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Versammlungsfreiheit: Polizeiliche "Vermessung" von Atomkraftgegnern

von Klaus Weber

25.10.2010

Bald rollen die nächsten Castor-Transporte zum Endlager Gorleben, die ersten Demonstrationen finden schon statt. Die Polizei in Niedersachsen hat schon vorab aktenkundige Umweltaktivisten zu "erkennungsdienstlichen Maßnahmen" vorgeladen. Klaus Weber erklärt, warum es dabei um mehr als das bloße Erfassen von Fingerabdrücken geht.

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Die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 des Grundgesetzes (GG) garantiert die Teilnahme an Versammlungen friedlicher Art. Dabei beginnt dieser Schutz nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits im Vorfeld der Versammlung. Die Anreise zu einer Versammlung ist wie auch das Zusammenkommen zu dieser grundrechtlich ebenso geschützt wie auch die Werbung dafür. Denn der gesamte Vorgang des Sich-Versammelns genießt nach Art. 8 grundrechtlichen Schutz.

Diesen Grundsatz hat das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich wieder in einem versammlungsrechtlichen Beschluss (vom 12.5.2010, Az. 1 BvR 2636/04) betont. Es ging bei dieser Verfassungsbeschwerde um eine Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG gegenüber Versammlungsteilnehmern: Alle teilnehmenden Personen sollten vor Beginn der Versammlung polizeilich durchsucht werden.

Diese Auflage greift in die Versammlungsfreiheit ein, da sie den freien Zugang zu der Versammlung behindert. Außerdem entfaltet sie einschüchternde und diskriminierende Wirkung, weil potentielle Teilnehmer von einer Teilnahme abgehalten werden.

Zwar dienen polizeiliche Durchsuchungen im Vorfeld nur dazu, es den Teilnehmern zu ermöglichen, von ihrer Versammlungsfreiheit friedlich Gebrauch zu machen. Jedoch fehlten im konkreten Fall tatsächliche und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür, dass die Teilnehmer der geplanten Versammlung wegen der Möglichkeit von Gegendemonstranten überhaupt "Gegenstände zur Schutz- und Trutzwehr" mit sich führen wollten.

Sind Demonstranten potentielle Straftäter?

Nun wurden schon im Vorfeld geplanter Demonstrationen gegen Castor-Transporte in Niedersachsen etliche Personen zur "polizeilichen Vermessung" vorgeladen. Die Behörden beriefen sich dabei auf  § 81 b StPO. Nach dieser Vorschrift dürfen, soweit es für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist, Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden.

Nach Medienberichten ist allerdings keiner der Betroffenen bisher strafrechtlich verurteilt worden. Es gab nur Ermittlungsverfahren, die aber alle mangels hinreichendem Tatverdacht oder wegen geringer Schuld eingestellt wurden. Trotzdem begründen die Behörden die Vorladung jetzt mit der effektiven Vorsorge zur Verhinderung von Straftaten bei Versammlungen. Es handele sich dabei nur um einen geringen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der betreffenden Personen.

Diese sind nicht bei der Polizei erschienen, sondern haben mittlerweile Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht.

Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein

Auch im vorliegenden Fall besteht - wie im angesprochenen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - ein enger Bezug zur Versammlungsfreiheit nach Art. 8 des Grundgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht betont immer wieder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Eingriffsmaßnahmen. Es wird deshalb zur Rechtfertigung der beabsichtigten polizeilichen "Vermessungen" nicht genügen, nur auf bisher ergebnislose Ermittlungsverfahren zu verweisen.

Die einschüchternde Wirkung der geplanten polizeilichen "Vermessungen" steht außer Frage. Die betroffenen Personen stehen im Fokus polizeilicher Beobachtung und werden sich deshalb eine Teilnahme an Demonstrationen sehr genau überlegen.

Im Ergebnis läuft die Vorladung damit auf eine Einschränkung der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit hinaus. Die Maßnahme ist unverhältnismäßig und könnte nur bei rechtskräftigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Demonstrationen in Betracht kommen.

Bei normalen Straftaten ist diese Vorgehensweise unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr sicher vertretbar. So hat das VG Stade in einem Beschluß vom 9. März 2010 (1 B 1530/09) die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme nach § 81 b StPO bejaht. Dabei ging es um mehrere Ermittlungsverfahren wegen des Vertriebs nicht zugelassener Arzneimittel mit erheblichen Risiken für potentielle Käufer.

Hier bewegen wir uns aber im Vorfeld von Art. 8 GG. Wenn auch eine unmittelbare Nähe zu einer Versammlung wie bei der vom Bundesverfassungsgericht gerügten Auflage fehlt, so besteht doch zumindest ein mittelbarer Bezug zur Versammlungsfreiheit im Hinblick auf geplante Demonstrationen. Deshalb kann der geplante Eingriff in das Persönlichkeitsrecht potentieller Versammlungsteilnehmer nicht als "geringfügig" bezeichnet werden. Die Klagen vor dem Verwaltunsggericht haben deshalb gute Erfolgsaussichten.

Regierungsdirektor Klaus Weber hat zahlreiche Beiträge zu versammlungsrechtlichen Themen verfasst. Im Frühjahr 2010 hat er das Buch "Sächsisches Versammlungsrecht" veröffentlicht. Im Dezember erscheint im Carl Link Verlag das Werk "Grundzüge des Versammlungsrechts unter Beachtung der Föderalismusreform".

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Klaus Weber, Versammlungsfreiheit: . In: Legal Tribune Online, 25.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1738 (abgerufen am: 17.05.2025 )

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