Wer in Hooksiel den Strand betreten oder im Meer schwimmen will, muss drei Euro zahlen - egal, ob für einen kurzen Spaziergang am Meer oder den ganztägigen Badespaß. Das wird auch in Zukunft so bleiben, entschied das VG Oldenburg am Dienstag. Die Initiative "Freie Bürger für freie Strände" will das nicht auf sich beruhen lassen – vielleicht mit weit reichenden Folgen für die Nordseeküste.
Obwohl es diese Regelung schon seit den siebziger Jahren gibt, wollen die Einwohner benachbarter Gemeinden nicht länger hinnehmen, dass sie für jede Nutzung des beliebten Strandgeländes vor den Seedeichen immer wieder zahlen müssen. Nur Gemeindeeinwohner und Inhaber einer Kurkarte sind davon befreit, alle anderen Besucher werden zur Kasse gebeten, bevor man sie durch die Eingänge zwischen den Zäunen lässt. Vor dem Verwaltungsgericht (VG) Oldenburg wollte die Initiative die Gemeinde Wangerland, auf deren Gebiet das Nordseebad liegt, verpflichten, für den freien Zugang der Strände in angemessenem Umfang zu sorgen.
Am Dienstag wies die erste Kammer des VG die Klage jedoch ab, da sie unzulässig und unbegründet sei (Urt. v. 23.09.2014, Az. 1 A 1314/14). Die Bürger hätten den Falschen verklagt und obendrein sei das Strandentgelt rechtens, so begründete das Gericht sein Urteil mündlich. Janto Just, Kreistagsabgeordneter für die Piratenpartei und Gründer der Initiative "Freie Bürger für freie Strände", ist damit gar nicht einverstanden und möchte in Berufung gehen.
"Die Gerichte schieben sich den Fall gegenseitig zu"
Die Klage scheiterte schon an der Zulässigkeit. Es fehle das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, denn die Bürger hätten ihre Rechte einfacher vor dem Zivilgericht geltend machen können, indem sie direkt gegen die beigeladene Wangerland Touristik GmbH geklagt hätten, so das Gericht. Die einhundertprozentige Tochter der Stadt pachtet den Strand vom Land Niedersachsen. Sie ist es, die in der Zeit von April bis Oktober das streitige Entgelt für den Zugang zum Strand erhebt.
Dabei hatten Just und seine Mitstreiter ebendiese private Gesellschaft schon vor dem Amtsgericht (AG) Jever verklagt und verloren. Die Klage wurde ebenfalls als unzulässig abgewiesen – weil nach der im Verwaltungsrecht geltenden "Zwei-Stufen-Theorie" die richtige Beklagte die Stadt sei. Danach gelte für Zugangsansprüche zu städtischen Einrichtungen immer das öffentliche Recht, die Benutzung selber kann unterschiedlich geregelt sein. Das zivilrechtliche Urteil ist zwischenzeitlich rechtskräftig und das VG führte aus, es habe nicht zu beurteilen, ob diese Entscheidung richtig gewesen sei. "Die Gerichte schieben sich einfach den Fall gegenseitig zu und am Ende ist keiner zuständig. Das kann ja nicht sein!", äußerte der Bürgeraktivist.
Tatsächlich muss eines der Gerichte falsch liegen, entweder das VG oder das AG. Kläger Just sieht nun theoretisch zwei Möglichkeiten: entweder bittet er einen anderen Bürger, erneut vor dem AG zu klagen – auf die Gefahr hin, dass auch dieser verliert. Oder aber er erstreitet in der Berufung, dass die Gemeinde ihre Tochtergesellschaft aufgrund öffentlich-rechtlicher Normen verpflichten muss, allen Bürgern den freien Zugang zu Strand, Watt und Meer zu ermöglichen.
In dieser Rechtsfrage vermengen sich Zulässigkeit und Begründetheit. Ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet? Und wäre ein möglicher Zugangsanspruch öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur?
2/2 Wann sind Strände überhaupt frei?
Die Kläger hatten ihre Begründung auf einem öffentlich-rechtlichen Zugangsanspruch aufgebaut, den sie aus § 59 Abs. 1 iVm § 62 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) ableiten wollen. Die Regelung enthält einen allgemeinen Grundsatz, wonach das Betreten der freien Landschaft sowie von ungenutzten Grundflächen zum Zweck der Erholung allen gestattet ist. § 62 BNatSchG konkretisiert dies und sagt: "Der Bund, die Länder und sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts stellen in ihrem Eigentum oder Besitz stehende Grundstücke (iSd § 59 Abs. 1) in angemessenem Umfang für die Erholung bereit, soweit dies mit einer nachhaltigen Nutzung und den sonstigen Zielen von Naturschutz und Landschaftspflege vereinbar ist und eine öffentliche Zweckbindung dem nicht entgegensteht."
Für Just zählen die gesamte Küste und das Wattenmeer zur "freien Landschaft". So sei es unzulässig, durch die Zugangskontrolle der Strände auch den Zugang zum Watt und zum Meer zu behindern – weil Watt nach niedersächsischem Recht grundsätzlich frei betretbar sei und das Meer sogar dem Bund gehört. Hierfür Eintritt zu nehmen ist für ihn "genauso, als würde man Eintritt für Wälder nehmen", sagt Just.
"Mir fehlen in Wäldern Toiletten, Duschen, Hundefreilaufflächen", meinte dagegen der parteilose Bürgermeister von Wangerland, Harald Hinrich. Die Gemeinde rechtfertigt das Entgelt mit den Kosten für die Pflege des Strandes. "Für mich ist das vergleichbar mit einem Hallenbad, nur dass es am Strand ist. Außerdem ist der Strand in Hooksiel weitestgehend künstlich, wir müssen den Sand immer wieder aufschütten. " Die von der Kommune unterhaltenen Einrichtungen kosten nach seiner Angabe jährlich etwa eine halbe Million Euro. Schließlich habe die Gemeinde Wangerland 27 Kilometer Küstenlänge, von denen lediglich acht Kilometer eingezäunt sind, möchte der Bürgermeister klarstellen. Dabei räumt er ein, dass zwar lediglich ein Kilometer freier Strand verbleibe, der Rest der Küste sei Deichvorland. Aber auch von dort könne man "Zehen ins Wasser halten" oder auf dem Watt wandern.
Das Gericht folgte am Dienstag der Auffassung der Gemeinde. Der streitige Küstenabschnitt sei weder frei noch ungenutzt, denn das gepachtete Strandgelände werde durch die Nutzung als Strandbad, also als kommerzielle Freizeiteinrichtung, geprägt. Die Touristik GmbH bewirtschafte das Gelände, um dessen Attraktivität zu steigern, etwa durch das Mähen der Flächen und die Abfallentsorgung. Wenn also von vornherein kein öffentlich-rechtlicher Zugangsanspruch gegenüber der Gemeinde besteht, dann braucht diese auch keine Ermächtigungsgrundlage für die Beschränkung. Es geht hier nach dem VG also überhaupt nicht um öffentliches Recht - vielmehr kann die private Gesellschaft über den Strand wie über jede andere private Einrichtung entscheiden und ein Eintrittsgeld verlangen.
"Über 90 Prozent der Strände sind entgeltpflichtig“
Die "freien Bürger für freie Strände" halten diese Auffassung für zu kurzsichtig. § 62 BNatSchG fordere, dass die ungehinderte Nutzungsmöglichkeit "in angemessenem Umfang" gewährleistet sein müsse – tatsächlich seien aber über 90 Prozent der Strände an der niedersächsischen Nordseeküste eingezäunt und entgeltpflichtig. Der Initiativgründer ist teilweise selber mit dem Auto die Nordseeküste abgefahren, außerdem hat er sich die Auskunft von Tourismusbüros erfragt oder mit google maps gearbeitet. Er präsentiert die Dokumentation der gefundenen Zäune auf seiner Homepage. Das Gericht habe zwar geäußert, dass ein Bürger keinen Anspruch auf einen bestimmten Strand geltend machen könne, was auch dem Initiativgründer einleuchtet. Der grundsätzliche Anspruch aus § 62 BNatSchG sei aber nicht mehr verwirklicht, wenn man alle Nordseestrände zu privaten Freizeitbädern erklärt.
Sollte das Berufungsgericht die Sachlage also anders sehen und den Strand doch als einen Teil der freien und ungenutzten Landschaft ansehen, bräuchte die Gemeinde eine Ermächtigungsgrundlage, um den Zugang zu beschränken. Just erklärt, dass zwar andere Bundesländer wie Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern durch Ausführungsgesetze zum BNatSchG die Möglichkeit eingeschränkt hätten, ihre Strände frei zu betreten. Indem sie Teile der Küste zu Sondernutzungsgebieten erklärt haben, können sie für diese Abschnitte auch Gebühren erheben. Allerdings betonten auch diese Gesetze, dass ein angemessenes Verhältnis zwischen freien und kostenpflichtigen Stränden gewahrt bleiben müsse. Niedersachsen habe eine solche Regelung aber nicht getroffen, als 2010 das neue BNatSchG in Kraft trat. Deswegen gelte weiterhin der Zugangsanspruch des Bundesrechts und die Strände müssten frei bleiben, so die Argumentation des Gründers der Initiative.
Das VG Oldenburg hat die Berufung zum Oberverwaltungsgericht Lüneburg zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe. Ein abänderndes Urteil könnte weitreichende Folgen für viele andere Badeorte in Niedersachsen haben, denn fast alle kassieren Strandeintritt. Auch in Schleswig-Holstein schaut man auf die Entscheidung, denn teilweise werden Badegäste auch dort verpflichtet, Eintritt zu bezahlen, Zäune gibt es aber nirgendwo.
Selbst wenn die Berufung erfolgreich sein sollte, wird es aber auch in Zukunft keinen kostenlosen Badespaß in Hooksiel geben. Vor der Urteilsverkündung in Oldenburg hat der Bürgermeister Hinrichs angekündigt, seine Gemeinde würde dann entweder eine Parkgebühr von den Badegästen nehmen oder einen Tageskurbeitrag wie auf den Ostfriesischen Inseln erheben. Auch dann wäre der Streit aber nicht vorbei – Just überlegt sich bereits jetzt, wie er dagegen klagen könnte.
Anne-Christine Herr, 3 Euro Eintritt für die Nordsee: Kein freier Strand für freie Bürger . In: Legal Tribune Online, 24.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13295/ (abgerufen am: 18.04.2024 )
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