VerfGH NRW zur Sperrklausel: Die Ret­tung des Wahl­rechts

Interview von Tanja Podolski

21.11.2017

2/2: "Guter Stoff für Klausuren und Hausarbeiten"

LTO: Gut, das sind also die Argumente. Aber dass der VerfGH die Einführung einer Sperrklausel für problematisch hält, dürfte doch von Ihnen erwartet worden sein.

Hotstegs: Nun, das Ergebnis war jedenfalls das Ziel meiner Mandantin. Dass der Weg aber so schnell zu bestreiten war und der VerfGH diese Entscheidung selbst getroffen hat, das ist juristisch schon etwas ganz Besonderes. Ich erkläre Ihnen auch warum:

Der Gerichtshof muss auf die Verfassung des Landes aufpassen. Das muss er, das nur am Rande, übrigens recht selten, er kommt mit Mühe auf zwanzig, manchmal dreißig Verfahren im Jahr. Seine Mitglieder sind daher auch nicht hauptberuflich nur diesem Gericht zugeordnet, sondern sie stammen aus dem Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster wie etwa die gemeinsame Präsidentin oder aus den Verwaltungsgerichten, dem Bundesgerichtshof oder aus Lehre und Praxis.

Juristisch wird es nun an zwei Aspekten hochspannend und gäbe guten Stoff für Klausuren und Hausarbeiten: Der Landtag hat zum einen die Verfassung geändert, also haben wir eine neue Verfassung. Stellt sich die Frage: Kann es überhaupt eine rechtswidrige Verfassung geben, die der VerfGH überprüfen kann? Man kann durchaus argumentierten, es gebe mit dem Beschluss im Landtag eine Verfassung, die sich der Überprüfung durch den VerfGH entzieht. Wäre das Gericht dieser Ansicht gefolgt, hätten wir den Weg über den Instanzenzug notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gehen müssen. Diesen langen Weg hat der VerfGH uns jetzt erspart.

Und dann gibt es schließlich die Ewigkeitsgarantie: Wie auf Bundesebene in Art. 79 GG gibt es diese gem. Art. 69 Abs. 1 S. 2 LVerf NRW auch auf Landesebene. Die Frage war also, ob das Kommunalwahlrecht eine Regelung ist, an der nicht gerüttelt werden darf. Der VerfGH hatte schon in der mündlichen Verhandlung dazu tendiert anzunehmen, dass das Wahlrecht und seine Garantien unter die Ewigkeitsgarantie fällt - und hat nun auch entsprechend entschieden. Die Landesregierung, vertreten von Prof. Dr. Lothar Michael von der Uni Düsseldorf hat das natürlich anders gesehen.

Umgehung des VerfGH gescheitert

LTO: Wie hat der Gerichtshof jetzt genau entschieden?

Hotstegs: Der VerfGH hat festgestellt, dass der Landtag seinerzeit verfassungswidriges Verfassungsrecht beschlossen und geschaffen hat und hierdurch die Antragsteller in ihren Rechten verletzt hat. Das ist ein Novum.

Der Landtag ist auch nicht mit seinem Taschenspielertrick durchgekommen, mit der Einführung der Regelung unmittelbar in die Landesverfassung das Landes- und das Bundesverfassungsgericht zu umgehen. Mit dieser Lösung womöglich gegen Art. 28 GG zu verstoßen, war dem Landtag bekannt und bewusst.

LTO: Dann haben Sie aber doch weitgehend das erreicht, was sie wollten?

Hotstegs: Absolut, und zwar viel schneller als erwartet. Das Thema Sperrklausel in Flächenstaaten dürfte damit nun vom Tisch sein. Denn über den Organstreit entscheidet der VerfGH abschließend, erst- und letztinstanzlich. Jetzt liegt der Ball wieder beim Landtag. Er kann entscheiden, ob er auf anderem Wege eine Sperrklausel begründen und schaffen will. Ich würde es ihm nicht raten. Insbesondere seitdem wir seit Sonntag beobachten, dass auch Fraktionen, die weit mehr als 2,5 Prozent  der Stimmen erhalten haben, stabile Mehrheiten ins Wanken bringen können. Vor der Regierungskrise im Bund konnte uns auch die Sperrklausel nicht bewahren. Vor Ort in den Städten und Gemeinden gab es schon keine Krise. Warum dann also eine Sperrklausel?

Robert Hotstegs ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht in der Hotstegs Rechtsanwaltsgesellschaft, Düsseldorf. Er ist parteilos und berät und vertritt vor allem Einzelpersonen und Bürgerinitiativen u.a. zu kommunalverfassungs- und verfassungsrechtlichen Fragen. Er ist Lehrbeauftragter der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW.

 

Prozessbevollmächtigte:

Landtag NRW: Prof. Dr. Lothar Michael, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Landesverband Nordrhein-Westfalen der NPD: Peter Richter

Landesverband Nordrhein-Westfalen der Piratenpartei: Prof. Dr. Bodo Pieroth, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Landesverband Nordrhein-Westfalen der Partei Die Linke: Prof. Andreas Fisahn, Universität Bielefeld

Landesverband Nordrhein-Westfalen der Partei: Dr. Alexandra Bäcker, Kanzlei Steffen & Dr. Bäcker

Landesverband Nordrhein-Westfalen der ÖDP: Dr. Marcus Schiller, HüttenbrinkPartner Rechtsanwälte

Landesverband Nordrhein-Westfalen der Tierschutzpartei: Dr. Marcus Schiller, HüttenbrinkPartner

Bürgerbewegung PRO NRW: Markus Beisicht, Beisicht & Dr. Schlaeper

Partei Freie Bürger-Initiative/Freie Wählergemeinschaft: Robert Hotstegs, Hotstegs Rechtsanwaltsgesellschaft

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, VerfGH NRW zur Sperrklausel: Die Rettung des Wahlrechts . In: Legal Tribune Online, 21.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25619/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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