VerfGH NRW zur Sperrklausel: Die Ret­tung des Wahl­rechts

Interview von Tanja Podolski

21.11.2017

Für Räte und Kreistage darf es in NRW keine Sperrklausel geben. Die entsprechende Änderung der Landesverfassung war rechtswidrig, entschied der VerfGH NRW. Das Urteil ist in vielerlei Hinsicht spektakulär, erklärt Robert Hotstegs.

LTO: Herr Hotstegs, Sie waren in dem Verfahren vor dem nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshof (VerfGH) Vertreter der "Freie Bürger–Initiative/Freie Wählergemeinschaft". Worum ging es in dem Fall?

Robert Hotstegs: Die rot-grüne Landesregierung Nordrhein-Westfalen hat 2016 mit den Stimmen der CDU-Opposition eine Sperrklausel bei Kommunalwahlen eingeführt. Damit sollten Parteien und Wählervereinigungen mindestens 2,5 Prozent der Stimmen holen müssen, um in die Räte und Kreistage einziehen zu können. Dafür wurde extra Art. 78 Abs. 1 der Landesverfassung (LVerf NRW) geändert.

LTO: Und die kleineren Parteien waren selbstredend nicht begeistert von der Änderung und haben Klage erhoben.

Hotstegs: Genau. Das ist auch der erste, fast absurd anmutende Aspekt in dem Verfahren: Geklagt haben insgesamt acht Parteien aus dem gesamten politischen Spektrum, darunter die Linke und die NPD. Dass diese Gruppierungen plötzlich Seite an Seite streiten, ist paradox und war durchaus interessant zu beobachten.

Ursprünglich gab es übrigens noch zwei weitere Antragsteller, die Wählervereinigung "Sauerländer Bürgerliste" und die Partei Volksabstimmung. Deren Klagen wurden aber als unzulässig abgewiesen, einmal wegen Verfristung und im Fall der Sauerländer, weil sie eine Wählervereinigung und keine Partei iSd Art. 21 Abs. 1 Grundgesetz (GG) sind und damit kein Organstreitverfahren nach Art. 75 Nr. 2 LVerf NRW führen können (Anm. der Red.: VerfGH, Beschl. v. 27.06.2017, Az. 13/16 u. 14/16). Die sind aber nicht rechtsschutzlos, sondern wurden auf die nachträgliche Wahlanfechtung und den Instanzenzug verwiesen.

Die anderen Verfahren hat der VerfGH zur gemeinsamen Verhandlung verbunden, da sich die Anträge der Parteien lediglich in einem Punkt unterschieden.

LTO: In Hinblick auf welchen Aspekt gibt es Unterschiede?

Hotstegs: Alle haben beantragt, die Sperrklausel für Räte und Kreistage für verfassungswidrig zu erklären. Meine Mandantin und Die Linke wollten dies auch für die Bezirksvertretungen und den Regionalverband Ruhr (RVR), es sollte also die gesamte Verfassungsänderung gekippt werden.

Sperrklausel verfassungswidrig

LTO: Nun hat der VerfGH nun seine Entscheidung verkündet. Wie ist es ausgegangen?

Hotstegs: Ganz anders, als ich noch im vergangenen Jahr prognostiziert hatte. Der VerfGH hat die Sperrklausel für Räte und Kreistage tatsächlich für verfassungswidrig erklärt (Urt. v. 21.11.2017, Az. 9, 11, 15, 16, 17, 18, 21/16).

LTO: Warum überrascht Sie das so? Sperrklauseln sind doch immer wieder kassiert worden. Nur bei der Bundestagswahl ist die Sperrklausel von fünf Prozent gerade noch verfassungsgemäß.

Hotstegs: Ja, für das Europarecht wurde erst die Fünf-Prozent-Klausel und dann die Drei-Prozent-Klausel für verfassungswidrig erklärt.

Doch im Kommunalwahlrecht gibt es einen wesentlichen Unterschied: Die Städte und Kreise in den Flächenstaaten wie NRW – in den echten Stadtstaaten wie Hamburg und Berlin ist das anders, das lassen wir mal außen vor – müssen ja keine Regierung wählen und stellen auch kein echtes Parlament mit Regierungsfraktion und Opposition dar.

Der Stadtrat ist vielmehr Teil der kommunalen Selbstverwaltung und trifft oft Entscheidungen, die der Verwaltung zuzuordnen sind. Im juristischen Sinn ist ein Rat daher tatsächlich auch gar kein Parlament, sondern Teil der Verwaltung. Daher kommt es im Rat auch nicht so sehr darauf an, dass es eine Regierungsmehrheit gibt. Erst recht seitdem der Bürgermeister in NRW direkt gewählt wird, sind hier durchaus bunte Mischungen möglich.

Die Befürworter einer Sperrklausel argumentieren hingegen mit dem Schreckgespenst der Handlungsunfähigkeit des Gremiums: Einzelne Mandatsträger und kleinen Fraktionen und Gruppen könnten absurde und wenig zielführende Anträgen stellen, so dass die Arbeit des Rates faktisch lahmgelegt werden könne. Meiner Ansicht nach ist so etwas allerdings über die Geschäftsordnungen zu regeln. Beispielsweise können Anträge auf geheime und namentliche Abstimmung eine Sitzung nur dann unangemessen in die Länge ziehen, wenn keine Wahlkabine und keine Stimmzettel vorbereitet sind. So etwas lässt sich mit vorausschauender Planung recht einfach vermeiden. Jedenfalls sollte sich ein Ratsvorsitzender nicht mehrfach durch derartige Spielchen austricksen lassen.

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, VerfGH NRW zur Sperrklausel: Die Rettung des Wahlrechts . In: Legal Tribune Online, 21.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25619/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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