Sei Donnerstag debattieren beim Verkehrsgerichtstag in Goslar Experten darüber, ob der Gesetzgeber eine Promillegrenze von 1,1 Prozent für Radfahrer einführen soll, ab der ein Bußgeld fällig wird. Referent Uwe Scheffler erklärt im Interview, wie das rechtlich möglich wäre, warum er es für nicht sinnvoll hält und wieso betrunkene Radfahrer für ihn das kleinere Übel sind.
LTO: Ein Arbeitskreis des 53. Verkehrsgerichtstags, der vom 28. bis 30. Januar in Goslar stattfindet, debattiert über eine Absenkung der Promillegrenze für Radfahrer. Wie sieht denn die Rechtslage für Radfahrer in Deutschland derzeit aus?
Scheffler: Die allgemeine Strafbarkeit des alkoholisierten Fahrens regelt zunächst § 316 Strafgesetzbuch (StGB). Danach wird bestraft, wer infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, ein Fahrzeug – darunter fallen auch Fahrräder - im Verkehr "sicher zu führen".
Diesen unbestimmten Rechtsbegriff hat der Bundesgerichtshof (BGH) definiert. Er sieht die Grenze der sogenannten absoluten Fahrunsicherheit von Radfahrern bei 1,6 Promille erreicht. Autofahrer gelten schon ab einem Wert von 1,1 Promille als absolut fahruntüchtig.
Daneben gibt es noch die sogenannte relative Fahrunsicherheit. Die Rechtsprechung setzt hier bei Auto- und Radfahrern gleich an. Ab einer Blutalkoholkonzentration von 0,3 Promille kann der Straftatbestand erfüllt werden, wenn der Fahrer zusätzliche alkoholbedingte Ausfallerscheinungen zeigt. Bei Radfahrern ist das, zumindest, wenn es nicht zu einem Sturz kommt, sehr schwer festzustellen, denn einige neigen auch nüchtern zu einem nicht sonderlich gesetzmäßigen Verhalten im Straßenverkehr, überfahren rote Ampeln oder halten nicht die Fahrspur.
Einen Grenzwert, bei dem man sich zwar nicht strafbar macht, jedoch ein Bußgeld und "Punkte in Flensburg" wegen einer Ordnungswidrigkeit bekommt, gibt es für Radfahrer nicht. Für Autofahrer ist eine solche Ahndung in § 24a Straßenverkehrsgesetz (StVG) vorgesehen, wenn die Blutalkoholkonzentration 0,5 Promille überschreitet.
"Jedes Kind darf Rad fahren"
LTO: Wie wird der Unterschied zu den Autofahrern begründet? Der Vizepräsident des Automobil-Clubs Verkehr, Jürgen Koglin, sieht offensichtlich keinen, wenn er sagt: "Wer kein vierrädriges Fahrzeug mehr unter Kontrolle hat, hat auch kein zweirädriges mehr im Griff." Stimmen Sie ihm zu?
Scheffler: Die Verkehrsmedizin geht davon aus, dass ein Fahrrad weniger hohe Anforderungen an seinen Fahrer stellt als ein Auto.
Das wurde in den achtziger Jahren wissenschaftlich bestätigt. 1984 hat der Gießener Rechtsmediziner Prof. Günter Schewe Untersuchungen an Radfahrern durchgeführt. Das Ergebnis: Erst mit 1,5 Promille ist jeder Radfahrer fahrunsicher. Mit einem Sicherheitszuschlag von 0,1 kommt man daher auf die immer noch geltende Zahl von 1,6. Bei Autofahrern waren in einer anderen Studie schon praktisch alle Testpersonen ab 1,0 Promille nicht mehr in der Lage, ihr Fahrzeug sicher zu führen. Durch den Sicherheitszuschlag erklärt sich so unsere heutige 1,1-Promillegrenze.
Der Gesetzgeber bestätigt diese Ergebnisse durch seine klare Wertung. Jedes Kind darf Rad fahren, man braucht weder Fahrerlaubnis noch Sehtest. Bereits ab zehn Jahren müssen Kinder, gibt es keinen Radweg. auf der Fahrbahn radeln. Autos hingegen gelten wirklich als gefährlich – da wird geprüft auf Theorie, Praxis und Eignung.
"Bei 1,0 Promille nehmen die Ausfallerscheinungen stark zu"
LTO: Weshalb werden trotzdem immer häufiger Änderungen dieser Grenzen für Radfahrer vorgeschlagen und wie stark will man sie absenken?
Scheffler: Die Befürworter einer Absenkung der Grenze wollen allgemein den Straßenverkehr sicherer machen. Sie soll eine ähnlich positive Wirkung wie frühere Absenkungen bei den Autofahrern bringen: weniger Alkoholfahrten und -unfälle, langfristig ein Rückgang der durchschnittlichen Alkoholpegel bei Verunglückten, weniger verletzte und getötete Radfahrer.
Hinsichtlich der konkreten Zahl argumentieren sie mit Erkenntnissen der Alkoholforschung, wonach ab ca. 1,0 Promille die alkoholbedingten Ausfallerscheinungen stark zunehmen, und wollen deshalb den schon bekannten Wert von 1,1 übernehmen.
"Wissenschaftliche Tests kamen nicht zum von vielen gewünschten Ergebnis"
LTO: Welche konkreten Änderungsvorschläge stehen im Raum?
Scheffler: Vor circa drei Jahren fing man an, darüber zu diskutieren, ob die Grenze für die absolute Fahruntüchtigkeit in § 316 StGB von 1,6 auf 1,1 Promille gesenkt werden sollte. Diese von ihr selbst definierte Grenze darf die Rechtsprechung aber nicht einfach ändern, ohne sich auf neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu stützen.
Also wollte man der Justiz die empirische Rechtsgrundlage verschaffen. Der Gesamtverband der Versicherer gab einen Auftrag an das rechtsmedizinische Institut in Düsseldorf, welches vom Referenten des Verkehrsgerichtstags, Herrn Kollegen Daldrup, geleitet wird.
Die Studie kam jedoch zu einem überraschenden Ergebnis. Die Werte von 1984 sind eher in anderer Richtung falsch. Einige Testpersonen konnten sogar mit über 1,6 Promille noch recht gut Rad fahren. Die neue Untersuchung konnte man damit nicht zur von vielen gewünschten Änderung der Rechtsprechung heranziehen.
Anne-Christine Herr, Referent beim Verkehrsgerichtstag: . In: Legal Tribune Online, 30.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14524 (abgerufen am: 16.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag