Seit Ende Juni gilt das neue Staatsangehörigkeitsrecht, das auch Antisemiten unter den Bewerbern herausfiltern soll. Nun bezieht ein VG eine neue Klausel auf das Existenzrecht Israels. Dabei hatte der Gesetzgeber darauf gerade verzichtet.
Vor einem Jahr stritten die Mitglieder des Innenausschusses heftig über die lange geplante Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Die Debatte stand unter dem Eindruck des mörderischen Überfalls der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, des Beginns des Gaza-Kriegs und der sich daran anschließenden Palästina-solidarischen Proteste auf deutschen Straßen. Die Ausschussmitglieder rangen über Wochen darum, in das geplante Gesetz noch ein Bekenntnis zum Staat Israel als Einbürgerungsvoraussetzung einzubauen.
Man konnte sich schließlich einigen: Auf den letzten Metern rutschte noch eine Klausel zur besonderen Verantwortung Deutschlands in den zu ändernden § 10 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG). Dieser legt die Einbürgerungsvoraussetzungen fest, etwa das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FDGO) oder die Voraussetzung, den Lebensunterhalt selbst bestreiten zu können. Das neue StAG sieht drei "Antisemitismus-Filter" vor, die LTO bereits im Januar vorgestellt hat. Einer davon wurde in § 10 Abs. 1 S. 1 StAG eingefügt: Eine neue Nr. 1a verlangt von Bewerbern ein Bekenntnis zu Deutschlands historischer Verantwortung und zum friedlichen Zusammenleben der Völker und dem völkerrechtlichen Gewaltverbot.
Anders als in einem Gesetzentwurf der Union vorgeschlagen, geht es in dieser von der Ampel beschlossenen Bekenntnisklausel also nicht ausdrücklich um das Existenzrecht Israels. Dieses sei aber von der allgemeineren Formulierung mitumfasst, entschied nun das Verwaltungsgericht (VG) Regensburg mit Urteil vom 7. Oktober 2024, dem Jahrestag des Terrorangriffs der Hamas (Az. RO 9 K 24.782). Über die rechtskräftige Entscheidung berichtete zuerst Beck-aktuell.
"Es gibt Juden, aber Israel nicht als Land"
Das Gericht bestätigte damit die Entscheidung einer bayerischen Einbürgerungsbehörde, einem staatenlosen Palästinenser muslimisch-sunnitischen Glaubens die Einbürgerung zu verweigern. Der Mann hat nach eigenen Angaben nie in Israel/Palästina, sondern nur in Syrien gelebt. Er wurde 2016 in Deutschland als Flüchtling anerkannt. 2022 beantragte er seine Einbürgerung, beigefügt u.a. das Bekenntnis zur FDGO. Nachdem der bayerische Verfassungsschutz Zweifel geäußert hätte, weil der Mann eine Moschee besucht, die vorübergehend wegen salafistischer Bestrebungen unter Beobachtung gestanden hatte, lud ihn die Einbürgerungsbehörde zum persönlichen Gespräch.
Die Anhörung fand zwei Monate vor dem 7. Oktober 2023 statt. Dort fragte ihn der Sachbearbeiter laut Gesprächsniederschrift, ob er Israel als eigenständigen Staat anerkenne. Die protokollierte Antwort: "Es gibt kein Israel. Es gibt Juden, aber Israel nicht als Land." Beruhte die Aussage auf Unwissen, werden hier Tatsachen geleugnet oder geht es um die Legitimität des Staates? Der Sachbearbeiter hakte nach: "Die völkerrechtliche Vereinbarung zur Schaffung des Staates Israel erkennen Sie nicht an?" Die Antwort knapp wie klar: "Nein."
Gefragt, wie der Bewerber dazu steht, dass jüdische Siedler heute auf dem ehemaligen Mandatsgebiet Palästina leben und ob diese seiner Meinung nach Arabern Platz machen sollten, gab er laut Protokoll an, keine Meinung dazu zu haben.
Nachträglich begehrte er eine Korrektur der Niederschrift. Er habe die Fragen zu Israel nicht richtig verstanden bzw. seien seine Antworten missverstanden worden. "Natürlich finde ich es in Ordnung, wenn Juden in Israel wohnen. Dort dürfen auch Christen leben. Wie ich bereits gesagt habe, sind für mich alle Menschen gleich", schrieb er. Und zur Frage nach dem Existenzrecht Israels: "Ich akzeptiere Menschen jüdischen Glaubens. Ich anerkenne ebenfalls den Staat Israel nach Oslo-Friedensprozess." Er habe nur Israels Besetzung der palästinensischen Gebiete kritisieren wollen. Die Behörde verweigerte die Korrektur als taktisch motiviert, so sah es später auch das VG.
Antisemitismus ist FDGO-feindlich
Auch wenn der Mann zugleich betonte, dass es ihm egal sei, welcher Religion jemand angehöre, alle Menschen gleich seien und er "kein Problem mit jüdischen Menschen" habe, bewerteten das bayerische Innenministerium und schließlich auch die Einbürgerungsbehörde seine Äußerungen als antisemitisch. Die Ablehnung des Existenzrechts Israels sei antizionistisch und Antizionismus sei eine Form des Antisemitismus. Die Einbürgerungsbehörde lehnte den Einbürgerungsantrag deshalb im März 2024 mit der Begründung ab, das Bekenntnis zur FDGO sei ein reines Lippenbekenntnis und deshalb unwirksam.
Seit dem 27. Juni 2024 steht im neuen § 10 Abs. 1 S. 2 StAG ausdrücklich drin: "Antisemitisch, rassistisch oder sonstige menschenverachtend motivierte Handlungen sind mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland unvereinbar und verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes."
Die Vorschrift galt zum Zeitpunkt der Entscheidung durch die bayerische Einbürgerungsbehörde zwar noch nicht. Jedoch handelt es sich hierbei ohnehin nur um eine Klarstellung dessen, was ohnehin schon ständiger Rechtsprechung zur FDGO entsprach. Wer antisemitisch ist, konnte sich also auch vor der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts nicht wahrhaftig nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG zur FDGO bekennen. Auch dass ein unwahres Bekenntnis unwirksam ist, verstand sich – eine entsprechende Klarstellung findet sich seit Juni 2024 in § 11 Nr. 1a StAG.
VG: Antizionisten können nicht eingebürgert werden
Der Palästinenser trat dieser Argumentation mithilfe eines Anwalts entgegen, im April klagte er gegen den ablehnenden Bescheid. Er meint, er habe deutlich zum Ausdruck gebracht, kein Problem mit jüdischen Menschen zu haben. Seine Ablehnung des Existenzrechts Israels sei nicht antisemitisch motiviert, sondern antizionistisch.
Das VG Regensburg ließ sich auf diese Argumentation ein, stellte aber klar: Wer Israels Existenzrecht ablehnt, könne nicht Deutscher werden – unabhängig davon, ob seine Grundhaltung antisemitisch oder nur antizionistisch sei. Den nachträglichen Verweis auf die Anerkennung Israels nach dem Oslo-Prozess überzeugte das Gericht nicht, der Mann habe eine klare Ablehnung gegenüber Israel bekundet, ohne Differenzierung und Zögern.
Die Wertung, dass Antizionismus einer Einbürgerung entgegenstehe, stützte das Gericht, anders als noch die Einbürgerungsbehörde, auf das neue Staatsangehörigkeitsrecht. Das hat mit der vorliegenden Klageart zu tun: Der Mann begehrt die Einbürgerung, also einen Verwaltungsakt. Damit handelt es sich um eine Verpflichtungsklage. Bei dieser ist anerkannt: Das Gericht beurteilt die Sach- und Rechtslage, die zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung besteht.
Das neue Bekenntnis zu Deutschlands historischer Verantwortung
Die Äußerungen des Mannes über Israel maß das VG an der neuen Regelung in § 10 Abs. 1 Nr. 1a StAG. Danach müssen sich Einbürgerungskandidaten "zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen" bekennen, "insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens".
Zwar ist von Israel nicht die Rede. Aber: "Nach Auffassung der Kammer umfasst diese Normierung – deren Hintergrund ausdrücklich u.a. die seit dem 7. Oktober 2023 herrschende Konfliktlage zwischen dem Staat Israel und der Hamas ist – auch das Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zum Existenzrecht des völkerrechtlich anerkannten Staates Israel."
Das ergebe sich aus dem Umstand, dass die Staatsgründung Israels im Mai 1948 eine "wesentliche Konsequenz" aus dem Holocaust sei. Dabei zitiert das Gericht aus der Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel: "Die Katastrophe, die in unserer Zeit über das jüdische Volk hereinbrach und in Europa Millionen von Juden vernichtete, bewies unwiderleglich aufs Neue, dass das Problem der jüdischen Heimatlosigkeit durch die Wiederherstellung des jüdischen Staates im Lande Israel gelöst werden muss."
Gesetzgeber hatte auf Israel-Bekenntnis bewusst verzichtet
Deshalb bezieht das VG Deutschlands historische Verantwortung "für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen", wie es in § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a StAG heißt, "zwangsläufig" auch auf den Staat Israels als Heimstätte und Schutzraum für das jüdische Volk, nicht nur auf den Schutz jüdischen Lebens. Dabei wies das Gericht darauf hin, dass jüdisches Leben in Deutschland "bereits durch Grundgesetz (etwa Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 oder 3 Abs. 3 GG) und weitere Normen des einfachen Rechts (etwa §§ 46 Abs. 3, 130 Strafgesetzbuch)" geschützt sei.
Diese Auslegung könnte man allerdings als Widerspruch zur gesetzgeberischen Entscheidung werten, nach wochenlanger Debatte darauf zu verzichten, ins neue StAG ein Israel-Bekenntnis aufzunehmen. CDU-Chef Friedrich Merz hatte einen entsprechenden Vorschlag im Oktober 2023 gemacht, den Rechtspolitiker aus den Ampel-Parteien gegenüber LTO kritisierten. Im November legte die Unionsfraktion im Bundestag einen Gesetzentwurf vor. In Sachsen-Anhalt führte zudem die CDU-Innenministerin Tamara Zieschang per Erlass eine Bekenntnispflicht zum Existenzrecht Israels ein; LTO berichtete.
Das VG sprach den Vorschlag der Union auch an, zog aber nicht den Umkehrschluss, dass § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a StAG dann gerade kein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels verlangt. Vielmehr verwies es auf eine nach Verkündung des neuen StAG abgegebene Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Unionsentwurf. Danach entspreche es der nun geltenden Rechtslage, dass sich Einbürgerungskandidaten zum Existenzrecht Israels bekennen müssen.
Aussagen verschiedener Ausschussmitglieder der Ampel-Fraktionen gegenüber LTO im Januar 2024 gehen allerdings in eine andere Richtung. "Mit dem Verzicht auf das ausdrückliche Bekenntnis des Existenzrechtes Israels wollten wir Widersprüche vermeiden, denn auch Teile des strenggläubigen Judentums lehnen den modernen Staat Israel ab", sagte etwa der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion Stephan Thomae. SPD-Politiker Hakan Demir begründete die Abweichung von dem CDU-Ansatz damit, "ein Bekenntnis zu einem spezifischen Staat wäre eine unvollständige Lösung gewesen. Das friedliche Zusammenleben der Völker und das Verbot eines Angriffskrieges gelten weltweit."
Red. Hinweis: Zunächst hieß es, die Entscheidung sei noch nicht rechtskräftig. Korrigiert am 18.12.2024, 19:15 Uhr u. final nach Auskunft des Gerichts am 19.12.2024, 16:50 Uhr (mk).
VG Regensburg verweigert Palästinenser die Einbürgerung: . In: Legal Tribune Online, 18.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56144 (abgerufen am: 12.02.2025 )
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