Kosten für verschreibungspflichtige Verhütungsmittel sind so hoch, dass viele Frauen sie sich nicht leisten können. Susanne Dern und Maria Wersig schlagen vor, Verhütung als Bestandteil der Daseinsvorsorge im Sozialrecht zu verankern.
In Deutschland hängt der Zugang zu Verhütung oft von Einkommen, Alter und Versicherungsstatus ab – eine Grenze, die viele Frauen und Menschen in prekären Lebenslagen zu überwinden haben. Diese Ungleichheit betrifft die Gesundheit und berührt zentrale Rechtsprinzipien: Gleichstellung, das Existenzminimum und die reproduktive Selbstbestimmung.
Aus menschenrechtlicher Perspektive gehört der Zugang zu Verhütungsmitteln zum Kern des Rechts auf Gesundheit und auf reproduktive Selbstbestimmung, wie es unter anderem in Artikel 12 des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und in Artikel 12 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) verankert ist. Doch derzeit tragen viele allein die Kosten, Anpassungen im Sozialrecht bleiben unzureichend, und der Zugang zu modernen Methoden ist stark fragmentiert.
Verhütungskosten von 20 Cent bis 500 Euro
In Deutschland übernimmt die gesetzliche Krankenversicherung bis zum 22. Geburtstag die Kosten verschreibungspflichtiger Verhütungsmittel (§ 24a SGB V). Danach müssen Frauen die Ausgaben selbst tragen. Verschreibungspflichtige Verhütungsmittel für Männer gibt es nicht. Daher liegt die Kostenverantwortung insbesondere für Langzeitverhütungsmittel faktisch allein bei Frauen.
Im Existenzsicherungsrecht besteht eine Bedarfsunterdeckung: Im Eckregelsatz des Bürgergeldes sind für "Gesundheitspflege" 3,82 Prozent vorgesehen – das entspricht knapp 21,50 Euro pro Monat. Dieser Betrag muss jedoch auch Medikamente, Hilfsmittel und andere Gesundheitsausgaben abdecken, die nicht vom der Krankenversicherung übernommen werden. Realistisch reicht er für Verhütung nicht aus.
Nach Angaben von gesundheitsinformation.de kostet eine Kombi-Pille etwa 20 Euro pro Monat, die Minipille sieben bis 25 Euro, der Verhütungsring rund zwölf Euro, das Verhütungspflaster etwa 13 Euro. Ein Hormonimplantat kostet 300 bis 450 Euro (für drei Jahre), eine Hormonspirale etwa 400 Euro, Kupferspiralen liegen bei 120 bis 300 Euro, Kupferketten bei 250 bis 300 Euro, Kupferbälle bei 300 bis 500 Euro, jeweils zuzüglich Kontrollkosten. Kondome sind mit 20 Cent pro Stück, latexfreie Varianten mit etwa einem Euro, vergleichsweise günstig. Wer von Bürgergeld lebt, kann sich Verhütung also nicht verlässlich leisten. Armut wird damit zum Risiko für unsichere Verhütung.
Besonders problematisch ist, dass Frauen in prekären Lagen häufiger ganz verzichten oder auf weniger sichere Methoden ausweichen, wie WHO- und BZgA-Daten belegen. Studien wie "frauen leben 3" und das Modellprojekt "biko", durchgeführt von pro familia, zeigen: Zwei Drittel der Sozialleistungsbezieherinnen tragen die Kosten allein, nur jede Vierte teilt sie mit dem Partner. Viele strecken Pillenpackungen, legen Einnahmepausen ein oder verzichten ganz. Das hat Folgen: mehr ungewollte Schwangerschaften, höhere Abbruchraten und gesundheitliche Belastungen. Finanzielle Gründe sind ein Hauptmotiv für Abbrüche. Kommunale Angebote zur Übernahme der Kosten für bestimmte Gruppen bieten keine verlässliche Abhilfe für dieses Problem.
Deutschland verletzt Menschenrechtsvorgaben
Dabei stellte im Jahr 2010 das Bundesverfassungsgericht klar: Das soziokulturelle Existenzminimum darf nicht unterschritten werden. Wenn Verhütungskosten nicht tragbar sind, ist dieses Minimum verletzt. International wird der Druck größer: Der Ausschuss der Vereinten Nationen, der über die Umsetzung der UN Frauenrechtskonvention wacht, kritisierte 2017 den eingeschränkten Zugang zu Verhütung für einkommensschwache Frauen in Deutschland. Die parlamentarische Versammlung des Europarats empfahl im Jahr 2020 die kostenfreie bzw. bezahlbare Bereitstellung aller Methoden, inklusive Notfallkontrazeption. Deutschland verletzt also durch die aktuellen Regelungen menschenrechtliche Vorgaben. Das Menschenrecht auf reproduktive Selbstbestimmung verpflichtet den Staat nicht nur, Eingriffe zu unterlassen, sondern auch, Rahmenbedingungen zu schaffen, die eigenständige Entscheidungen tatsächlich ermöglichen.
Sozialverbände wie pro familia oder AWO verweisen in ihren Stellungnahmen regelmäßig auf das Menschenrecht auf sexuelle und reproduktive Gesundheit, das einen diskriminierungsfreien Zugang zu Verhütungsmitteln und deren Wahl einschließt. Der Deutsche Juristinnenbund (djb) betont, dass reproduktive Rechte untrennbar mit dem verfassungsrechtlichen Gleichstellungsgebot aus Artikel 3 Absatz 2 GG verbunden sind. Eine geschlechtergerechte Sozial- und Gesundheitsgesetzgebung muss daher auch die tatsächliche Verfügbarkeit und Finanzierbarkeit von Verhütung sichern.
Regelung über das Krankenversicherungsrecht
Juristisch sind unterschiedliche Ansätze zur Lösung des Problems denkbar:
Zunächst käme ein eine Lösung im Existenzsicherungsrecht in Betracht, etwa durch eine Regelbedarfserhöhung. Die konkrete Bemessung ist jedoch schwierig, da Verhütungskosten stark variieren und bei Langzeitmethoden hohe Einmalbeträge anfallen. Praktikabler erscheint daher eine Mehrbedarfslösung, die den individuellen Bedarf je nach Verhütungsmethode abbildet. Ein pauschalierender Leistungskatalog könnte Richtwerte für verschiedene Verhütungsmittel festlegen, die vom Jobcenter zu gewähren sind. Weitere spezialgesetzlich Anpassungen könnten BaföG-Bezieher:innen über § 27 SGB II oder Asylbewerber:innen erfassen. Wichtig ist, dass die Regelung niedrigschwellig und nicht stigmatisierend ausgestaltet wird: Anträge müssen einfach sein, Nachweise minimal.
Vorzugswürdig erscheint daher eine Regelung im Krankenversicherungsrecht. Über eine krankenversicherungsrechtliche Lösung würde ein breiter Adressat:innenkreis erreicht, insbesondere auch die Bezieher:innen von existenzsichernden SGB II und XII-Leistungen (mittelbar) miterfasst. Lückenschlüsse jenseits des Krankversicherungssystems blieben nur für kleinere vulnerable Gruppen ohne Zugang zum regulären Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherungen nötig. Sowohl der Gesetzgebungsaufwand als auch der bürokratische Aufwand blieben im bewährten Abrechnungssystem der Krankenkassen gering. Jobcenter müssten sich nicht fachfremd mit diesen Intimbedarfen befassen, Frauen diese nicht offenlegen. So entsteht Rechtssicherheit und echte Wahlfreiheit. Eine Ausweitung könnte über eine Erhöhung der bisherigen Altersgrenze (22 Jahre) auf (zum Beispiel) 55 Jahre in § 24b SGB V erfolgen. Denkbar wäre auch das Leistungsspektrum auf nicht-verschreibungspflichtige Präparate – inkl. Kondome – zu erweitern, um Männer mit einzubeziehen und so Geschlechterstereotype in der Verhütungsverantwortung aufzubrechen.
Bis die Gesetzesreform kommt, sollten Jobcenter angewiesen werden, Mehrbedarfe für Verhütungsbedarfe dem Recht auf reproduktive Selbstbestimmung entsprechend (§ 21 Abs. 6 SGB II) zu gewähren (mindestes aber Darlehen nach § 24 Abs. 1) und Nachweispflichten sensibel zu handhaben.
Es braucht mehr als ein Signal
Der Koalitionsvertrag 2025 erklärt: "Der Zugang zu Verhütungsmitteln gehört zu einer verlässlichen Gesundheitsversorgung." Geprüft werden soll, ob ärztlich verordnete Präparate bis zum 24. Geburtstag kostenfrei sind. Das ist ein Signal in die richtige Richtung – aber ein unzureichendes. Nicht nur pro familia, Deutscher Frauenrat und djb fordern seit Jahren eine solidarische Lösung für alle. Deutschland bleibt damit hinter vergleichbaren europäischen Ländern zurück: Frankreich finanziert Verhütung bis 26 Jahre, Schweden trägt große Teile der Kosten.
Eine bundesgesetzliche Regelung würde den Flickenteppich kommunaler Fonds ersetzen und diskriminierungsfreien Zugang für alle sichern. Die Debatte um Verhütung ist mehr als Sozialrechtstechnik. Sie betrifft Grundrechte, Gleichstellung und Menschenwürde. Reproduktive Rechte sind Frauenrechte – sie gehören zu den Grundlagen einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft, in der Gleichstellung nicht nur normativ, sondern materiell verwirklicht wird. Erhalten Frauen keinen Zugang zu Langzeitverhütungsmitteln, sind sie – jedes Mal neu – abhängig von der Bereitschaft der Männer situativ die Verhütungsverantwortung zu tragen. Verhütung ist ein grundlegender Alltagsbedarf aller Geschlechter. Der Koalitionsvertrag gibt ein Signal, doch daraus muss eine verbindliche Regelung folgen.

Susanne Dern arbeitet als Professorin für das Recht der Sozialen Arbeit am Fachbereich Sozialwesen der HS Fulda. Sie ist Vorsitzende der Kommission Recht der Soziale Sicherung, Familienlastenausgleich des Deutschen Juristinnenbundes

Maria Wersig ist Professorin für Recht in der Sozialen Arbeit an der Fakultät Diakonie, Gesundheit und Soziales der Hochschule Hannover. Sie war von 2017 bis 2023 Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes.
Verhütung als eine Frage sozialer Gerechtigkeit: . In: Legal Tribune Online, 14.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58363 (abgerufen am: 07.11.2025 )
Infos zum Zitiervorschlag