Gericht bestätigte Sprachverbot auf Palästina-Demo: Das ver­ges­sene Grund­recht

Gastbeitrag von Tabea Nalik

29.03.2025

Demonstrierenden nur den Gebrauch bestimmter Sprachen zu erlauben, ist laut VG Berlin mit der Meinungsfreiheit vereinbar. Dabei übersah das Gericht die Kunstfreiheit, meint Tabea Nalik. Der palästinensische Protest lebt auch vom Gesang.

Anfang Februar erklärte das Verwaltungsgericht (VG) Berlin die Auflösung einer propalästinensischen Demonstration auf dem Berliner Wittenbergplatz im Eilverfahren für rechtmäßig. Die Auflösung war erfolgt, weil die Demonstrierenden Arabisch gesprochen hatten und es arabischsprachige Musikdarbietungen gegeben hatte. Was zunächst harmlos klingt, war in diesem Fall ein Verstoß gegen eine Versammlungsauflage. Die Polizei hatte im Vorfeld u.a. verfügt, dass nur der Gebrauch der deutschen und der englischen Sprache auf dieser Demonstration erlaubt ist.

Das umfassende Fremdsprachenverbot begründete die Polizei mit einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit gemäß § 14 Abs. 1 des Berliner Versammlungsfreiheitsgesetzes (VersFG). Bei thematisch vergleichbaren Demonstrationen wären in jüngster Vergangenheit immer wieder strafrechtlich relevante Äußerungen getätigt worden, das Sprachverbot solle Verstößen gegen die Rechtsordnung entgegenwirken. Der Verweis bezieht sich auf Äußerungen, die etwa als Volksverhetzung (§ 130 Strafgesetzbuch, StGB) oder als Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§ 86a StGB) von Tatbeständen des Äußerungsstrafrechts erfasst werden. 

Das VG Berlin hielt diese Begründung in einem am 8. Februar ergangenen Eilbeschluss (Az. 1 L 47/25) für überzeugend. Sofern die Beschränkung Grundrechte berühre, genüge sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Doch dabei übersah das Gericht ein zentrales Grundrecht: die Kunstfreiheit.

Gericht verweist auf Google Translate

Die Beschränkung greift in erster Linie in die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ein. Eingriffe in diese dürfen nach Art. 8 Abs. 2 GG auf Grundlage eines Gesetzes erfolgen. Ein solches Gesetz ist das Berliner VersFG das erst seit 2021 gilt und ein modernes Versammlungsgesetz sein will, das der Versammlungsbehörde nicht nur Befugnisse einräumt, sondern in § 3 auch Gebote zum Schutz der Versammlung und zur Deeskalation formuliert. Deshalb trägt es auch nicht den im Bund und in vielen Ländern geläufigen Namen Versammlungsgesetz, sondern heißt Versammlungsfreiheitsgesetz. 

Gleichzeitig betrifft das von der Berliner Polizei auf § 14 VersFG gestützte Sprachenverbot allerdings auch die Meinungskommunikation. Meinungen dürfen nicht mehr beliebig ausgesprochen werden, sondern eben nur auf Deutsch oder Englisch. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wendet die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG und die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG nebeneinander an (Beschl. v. 26.06.1990, Az. 1 BvR 776/84). Sofern eine Versammlungsbeschränkung die Meinungsfreiheit einschränkt, dürfte der mit ihr verfolgte Zweck folglich auch nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs in Art. 5 Abs. 1 GG stehen. 

Das VG Berlin begründet die Verhältnismäßigkeit des Sprachenverbots hinsichtlich der Meinungsfreiheit nun damit, "dass der Anreiz für ein z.B. nach §§ 86a Abs. 1 Nr. 1, 86 Abs. 2 StGB strafbares Verhalten sinkt, da dieses deutlich einfacher festgestellt werden kann, wenn die Verpflichtung zur Äußerung in – für die anwesende Polizei in der Regel ohne Weiteres verständlicher – deutscher oder englischer Sprache besteht". Selbst in die Meinungsäußerungsfreiheit von Personen, deren Muttersprache weder Deutsch noch Englisch sei, würde nicht unverhältnismäßig eingegriffen. Es gebe heutzutage das Internet – Demonstrierende könnten ihre Meinungen einfach vor Ort übersetzen, als mögliche App nennt das Gericht Google Translate. 

Dass Polizeiarbeit erleichtert werden soll, ist allerdings kein tragfähiges Argument zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Meinungsfreiheit. Das hat der Göttinger Staatsrechtler Florian Meinel unlängst in einem FAZ-Gastbeitrag dargelegt. Wenig Beachtung hat bislang erfahren, dass das Sprachenverbot auch die in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG verankerte Kunstfreiheit betrifft. Über sie verlieren weder Polizei noch Verwaltungsgericht ein Wort.

Trommeln und Gesänge – mehr als nur Beiwerk

Auf Pro-Palästina-Demonstrationen lässt sich meist mehr hören als bloßes Sprechen. Durch ihre Lautstärke fallen vor allem die Trommeln auf: Instrumente wie die Tablah oder die Daff kommen traditionell bei festlichen Anlässen wie Hochzeiten oder Geburtstagen zum Einsatz. Im Rahmen der Proteste trommeln Demonstrierende variierende Rhythmen, um Gesänge zu untermalen. Dabei handelt es sich entweder um traditionelle Volkslieder oder gesungene Parolen, die oft auf bekannte Sprichwörter zurückgehen. Letzteres steht in der Tradition palästinensischer Volksmusikpraktiken wie Ataaba oder Dal’ona, bei denen zu vorgegebenen Rhytmen Liedtexte improvisiert werden, die bestimmten Metriken und Reimschemata folgen.

Die Protestierenden zeigen ihre Solidarität mit Palästina im Kontext des Nahost-Konflikts also auch, indem sie Elemente der palästinensischen Kultur präsentieren. Die Grenzen zwischen Meinungsäußerung und künstlerischer Darbietung sind fließend. 

Musikalische Mittel erwartete die Polizei auch vor der Versammlung auf dem Wittenbergplatz. Die von ihr erlassene Versammlungsbeschränkung enthielt etwa eine Quote von höchstens einer Trommel pro hundert Teilnehmenden. 

Eine Ausnahme künstlerischen Sprachgebrauchs vom Fremdsprachenverbot allerdings enthielt sie nicht. Im "Anstimmen eines Liedes weder in deutscher noch in englischer Sprache", wie es im Polizeibericht heißt, sah die Polizei dann einen Verstoß gegen die Beschränkung und löste die Versammlung auf.

Warum die Kunstfreiheit auch im Versammlungsrecht zu beachten ist

Das BVerfG betont schon seit den 70er Jahren in ständiger Rechtsprechung, dass die Auslegung des verfassungsrechtlichen Kunstbegriffs nicht zu einer staatlichen Stil-, Niveau- oder Inhaltskontrolle von Kunst führen darf (etwa Az. 1 BvR 435/68 u. 1 BvR 313/85). Um eine solche Inhaltskontrolle zu vermeiden, erfasst das BVerfG Kunst anhand ihrer spezifischen Strukturmerkmale, die es mithilfe einer formalen, einer materiellen und einer offenen Kunstbetrachtung herausarbeitet. Dass nach diesem Maßstab selbst Lieder mit frauenverachtenden, homophoben und gewaltverherrlichenden Inhalten Kunst sein können, stellte es 2022 in einem aufsehenerregenden Fall um ein Album des Gangsta-Rappers Bushido fest (Beschl. v. 20.10.2022, Az. 1 BvR 201/20). Unerheblich ist darüber hinaus, ob die Neuschöpfung eines Werkes oder eine nachschöpfende Interpretation infrage steht. Es sind etwa auch Schauspielende, die Theaterstücke einem Publikum vermitteln, von der Kunstfreiheit geschützt (Urt. v. 17.07.1984, Az. 1 BvR 816/82).

Demnach dürfte sowohl das Singen von Volksliedern mit festgeschriebenen Texten als auch das bestimmten palästinensischen Volksmusikpraktiken folgende Improvisieren von Gesängen von der Kunstfreiheit erfasst sein. Und diese Kunstfreiheit ist im Gegensatz zur Versammlungsfreiheit schrankenlos gewährleistet, kann also nur zum Schutz anderer Güter von Verfassungsrang eingeschränkt werden. Welcher Gesetzesvorbehalt ist nun auf Versammlungen anzuwenden, bei denen gleichzeitig Kunst dargeboten wird? 

Das Verhältnis von Versammlungs- und Kunstfreiheit wurde vor dem BVerfG 1984 im Fall des "Anachronistischer Zuges" relevant. Das BVerfG hatte über die Verfassungsbeschwerde eines Schauspielers zu entscheiden. Der war für seine satirische Darstellung des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten und Unions-Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß wegen Beleidigung nach § 185 StGB verurteilt worden. Der Erste BVerfG-Senat sah in der strafrechtlichen Verurteilung des Schauspielers eine Verletzung seiner Kunstfreiheit (Urt. v. 17.07.1984, Az. 1 BvR 816/82). Er wertete das Straßentheater also als Kunst und als Versammlung zugleich. Die Verurteilung nach § 185 StGB maßen die Richter:innen an Art. 5 Abs. 3 GG. 

Daraus folgerten die Verwaltungsgerichtshöfe Bayern und Hessen in ähnlich gelagerten Fällen, dass politische Straßentheater zwar grundsätzlich nach Art. 8 Abs. 2 GG mit Auflagen belegt werden dürfen. Greifen solche Auflagen jedoch in die mit künstlerischen Mittel ausgestaltete Meinungskommunikation ein, sind sie auch an Art. 5 Abs. 3 GG zu messen (VGH Bayern, Beschl. v. 17.09.2009, Az. 10 CS 09.2309; v. 24.02.2015, Az. 10 CS 15.43; VGH Hessen, Urt. v. 17.03.2011, Az. 8 A 1188/10). 

Folgt man dem, hängt die Verfassungsmäßigkeit des Sprachverbots in Berlin also auch davon ab, ob der damit verbundene Eingriff in Art. 5 Abs. 3 GG gerechtfertigt ist. Das beachteten weder Polizei noch VG. Sie gingen nur auf die Meinungsfreiheit ein. Jedoch ist der Eingriff in die Kunstfreiheit verfassungsrechtlich anders zu bewerten als der in die Meinungsfreiheit.

Verweis auf das Strafrecht genügt nicht

Das beginnt schon beim Äußerungsstrafrecht, auf das die Berliner Polizei zur Rechtfertigung des Sprachenverbots verwies. Dieses nimmt Tätigkeiten, die der Kunstfreiheit unterfallen, an einigen Stellen explizit von der Strafbarkeit aus. So etwa in § 86a Abs. 3 oder § 130 Abs. 8 StGB, die beide auf § 86 Abs. 4 StGB verweisen. Demnach ist eine Äußerung nicht nach § 86a StGB wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen oder nach § 130 Abs. 2 bis 7 StGB wegen Volksverhetzung strafbar, wenn sie "der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient". 

Das bedeutet keinesfalls, dass antisemitische Hetzparolen der Strafbarkeit entgehen, sobald sie in Liedform vorgetragen werden. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist die Ausnahme eines Kunstwerks von der Strafbarkeit der Äußerungsdelikte im Einzelfall abzuwägen. Das stellte der Erste Senat 1987 im Fall eines Plakats fest, das ein FDJ-Emblem zeigte. Zu beachten sei, dass eine strafgerichtliche Verurteilung die Kunstfreiheit einschränke und entsprechend gerechtfertigt werden müsse. Dabei reiche es nicht aus, "die Einschränkung des vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts formelhaft […] mit der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege zu rechtfertigen". Vielmehr müsse die Verurteilung ein angemessenes Mittel zum Schutz eines anderen Verfassungsgutes sein (Urt. v. 03.11.1987, Az. 1 BvR 1257/84, 1 BvR 861/85).

Das VG will das Sprachenverbot aber gerade formelhaft mit der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege rechtfertigen: Äußerungsdelikte ließen sich leichter verfolgen, wenn sie auf Deutsch oder Englisch begangen werden, so die Argumentation. Wenn sich mit diesem pauschalen Hinweis ein entsprechendes Strafurteil nicht rechtfertigen ließe, genügt er auch nicht zur Rechtfertigung einer Versammlungsbeschränkung, die solche Strafurteile erst ermöglichen soll.

"Atemlos" auf Arabisch?

Darüber hinaus ist der Eingriff in die Kunstfreiheit nicht mit den Argumenten zu rechtfertigen, die den Eingriff in die Meinungsfreiheit rechtfertigen sollen. Diese beruhen nämlich auf der notwendigen Prämisse, dass sich Inhalt und Form der Meinungsäußerung grundsätzlich trennen lassen. Ansonsten wäre schon im Ansatz nicht denkbar, dass es rechtmäßig sein könnte, von einer Person zu fordern, ihre eigene in einer anderen Sprache gebildete Meinung auf Deutsch oder Englisch zu übersetzen.

Angenommen, man akzeptierte diese fragwürdige Annahme hinsichtlich gesprochener Meinungsäußerungen noch, versagt sie spätestens im Hinblick auf künstlerische Darbietungen. Wird Sprache als künstlerisches Mittel verwendet, lassen sich Inhalt und Form nicht trennen. Die Übersetzung eines Liedtextes in eine andere Sprache würde das eigentliche Kunstwerk beseitigen – schon weil es dann gar nicht mehr in den bisherigen Rhythmus passt oder sich nicht mehr reimt. Man stelle sich einmal vor, der deutsche Schlagerhit "Atemlos durch die Nacht" von Helene Fischer dürfte nur auf Arabisch gesungen werden. Wer das einmal über Google Translate versucht, wird mit der Aussprachefunktion feststellen, dass لاهث طوال الليل keine wirkliche ZDF-Sommergarten-Stimmung verbreitet. Entsprechend abwegig wäre die Forderung, palästinensische Volksmusik auf Deutsch oder Englisch zu übersetzen.

Das Sprachverbot macht es also gänzlich unmöglich, während der Versammlung Lieder darzubieten, deren Texte in einer anderen Sprache als Deutsch oder Englisch formuliert sind. Das ist ein gravierender Eingriff in die Kunstfreiheit, weil die Gesänge eben zur Protestbewegung dazugehören. Dass weder Polizei noch VG Berlin Gründe für die Verhältnismäßigkeit des Sprachenverbots im Hinblick auf die Kunstfreiheit der Demonstrierenden vortragen, lässt erhebliche Zweifel an dessen Verfassungsmäßigkeit aufkommen.

Besonders bemerkenswert ist diese Vernachlässigung der Kunstfreiheit, wenn man sich die Wirkung vor Augen führt, die die Entscheidung über den Einzelfall hinaus haben könnte: Das VG erklärt nicht irgendeine Versammlungsbeschränkung für rechtmäßig, sondern eine, die nicht-deutschsprachige Kunst temporär und örtlich begrenzt aus dem öffentlichen Raum ausschließt. Vor dem Hintergrund des Erstarkens rechtsextremer Parteien insbesondere in ostdeutschen Bundesländern ist es ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt, einen solchen Präzedenzfall für autoritäres polizeiliches Vorgehen gegen kulturelle Vielfalt zu schaffen.

Die Autorin Tabea Nalik ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Staatstheorie und Öffentliches Recht, insbesondere Staats- und Europarecht an der BSP Business & Law School Berlin und promoviert an der Georg-August-Universität Göttingen im Bereich der Verfassungstheorie und des Kulturverfassungsrechts.

Zitiervorschlag

Gericht bestätigte Sprachverbot auf Palästina-Demo: . In: Legal Tribune Online, 29.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56894 (abgerufen am: 29.04.2025 )

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