Betäubt, vergewaltigt und dabei gefilmt: Niedersachsen fordert ein entschlosseneres Vorgehen gegen Vergewaltigungs-Netzwerke im Internet. Sowohl beim Besitz als auch beim Verbreiten von Vergewaltigungsvideos gebe es Strafbarkeitslücken.
Es sind Taten, die an den weltweit bekannt gewordenen Fall der Gisèle Pelicot aus Frankreich erinnern: Frauen werden heimlich betäubt, sexuell missbraucht und dabei gefilmt. Die Videos werden dann in Chatgruppen mit anderen geteilt. Kürzlich hatte ein Rechercheteam des NDR-Magazins STRG_F diverse Vergewaltiger-Netzwerke im Internet aufgedeckt. Beteiligt daran waren offenbar auch zahlreiche Männer aus Deutschland.
Die NDR-Journalisten hatten über einen Zeitraum von drei Jahren undercover mit Fake-Profilen öffentliche Pornoseiten im Internet und Chatgruppen auf dem Messenger-Dienst Telegram mit Hunderten bis zu Zehntausenden Mitgliedern beobachtet. Auf diesen Internetseiten und in den Chatgruppen tauschen sich Männer darüber aus, wie sich Frauen betäuben und missbrauchen lassen. Die Männer kündigen konkret Vergewaltigungen an, erstellen entsprechende Bild- und Videoaufnahmen und laden diese hoch. Die Aufnahmen werden teils millionenfach geteilt. Einige der Taten werden sogar in Echtzeit vor Online-Publikum begangen oder mit zusätzlichen Misshandlungen verbunden.
Bei den betroffenen Opfern soll es sich oft um Frauen aus dem direkten persönlichen Umfeld der Täter handeln. Im Zuge der NDR-Recherchen war ein Fall aus Niedersachsen bekannt geworden, in dem der Täter seiner Ehefrau über einen Zeitraum von mehr als 15 Jahren immer wieder Betäubungsmittel verabreichte und sie dadurch in einen Zustand tiefen, unnatürlichen Schlafs versetzte, den er sodann nutzte, um intensive sexuelle Handlungen an ihr vorzunehmen. Die Frau war teilweise so stark betäubt worden, dass es zu lebensbedrohlicher Atemnot kam. Der Täter filmte seine Taten und veröffentlichte sie in Chatgruppen sowie auf Internet-Plattformen. Dabei gab er sogar an, dass es sich bei dem Opfer um seine Ehefrau handelt.
Niedersachsens Beschlussvorlage für die JuMiKo am 7. November
Unter anderem diesen Fall hat Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) nun zum Anlass genommen, um die strafrechtlichen Reaktionsmöglichkeiten auf solche Taten nach geltendem Recht zu überprüfen. Das Ergebnis: Sowohl beim Besitz als auch beim Verbreiten von Vergewaltigungsvideos gebe es Strafbarkeitslücken.
Geht es nach Wahlmann, soll daher auf der anstehenden Herbstkonferenz der Justizministerinnen und Justizminister (JuMiKo) am 7. November in Leipzig Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) gebeten werden, sich der Thematik anzunehmen. Es bestehe "gesetzgeberischer Handlungsbedarf", heißt es in der JuMiKo-Beschlussvorlage aus Niedersachen, die LTO vorliegt.
"Ich finde es unerträglich, dass diese Männer, die aus einem abartigen Sexualtrieb heraus Videos von Vergewaltigungen sehen, offenbar über keinerlei Unrechtsbewusstsein verfügen. Wenn sie schon von sich aus keinen Anstand im Leib haben, muss der Staat mit den Mitteln des Strafrechts einschreiten", erklärt Wahlmann gegenüber LTO. "Wer Vergewaltigungsvideos konsumiert, missbraucht die betroffene Frau damit zum zweiten Mal." Das müsse bestraft werden, fordert die SPD-Politikerin.
Dass Wahlmanns Vorschlag auf der JuMiKo eine Mehrheit bekommt, gilt als wahrscheinlich.
Geltende Strafvorschriften erfassen nicht alle Konstellationen
Akribisch geprüft hat das niedersächsische Justizministerium, ob bereits geltende Strafvorschriften ausreichen, um gegen Vergewaltiger-Netzwerke in all ihren Varianten vorzugehen. Doch das sei nicht der Fall:
So werde nach § 184a Nr.1. StGB zwar derjenige, der gewalttätige pornographische Inhalte verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Der Begriff der Verbreitung setze jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes voraus, dass der Inhalt einem größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis zugänglich gemacht wird. Die Weitergabe eines Vergewaltigungsvideos an eine oder mehrere bestimmte Personen genüge nicht, um den Straftatbestand zu erfüllen. Außerdem habe das öffentliche Zugänglichmachen zur Voraussetzung, dass der Inhalt für einen grundsätzlich unbeschränkten, im Einzelnen nicht mehr überschaubaren Personenkreis bereitgestellt wird.
Deshalb dürfte zwar das Teilen von Bildern und Videoaufnahmen von Vergewaltigungen in Chatgruppen mit mehreren Tausend Mitgliedern oder das Hochladen entsprechender Dateien auf öffentlich zugänglichen pornographischen Online-Plattformen den Tatbestand des § 184a Nr. 1 StGB erfüllen. Das Posten und Verbreiten der Videos in geschlossenen Chatgruppen mit einem kontrollierbaren Personenkreis falle aber nicht unter den Tatbestand.
Auch § 184a Nr. 2 StGB sei in solchen Fällen nicht einschlägig. Die Vorschrift erfasse lediglich vorbereitende Handlungen, die darauf abzielten, gewaltpornografische Inhalte selbst oder durch einen anderen zu verbreiten. Der bloße Besitz gewaltpornografischer Inhalte falle nicht darunter.
Eine Verfolgung der Vergewaltigungs-Voyeure kommt nach der Prüfung Niedersachsens auch nicht wegen anderer Tatbestände infrage. So könnte man etwa an § 131 StGB denken, der die Gewaltdarstellung bestraft. Doch auch hier gilt wie bei § 184a StGB: Es braucht ein Zugänglichmachen an einen größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis. "Das Posten der Aufnahmen in einer geschlossenen Chatgruppe mit einem überschaubaren Personenkreis dürfte hiervon nicht erfasst sein", heißt es dazu aus Niedersachsen.
Opfer häufig nicht erkennbar
Weiter kommen die Juristen in Niedersachsen zum Ergebnis, dass die Verbreitung und der Besitz von Vergewaltigungsvideos und -bildern in vielen Fällen auch nicht nach § 201a StGB (Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen) geahndet werden kann. Voraussetzung des § 201a StGB sei nämlich, dass die auf der Bildaufnahme zu sehende Person erkennbar ist. Einzeln abgebildete Teile des Körpers – etwa ein während des Geschlechtsverkehrs aufgenommener Unterkörper – unterfielen dem Tatbestand nur dann, wenn die Bildaufnahmen der Person, beispielsweise durch weitere Erklärungen, eindeutig zugeordnet werden könne. Das sei jedoch oft nicht der Fall.
Aus gleichem Grund scheitere auch eine Strafbarkeit gemäß § 33 Kunsturhebergesetz. Eine Strafbarkeit komme auch nach dieser Norm nicht in Betracht, wenn die geschädigte Person auf der betreffenden Bild- oder Videoaufnahme nicht zu erkennen sei.
"Im Ergebnis ist festzustellen, dass eine Strafbarkeit des Besitzes von Vergewaltigungsvideos und -bildern nur dann infrage kommt, wenn das Opfer auf diesen erkennbar ist. Das Verbreiten eines Vergewaltigungsvideos oder -bildes ist nur dann strafbar, wenn in der Aufnahme Gewalttätigkeiten dargestellt werden und die Datei einem größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis zugänglich gemacht wird", heißt es in der Beschlussvorlage.
Mit Verweis auf diese Strafbarkeitslücken schlägt Niedersachsen nunmehr in seiner JuMiKo-Beschlussvorlage "einen eigenständigen Straftatbestand im 13. Abschnitt des StGB (Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung) mit schuldangemessener Sanktionierung" vor. "Fassen ließe sich dieser etwa analog zu § 184b StGB", heißt es. Diese Vorschrift stellt u.a. den Besitz und die Verbreitung von Kinderpornografie unter Strafe.
BMJV plant Gesetzespaket
Ob Wahlmanns Parteifreundin und Bundesjustizministerin Hubig den Vorschlag am Ende aufgreifen wird, ist noch offen. Im BMJV plant man offenbar zum Schutz von Frauen vor sexualisierter Gewalt einen größeren Wurf, der dann auch die Thematik Vergewaltiger-Netzwerke erfassen könnte. Das Ministerium bereite derzeit mehrere Gesetzesänderungen konkret vor und prüfe die Notwendigkeit weiterer Änderungen, bestätigte ein BMJV-Sprecher gegenüber LTO. Die öffentliche Debatte, ob auch der bloße Besitz von gewaltpornografischen Inhalten unter Strafe gestellt werden sollte, verfolge das Ministerium genau.
In dem insoweit zu erwartenden Gesetzespaket könnte das BMJV dann auch eine weitere Thematik gesetzlich regeln, die den Ländern wichtig ist: Es geht um die heimliche Verabreichung gesundheitsschädigender narkotisierender Mittel (sogenannte K.O.-Tropfen) zur Begehung von Straftaten.
Hier war nach einem aufsehenerregenden BGH-Urteil kürzlich ebenfalls eine Diskussion über Strafbarkeitslücken entbrannt. Der Bundesrat hatte daraufhin einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, wonach derjenige, der bei der Begehung einer Raub- oder Sexualstraftat K.O.-Tropfen einsetzt, künftig mindestens zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt werden soll (BT-Ds. 21/551).
Allerdings wurde die eigentlich für den 16. Oktober erste Plenarberatung über den Antrag kurzerhand gecancelt. Zusammenhängen dürfte das mit dem Wunsch der Bundesregierung, das Feld bei dem Thema nicht den Ländern zu überlassen: "Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz prüft derzeit, ob sich Änderungen im Strafgesetzbuch empfehlen, um dem Unrechtsgehalt des Einsatzes von K.O.-Tropfen im Strafgesetzbuch Rechnung zu tragen", so der BMJV-Sprecher gegenüber LTO.
Vergewaltigungsvideos: . In: Legal Tribune Online, 22.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58439 (abgerufen am: 14.11.2025 )
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