Der Zensus 2011 wirft seine Schatten voraus: Ab November versenden die Statistischen Landesämter Fragebögen an rund 17 Millionen Bundesbürger. Datenschützer haben sich bereits in Stellung gebracht. Tatsächlich hat die Politik aus der Vergangenheit gelernt, wie der Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Dr. Thilo Weichert erläutert.
Die Volkszählung 2011 heißt offiziell nicht "Volkszählung", sondern Zensus. Der ursprüngliche deutsche Begriff ist belastet mit Assoziationen zum Widerstand der damals bundesrepublikanischen Bevölkerung gegen die Zählungen in den 1980er Jahren – geplant und gescheitert 1983, mit mäßigem Erfolg durchgeführt 1987.
Weiter assoziiert ist der Begriff mit dem berühmten Urteil des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) 1983, mit dem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, kurz das Grundrecht auf Datenschutz, aus der Taufe gehoben wurde. Dieser Sieg einer außerparlamentarischen Bürgerbewegung und des Datenschutzanliegens war mit einer Niederlage der etablierten Politik und der Statistiker verbunden. Mit dem Begriff "Zensus" soll die Erinnerung hieran getrübt werden.
Dennoch: Beim Zensus 2011 wurde von den Volkszählungen aus den 80ern gelernt. Waren Verfassungsbeschwerden gegen den damaligen Zensus nicht nur erfolgreich, sondern für die weitere juristische und öffentliche Diskussion zum Datenschutz stilbildend, so erhofften sich Gegner des heutigen Zensus vergeblich Entsprechendes: Eine Verfassungsbeschwerde wurde zwar von 13.000 Personen unterstützt, aber mit Beschluss vom 21. September 2010 vom höchsten deutschen Gericht nicht einmal zur Entscheidung angenommen.
Die "undifferenzierte“ Nennung der Zensusgesetz-Regelungen und der möglicherweise betroffenen Grundrechte reiche, so das BVerfG, angesichts des "umfangreichen und detaillierten Regelungsgehaltes für eine hinreichende Bezeichnung des angegriffenen Hoheitsakts nicht aus".
Keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken
Selbst wenn die Beschwerdeschrift detaillierter gewesen wäre, hätte sie wohl beim BVerfG keinen Erfolg gehabt. Denn die Statistiker von Bund und Ländern haben aus der Schlappe in den 1980ern gelernt und viele Fehler vermieden.
Dabei geht es nicht nur um den Fehler einer arroganten und autoritären Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch um die vielen rechtlichen und technischen Fehler, die zum juristischen Scheitern beitrugen: Es erfolgt keine Vollerhebung der Bevölkerung, sondern nur eine 10-Prozent-Stichprobe, gekoppelt mit mehreren Registerzählungen aus den Meldebehörden, der Bundesagentur für Arbeit, sowie aus der Personal- und Finanzverwaltung sowie eine Befragung sämtlicher Gebäude- und Wohnungseigentümer.
Zentral für die verfassungsrechtliche Beurteilung ist weiter, dass die Daten streng dem Statistikgeheimnis unterliegen sollen, also auch nicht über Umwege an den Verwaltungsvollzug zurückfließen dürfen. Die technischen und organisatorischen Abschottungen bei den Erhebungsstellen und in den Statistikämtern sollen auch ein ungeplantes Abfließen oder Herauslecken der Daten verhindern. So soll zum Beispiel sichergestellt werden, dass bei den 80.000 Erhebungsbeauftragten keine Polizisten, Sozialarbeiter oder sonstige Personen eingesetzt werden, bei denen es zu Interessenkonflikten kommen könnte.
Für die von der Stichprobe und der Eigentümererfassung betroffenen Menschen ändert sich gegenüber der alten Volkszählung insofern nichts, als sie auskunftspflichtig sind und diese Pflicht per Buß- und Zwangsgeld durchgesetzt werden kann. Unbestreitbar ist weiterhin, dass die erbetenen Fragen teilweise sehr sensibel sind, etwa die zur Religionszugehörigkeit oder zum Migrationshintergrund. Die Frage nach dem religiösen Bekenntnis ist jedoch freiwillig; hierauf wird ausdrücklich hingewiesen.
Wachsamkeit dennoch geboten
Wenn nun BVerfG und Datenschutzbeauftragte keine grundsätzlichen Bedenken haben, so bedeutet dies nicht, dass der Zensus unproblematisch wäre. Bei der konkreten Umsetzung kann vieles falsch gemacht werden, insbesondere bei den Erhebungsbeauftragten und den kommunalen Erhebungsstellen. Aber auch beim Registerabgleich kann es zu Fehlern kommen. Bürgerrechtsbewegte werden – schon aus Nostalgie – die Durchführung des Zensus mit Argusaugen beobachten. Und das ist auch gut so, weil diese zwangsweise Sammlung sensibler Daten auch im neuen Gewand zum Missbrauch einlädt.
Spätestens seit Stuttgart 21 stellt sich für die Bevölkerung verstärkt die Frage: Was kostet uns das als Steuerzahler. Der Zensus ist mit voraussichtlichen Kosten von über 0,7 Mrd. Euro nicht gerade billig. Zweifellos gibt es eine europäische Verpflichtung zum Zensus. Deren Sinn kann man aber angesichts des Umstandes, dass statistische Daten zunehmend auch anderweit verfügbar sind, hinterfragen. Aus Datenschützersicht jedenfalls wäre es zu wünschen, dass es sich beim Zensus um eine endliche Geschichte handelt.
Dr. Thilo Weichert ist Landesbeauftragter für Datenschutz Schleswig-Holstein und Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz, Kiel.
Volkszählung: . In: Legal Tribune Online, 18.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1741 (abgerufen am: 06.12.2024 )
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