Sich gegen Fake News zu wehren, scheitert oft an der unzureichenden Möglichkeit, Gegenansprüche durchzusetzen. Lorenz Kähler schlägt vor, dass Betroffene spezialisierte Vereine ermächtigen dürfen, um dieses Ungleichgewicht zu kompensieren.
Fake News sind kein neues Phänomen. In gewisser Weise sind sie sogar älter als der Sündenfall. Dass Eva die Augen aufgehen würden, sobald sie vom Baum der Erkenntnis gekostet habe, war eine so neue wie falsche Nachricht der Schlange. Das Recht hat seitdem genügend Zeit gehabt, um sich auf derartige Nachrichten einzustellen. Es hat eine Vielzahl von Normen entwickelt, um ihrer Herr zu werden, so etwa die Verbote der Verleumdung und üblen Nachrede.
Nach Auffassung der Bundesregierung reichen diese Instrumente allerdings nicht aus. Deshalb hat sie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz entworfen, das schon in der Bezeichnung unglücklich ist. Damit sollen nicht etwa Netzwerke durchgesetzt werden. Deren enorme Durchsetzung gibt vielmehr Anlass dazu, im Internet das Recht zu mobilisieren. Im Zentrum stehen dabei soziale Plattformen wie Facebook, die künftig ihren Nutzern die Möglichkeit zur Beschwerde einräumen und dafür ein bestimmtes Verfahren einrichten müssen. Das soll garantieren, dass offensichtlich rechtswidrige Inhalte gelöscht werden.
Flankiert wird dies durch umfangreiche Berichts- und andere Organisationspflichten. Wenn sich der Staat mit seinen Verwaltungsbehörden schon selbst nicht in der Lage sieht, gegen Fake News vorzugehen, so sollen das wenigstens die Internetriesen tun und sich ihm dabei angleichen: durch umfangreiche Aktenführung, regelmäßige Kontrollen und eine beamtenähnliche Fürsorgepflicht gegenüber den Angestellten ("Schulungs- und Betreuungsangebote").
Übergroßes Vertrauen in den Staat
Das Vertrauen in diese aus dem Innenbereich des Staates bekannten Instrumente ist dabei ungebrochen. Ob diese allerdings auch für schnell wachsende, grenzüberschreitend tätige und mitunter lose verbundene Unternehmen ausreichen, ist überaus fraglich. Vor allem aber ist erstaunlich, dass dabei die von den Fake News Betroffenen kaum vorkommen. Sie treten im Gesetzentwurf allein als Nutzer auf, die sich gegenüber den Plattformen beschweren können. Der Staat nimmt es im Übrigen selbst mit den Internetriesen auf. Er denkt dabei an Bußgelder bis zu 50 Millionen Euro. Die Beschwerden der Nutzer sind dafür nur der Anlass.
Derartige Bußgelder aber sind sowohl zu viel als auch zu wenig. Zu viel sind sie, wenn sie an Beschwerden von Nutzern anknüpfen, die von den Fake News nicht betroffen sind. So darf man sich künftig gegen rechtswidrige Inhalte wenden, ohne dass man durch sie geschädigt ist. Wird etwa ein Fußballspieler beleidigt, könnten auch die Fans eine Beschwerde einreichen, um seine Ehre zu retten, und auf eine Löschung des Beitrags binnen 24 Stunden drängen. Dass sie dadurch womöglich die Aufmerksamkeit steigern und alles nur schlimmer machen, spielt keine Rolle. Das gilt auch dann, wenn der Spieler die Sache auf sich beruhen lassen will, schon weil er selbst gelegentlich mit dem Megaphon vor der Kurve steht und dort etwas über den Gegner ruft, das man nicht auf die Goldwaage legen sollte.
Zugleich aber greifen diese Sanktionen durch Bußgelder zu kurz, weil sie die Betroffenen übersehen. Diese müssen nicht unbedingt die Nutzer sein. Beleidigt werden kann auch jemand, der nicht auf Facebook ist. Es wäre bizarr, wenn er sich dort erst einmal anmelden müsste, um sich gegen eine dort bereits geschehene Beleidigung wehren zu dürfen. Dass der Gesetzentwurf dies dennoch vorsieht, ist die Folge davon, dass der Staat Facebook und Co. nach seinem eigenen Modell versteht. Nutzer sind danach das, was der Bürger für einen Staat ist. Die nicht angemeldeten Betroffenen geraten als Quasi-Staatenlose aus dem Blick.
2/2: Probleme bei der Rechtsdurchsetzung
Vor allem aber unterschätzt der Gesetzesentwurf die Möglichkeiten, sich selbst zur Wehr zu setzen. Der Entwurf gibt den Betroffenen noch nicht einmal die Möglichkeit, gegen eine fehlende Bearbeitung der Beschwerde durch Facebook vorzugehen. Offenbar soll dies dem Staat vorbehalten bleiben.
Schon jetzt fällt allerdings auf, dass nur wenige Personen gegen falsche Behauptungen vorgehen. Dass gröbste Beleidigungen und schlimmste Verleumdungen unbeanstandet bleiben, dürfte auch daran liegen, dass vielen für die Durchsetzung ihrer Rechte Zeit und Geld fehlen. Der syrische Flüchtling Modamani etwa, der zu Unrecht mit Terroristen assoziiert wurde, wird von der Zeit mit den Worten zitiert, dass er noch viele Monate arbeiten müsse, um die Prozesskosten aufzubringen. Zwar hat Facebook auf die Erstattung seiner erstinstanzlichen Anwaltskosten inzwischen offenbar verzichtet. Absehbar war das jedoch nicht. Dass Modamani nicht den Instanzenweg beschreitet und eine Rechtsfortbildung anstrebt, könnte auch am fehlenden Geld liegen.
Hinzu tritt die mangelnde Erfahrung, wie man sich gegen einen Global Player wie Facebook zur Wehr setzt. Wer nur einmalig betroffen ist, verfügt über weniger Erfahrung als eine Plattform, die damit ständig zu tun hat und dank spezialisierter Rechtsabteilung professionell vorzugehen vermag. Das sei ihr gegönnt und kann dem Rechtsstaat nur guttun, solange auf der anderen Seite ebenfalls professionelle Akteure stehen. Daran aber fehlt es vielfach, weil man die Verteidigung der eigenen Ehre bisher selbst übernehmen muss. Damit kann man zwar Anwälte beauftragen, übernimmt aber auch die Kosten und das Risiko eines Prozessverlusts. Auf andere Personen oder Institutionen darf man die Verteidigung der eigenen Ehre nicht übertragen, obwohl sich diese Institutionen darauf spezialisieren und ähnlich wie die beklagten Portale durch eine Vielzahl von Verfahren Erfahrungen sammeln könnten.
Zwar gibt es Vereine, die durch Abmahnungen für die Einhaltung der Wettbewerbsregeln sorgen. Aber bisher gilt es als ausgeschlossen, entsprechende Vereine zu gründen, um gegen Beleidigungen und falsche Behauptungen vorzugehen. Man will keine Popularklage, mit der sich jedermann gegen alles Unrecht wenden könnte.
Private Vereine können flexibler reagieren
Eine solche Möglichkeit sieht der Gesetzentwurf jedoch interessanterweise für die Beschwerde der Facebooknutzer vor: Jeder Nutzer soll sich mittels einer Beschwerde gegen alle rechtswidrigen Inhalte wenden können. Das Portal müsste seine Entscheidung ihm gegenüber selbst dann begründen, wenn er von diesen Inhalten in keiner Weise betroffen ist. Damit wird ein allzu breiter Weg eröffnet, sich gegen alles Unrecht zu wenden, was einen stört. Umso weniger verständlich ist, dass dieser Weg auf halber Strecke abbricht und nicht wenigstens anerkannten Vereinen eine Klage ermöglicht, wenn Inhalte nicht entfernt wurden.
Konsequenter und sinnvoller wäre es, die Beschwerde einerseits auf die Betroffenen zu beschränken und andererseits auch privaten Vereinen die Möglichkeit einzuräumen, gegen verletzende Fake News vorzugehen, wenn die Betroffenen sie dazu ermächtigt haben.
Diese Vereine könnten eine viel bessere und freiere Auswahl als der Staat treffen, welchen Fall sie als Musterverfahren nutzen, um gegen einen allgemeinen Missstand vorzugehen. Der Staat hingegen müsste begründen, warum er die Ehre des einen verteidigt und die des anderen nicht. Das wäre eine höchst undankbare und angesichts seiner Neutralitätspflicht kaum zu bewältigende Aufgabe. In anderen Bereichen ist eine Ermächtigung Privater, die zur sogenannten Postulationsfähigkeit führt, durchaus vertraut. Dies nutzen etwa Unternehmerverbände, um gegenüber ihren Mitgliedern geschehene Rechtsverletzungen zu verfolgen. Warum man nicht auch die Abwehr von Fake News professionalisieren sollte, ist nicht nachvollziehbar. Zu einer Klageflut dürfte das schon deshalb nicht führen, weil auch private Vereine nur über begrenzte Mittel verfügen.
Überdies bliebe die Initiative bei demjenigen, über den Falsches behauptet wurde. Er könnte entscheiden, ob er die Sache selbst verfolgt, einem Verein anvertraut oder ganz auf sich beruhen lässt. Das entlastet den Staat und verhindert eine Bürokratisierung sozialer Netzwerke, die selbst entscheiden würden, wie sie mit den gerichtlich entwickelten Sorgfaltsmaßstäben umgehen. Profitieren könnten von einer derartigen Ermächtigung daher alle. Bis auf die Schlange.
Der Autor Prof. Dr. Lorenz Kähler lehrt Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Bremen.
Prof. Dr. Lorenz Kähler, Vorgehen gegen Fake News: Private Vereine wirksamer als neue Bürokratien . In: Legal Tribune Online, 16.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22931/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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