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VG Gelsenkirchen entscheidet im Eilverfahren: AfD darf Stadt­halle in Essen für Bun­de­s­par­teitag nutzen

von Tanja Podolski

14.06.2024

Die Grugahalle in Essen

Die AfD darf die Grugahalle in Essen für den Bundesparteitag nutzen. Foto: Messe Essen GmbH

Die Stadt Essen muss der AfD die Grugahalle für deren Bundesparteitag zur Verfügung stellen. Das hat als erstes Gericht das VG Gelsenkirchen entschieden. Gleich mehrere Juristen hatten der Stadt dieses Ergebnis vorausgesagt.

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Das Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen hat die erste Entscheidung in Sachen AfD gegen die Stadt Essen getroffen: Danach muss die Stadt der Partei die Grugahalle für den Bundesparteitag am 29. und 30. Juni 2024 zur Verfügung stellen und darf dies nicht von einer "strafbewehrten Selbstverpflichtungserklärung" abhängig machen (Beschl. v. 14.06.2024, Az. 15 L 888/24).

Die AfD hatte bereits Anfang 2023 mit der Messe Essen einen Mietvertrag über die Stadthalle abgeschlossen. Die Stadt ist Mehrheitsgesellschafter der Messe Essen. Seit Anfang dieses Jahres versuchte die Stadt, Wege aus dem Mietvertrag heraus zu finden. Das gipfelte in einem Ratsbeschluss im Mai. Danach sollte die Messe den Mietvertrag kündigen, wenn die Partei keine strafbewehrte Selbstverpflichtung abgibt. Laut dieser sollte die AfD sicherstellen, dass Teilnehmende oder Besucher:innen des Bundesparteitages keine strafbaren Handlungen unternehmen (etwa verbotene SA-Parolen sagen), ansonsten müsse sie eine Vertragsstrafe in Höhe von bis zu 500.000 Euro zahlen. Die AfD gab diese Erklärung nicht ab, die Messe Essen kündigte daraufhin den Mietvertrag.

Die AfD – vertreten von Dr. Christian Conrad und Michael Fengler von der Kölner Kanzlei Höcker – wandte sich jeweils in Eilverfahren einerseits an das Landgericht (LG) Essen und zudem an das VG Gelsenkirchen. Beim LG beantragte die Bundespartei die Feststellung, dass die Überlassung der Grugahalle aus dem Mietvertrag zu gewähren sei. Vor dem VG beantragten die AfD-Ratsfraktion Essen und auch die Bundespartei, die Stadt Essen zu verpflichten, Zugang zur Halle zu verschaffen. Dieser Anspruch auf Zugang richtet sich nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften, da die Stadthalle eine öffentliche Einrichtung ist und die Stadt mit dem Ratsbeschluss öffentlich-rechtlich gehandelt hat. Die konkrete Ausgestaltung der Nutzung kann sich dann – wie hier dem Mietvertrag – nach den zivilrechtlichen Regeln richten. Antragsgegnerin beim VG war daher die Stadt Essen selbst, die Messe war beigeladen.

Anspruch aus PartG und GG

Das VG entschied nun, dass die Bundespartei einen Anspruch auf Zugang zu der Halle aus dem Gleichbehandlungsanspruch aus § 5 Abs. 1 S. 1 Parteiengesetz (PartG) i. V. m. Art. 3 Abs. 1 und 3 S. 1 sowie Art. 21 Grundgesetz (GG) hat. Auf die Gemeindeordnung (GO), die in diesen Fällen oft die einschlägigen Normen bietet, kann die Bundespartei sich hingegen nicht berufen. Diese erfordern, dass die Antragssteller Einwohner sind oder den Sitz im Gemeindegebiet haben – das trifft für die hier agierende Bundespartei nicht zu.

Der Anspruch aus dem PartG und GG reicht aber für den Zweck aus, den die AfD verfolgt: Da die Stadt auch anderen Parteien die Halle für Parteitage zur Verfügung stellt, muss diese wegen des Gleichbehandlungsgebots auch für die AfD zur Verfügung stehen, jedenfalls so lange die AfD nicht verboten ist oder selbst zu strafbaren Handlungen aufruft. An eine solche Gefahrenprognose seien aber "strenge Anforderungen zu stellen", legt das VG in dem Beschluss dar, der LTO vorliegt. Erforderlich sei "eine hohe Wahrscheinlichkeit von Rechtsverletzungen", die in diesem Fall nicht vorliege.

Die Stadt hatte noch argumentiert, dass es hinreichend wahrscheinlich sei, dass beim Bundesparteitag etwa NS-Parolen geäußert werden könnten. Als Beleg für diese Prognose hat sie das von der Stadt beauftragte Gutachten eines Soziologen angeführt. Der kam zu dem Ergebnis, dass es vor dem Hintergrund zunehmender Radikalisierungstendenzen innerhalb der AfD, welche in der elfjährigen Parteigeschichte zu beobachten seien, konkreter Anhaltspunkte dafür gebe. Dieser Einschätzung folgte das VG aber nicht.

VG lässt kein gutes Haar am soziologischen Gutachten

"Der Ausarbeitung fehlt bei genauer Betrachtung jeder empirische Gehalt", schreibt das VG in seinen Beschluss. Der Stellungnahme fehle "als wissenschaftliche Ausarbeitung im Sinne einer (parteilichen) gutachterlichen Stellungnahme grundlegend die Darstellung angewandter wissenschaftlicher Methoden und deren Abarbeitung für eine empirische Ergebnisfindung". Der Verfasser schließe zudem von mündlichen oder schriftlichen Äußerungen einzelner Personen auf die von ihm angenommene Wahrscheinlichkeit, solche Äußerungen würden auch auf dem AfD-Bundesparteitag fallen. "Die Annahme kann zutreffen, sie muss es aber nicht", so das VG, und weiter: "Das ist nicht wissenschaftlich, jedenfalls belegt sie keine tatsachenbasierte Prognose, die geeignet ist, aufgrund stichhaltiger Anhaltspunkte eine hinreichend gefestigte Gefahrenprognose zu treffen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die Äußerung strafbaren Inhalts erwarten lässt."

Um eine genaue Prognose anzustellen, müsse man die Redebeiträge kennen, so das VG – und selbst dann könne man keine spontanen Wortmeldungen im Vorfeld beurteilen. "Zwar sieht das Gericht, dass jedes Thema in seinem Verlauf oder auch durch spontane Äußerungen in den strafbaren Bereich führen kann, dies bliebe dann einer strafrechtlichen Aufarbeitung vorbehalten", heißt es in dem Beschluss. Bei diesem konkreten Bundesparteitag könnten zudem nur Delegierte sprechen, von denen bisher unbestritten keine Person eine strafbare Äußerung getätigt habe. Frühere Äußerungen von Mitgliedern des Bundesvorstands anlässlich des Urteils des LG Halle vom 14. Mai 2024 seien als überzogene und bisweilen unsachliche Urteilskritik in einem Rechtsstaat grundsätzlich hinzunehmen. Das VG bezieht sich damit auf das Strafurteil gegen Björn Höcke wegen der Äußerung einer NS-Parole. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Drei Kanzleien hatten Ergebnis vorausgesagt

Gegen den Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht NRW in Münster zu. Zudem ist weiter das Verfahren vor dem LG anhängig, dort soll am kommenden Montag mündlich verhandelt werden. Mit Blick auf die für Jurist:innen recht eindeutige Rechtslage darf die Prognose gestellt werden, dass auch das LG die Stadt verpflichten wird, den Zugang ohne die Selbstverpflichtung zu gewähren. Es dürfte keine Rechtsgrundlage für eine Kündigung oder die Aufhebung des Vertrags finden.

So hatten es bereits schon drei Kanzleien – darunter die jetzt in dem Verfahren vor dem VG tätigen – im Vorfeld der Entscheidung vorausgesagt. Die Stadt selbst wurde von der Kanzlei Luther vertreten, die Messe von der Kanzlei Görg. Beide Kanzleien und zudem eine weitere lokale Kanzlei hatten der Stadt dieses Ergebnis in jeweils eigenen Gutachten vorausgesagt. Erst auf diese abschlägigen Rechtsgutachten hin hatte die Stadt den Soziologen beauftragt.

Den weiteren Antrag der Fraktion der AfD im Rat der Stadt Essen und zwei Ratsmitgliedern der AfD auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das Gericht abgelehnt (Beschl. v. 14.06.2024, AZ. 15 L 881/24). Auch diese Personen halten den Ratsbeschluss vom 29. Mai 2024 für rechtswidrig und verlangen vom Oberbürgermeister der Stadt Essen, die Messe Essen GmbH anzuweisen, der AfD die Grugahalle für den 15. Bundesparteitag wieder zur Verfügung zu stellen. Dieses mit dem Antrag verfolgte Ziel betraf nach der Entscheidung des Gerichts nicht ihre eigenen Rechte als Fraktion bzw. Ratsmitglieder.

Die Beteiligten können gegen die Entscheidungen Beschwerde bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen einlegen.

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VG Gelsenkirchen entscheidet im Eilverfahren: . In: Legal Tribune Online, 14.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54772 (abgerufen am: 17.11.2025 )

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