Rechtswissenschaftlerin Lucia Sommerer kritisierte jüngst auf der Telemedicus Konferenz in Berlin, dass die Algorithmen von Privatunternehmen formuliert und die entsprechenden Quellcodes nicht offengelegt werden. Das sei beim predictive policing besonders gefährlich, denn dabei würde ein besonders grundrechtssensibler Bereich berührt, meint Sommerer.

Für die Schweizer Rechtsprofessorin Sabine Gless liegen die Risiken des predictive policing unter anderem in der neuen Qualität des Datensammelns und –auswertens, insbesondere dann, wenn auch allgemein zugängliche Informationen wie Wetterdaten oder Informationen zu Veranstaltungen mitgenutzt werden. Die computergestützte Anwendung statistischer Methoden auf scheinbar triviale Daten gebe jeder für sich gesehen belanglosen oder (zunächst) freiwillig öffentlich gestellten Information einen neuen Wert und gehe damit über die traditionelle Datenvorratshaltung und manuelle Auswertung hinaus, schreibt sie in einer im vergangenen Jahr erschienenen Festschrift.

Und auch wenn hierzulande - anders als beispielsweise in den USA - keine personenbezogenen Daten im Rahmen des predicitve policing verwendet werden, gibt sie doch zu bedenken, dass - wenn nur genügend auch nicht-personenbezogene Daten vorliegen - eine Individualisierung letztendlich nur noch ein kleiner Schritt sei.

Knackpunkt: Einbindung personenbezogener Daten

Bei den derzeitigen Programmen sieht Professor Tobias Singelnstein von der Ruhr-Universität Bochum in dieser Hinsicht noch keine allzu großen Gefahren. Die rechtliche Diskussion werde dann einsetzen, wenn tatsächlich personenbezogene Daten mit verknüpft werden. Und dass das irgendwann auch in Deutschland passieren wird, davon ist Singelnstein überzeugt: "Das Potential von algorithmenbasierten Prognosen kann nur dann wirklich ausgeschöpft werden, wenn möglichst viele und eben auch personenbezogene Daten einbezogen werden", sagt er. "Hierzu ist eine intensive Diskussion über die datenschutzrechtlichen und verfassungsrechtlichen Grenzen nötig." Wichtig ist für Singelnstein dabei, dass die Programme keine "Black Box" bleiben. Er fordert einen Algorithmen-TÜV, der prüft, auf welchen Grundannahmen die jeweilige Prognosesoftware erstellt und wie sie technisch umgesetzt wurden.

Auch die Datenschützer beobachten die weitere Entwicklung sehr genau. Der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Casper sagte etwa im Handelsblatt, dass "die Erstellung von Prognosen, an deren Ende Personen nur aufgrund einer statistischen Wahrscheinlichkeit unter den Verdacht geraten, Straftaten zu begehen oder zu Störern zu werden, unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten fragwürdig" sei. Sie widerspreche der Unschuldsvermutung, sei fehleranfällig und ersetze polizeiliche Einschätzungen durch automatisierte intransparente Maschinenlogik.

Unproblematisch ist für Casper der Einsatz der Software nur, "solange die Analyse auf anonymisierter Datenbasis erfolgt und kein Personenbezug herstellbar ist". Er sieht aber auch, dass der Übergang zwischen Anonymität und Personenbezug "höchst interpretationsbedürftig" ist, was "insbesondere bei der Entwicklung derartiger Modelle zu beachten" sei.

Der Held aus Minority Report, der sich zunächst der Verbrechensbekämpfung verschrieben hat, wird später selbst Opfer des Systems und muss sich gegen die Precogs zur Wehr setzen - Ursache dafür ist eine, wie sich letztendlich herausstellt, falsche Vorhersage.

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Software sagt Einbrüche voraus: Der "Minority Report" wird Wirklichkeit . In: Legal Tribune Online, 10.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23410/ (abgerufen am: 31.05.2023 )

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