CDU-Rechtspolitikerin zum BVerfG: "Was für die Funk­ti­ons­fähig­keit rele­vant ist, muss ins Grund­ge­setz"

Interview von Dr. Markus Sehl

05.02.2024

Um das BVerfG vor Blockade bei der Richterwahl zu schützen, schlägt die Vorsitzende des Rechtsausschusses Elisabeth Winkelmeier-Becker einen Bundesrichter-Pool vor. Und sie erklärt, wie sie das "Nein" von Merz zur GG-Änderung verstanden hat.

LTO: Nicht nur in Ungarn und Polen haben Regierungen Verfassungsgerichte entmachtet und damit eine wichtige Kontrollinstanz im Wettbewerb um Regierungsmacht ausgeschaltet. Nun wird in Deutschland politisch über eine Absicherung von wesentlichen Strukturen des Bundesverfassungsgerichts diskutiert, ist das eine gute Idee? 

Winkelmeier-Becker: Ich meine schon. Die aktuelle Diskussion über die Absicherung zentraler Vorschriften zur Struktur des Verfassungsgerichts im Grundgesetz ist aus meiner Sicht berechtigt. 

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat am Mittwoch im Bundestag zum Thema Grundgesetzänderungen in Richtung Ampel gesagt: "Ich stelle Ihnen eine Zustimmung dazu heute grundsätzlich nicht in Aussicht" Sie haben selbst lange Zeit als Richterin gearbeitet, Juristinnen und Juristen dürften bei "heute" und "grundsätzlich" in dem Satz von Merz hellhörig werden. War das ein "Nein" auch zu den Vorschlägen rund um das Bundesverfassungsgericht? 

Ich will das nicht überinterpretieren. Ich gehe davon aus, dass die Aussage grundsätzlich restriktiv gemeint war. Aber sie war meines Erachtens eher auf andere verfassungspolitische Vorschläge bezogen, die in der Sache viel umstrittener sind als die Pläne zur Absicherung des Bundesverfassungsgerichts. Denken sie nur an Vorschläge der Ampel-Koalition zur Veränderung der Schuldenbremse, zum Wahlalter, zu weiteren Sondervermögen oder auch Vorschläge zur Reform einzelner Grundrechte. Auch eine Verbindung mit der insgesamt strittigen Wahlrechtsreform der Ampel halte ich für denkbar. 

Wie groß ist das Risiko, dass die Absicherung des Bundesverfassungsgerichts als Anlass benutzt wird, um andere begehrte Grundgesetz-Änderungen zu realisieren? Stichwort Kindergrundrechte, Streichung von "Rasse" in Art. 3 Grundgesetz. 

Ich halte nichts davon, Änderungen im Grundrechtekatalog mit staatsorganisationsrechtlichen Änderungsplänen zum Bundesverfassungsgericht zu vermischen.  

Sie sind Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag. Wie beschäftigt das Thema den Ausschuss? 

Die Rechtspolitiker der Ampel haben sich offenbar schon gemeinsam damit befasst, und auch wir als Unions-Rechtspolitiker hatten dazu Gesprächsrunden mit Experten aus der Rechtswissenschaft. Im Ausschuss dagegen beschäftigen wir uns vor allem mit konkreten Gesetzentwürfen und Anträgen, nicht mit – noch – allgemeinen rechtspolitischen Diskussionen.  

Einen sehr konkreten Gesetzentwurf für eine Verfassungsänderung haben die Länder nun parteiübergreifend erarbeitet. Wesentliche Vorschriften zur Wahl der Richter und ihrer Amtszeit sollen ins Grundgesetz. Was halten Sie von dem Vorstoß? 

Die Begrenzung der Amtszeit auf zwölf Jahre, die Zweidrittelmehrheit für die Wahl der Richterinnen und Richter, der Ausschluss der Wiederwählbarkeit – das sind die zentralen Aspekte, die die Unabhängigkeit der einzelnen Richter und auch des Gerichts insgesamt garantieren. Man kann auch an die Festschreibung der Struktur mit zwei Senaten denken. Sonst besteht die Gefahr, einfach einen dritten Senat einzurichten, dem man alle wichtigen Verfahren zuschieben und den man mit eigenen Leuten neu besetzen könnte. 

Also im Zweifel eher mehr konkrete Struktur- und Verfahrensregeln in die Verfassung statt weniger? 

Ich plädiere dafür, jetzt in einem Akt alles, was für die Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichts relevant ist, auch abzusichern. Das sind alles Vorkehrungen, die gerade für den Fall gedacht sind, dass in Bundestag bzw. Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit nicht zustande kommt. 

Diese Aussicht auf Unveränderlichkeit mag für skeptische Stimmen unter den Abgeordneten gerade beunruhigend wirken – nicht zuletzt in ihrer Fraktion. Das Parlament gibt langfristig ein Teil seiner Gestaltungsmacht über das Gericht aus der Hand. 

Die zentralen Regelungen zum Bundesverfassungsgericht, deren Übernahme ins Grundgesetz nun diskutiert werden, haben sich nun lange Zeit in der Praxis bewährt. Da sehe ich keine Risiken, wenn die einmal in der Verfassung stehen. Dass dann etwa aus der Amtszeit von zwölf Jahren später zehn oder fünfzehn Jahre gemacht werden sollten, sehe ich nicht.

"Eine Ersatzregelung mit dem Ziel, dass sie nicht zur Anwendung kommt."   

(c) Tobias Koch

Als akutes Szenario beschäftigt auch den Länder-Gesetzentwurf: eine Blockade, die entsteht, wenn bereits knapp mehr als ein Drittel der Stimmen in Bundestag oder Bundesrat die Wahl eines neuen Verfassungsrichters oder einer neuen -richterin verhindert.  

Dafür brauchen wir eine nicht manipulierbare Ersatzregelung. Ziel wäre ja gar nicht, dass sie zur Anwendung käme. Allein der Umstand, dass sie vorgesehen ist, soll zeigen: Eine Blockade gegen Richterwahlen funktioniert nicht. Eine Sperrminorität von einem Drittel plus X darf sich nicht dazu eignen, politische Erpressung auf Kosten der Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichts zu betreiben. 

Um eine längerfristige Blockade im Bundestag abzuwenden, wird etwa vorgeschlagen, den Bundespräsidenten oder den Bundesrat als Ersatzverfassungsorgan einzuschalten und entscheiden zu lassen. 

Das überzeugt mich noch nicht. Es könnte auch so kommen, dass eines der anderen Verfassungsorgane geschwächt ist. Ich schlage eine ganz pragmatische und einfache Lösung vor: Es gibt mit den Bundesrichterinnen und Bundesrichtern in Deutschland rund 500 Personen, die die fachliche Befähigung für einen Richterposten beim Bundesverfassungsgericht haben. Man könnte in Blockadefällen nach einem genau festgelegten System aus diesem Pool der Bundesrichter einen Kandidaten ziehen. Die Auswahl des oder der Ersatzkandidatin muss in einem Verfahren erfolgen, das Regelhaftigkeit und Unabsehbarkeit kombiniert. Nur so werden sich Blockierer auf ein solches Verfahren einlassen. 

Wie würde das konkret aussehen? 

Wegen der Altersgrenze von 68 Jahren in § 4 Bundesverfassungsgerichtsgesetz könnten nur Kandidaten bis maximal 55 Jahre in Betracht kommen. Unter diesen könnte etwa auf das Kriterium der längsten Diensterfahrung abgestellt werden. Der so ermittelte Richter oder die Richterin könnte – bei eigener Zustimmung – dann ohne Weiteres, alternativ durch Wahl mit einfacher Mehrheit im Bundestag bzw. Bundesrat das Richteramt am Bundesverfassungsgericht übertragen bekommen. Ein einfaches Verfahren also, das die Handlungsfähigkeit des Gerichts garantieren würde. 

Nun kommen nicht nur Richterinnen und Richter ans Bundesverfassungsgericht, sondern auch Rechtswissenschaftler und Politiker. Die blieben in Ihrem Losverfahren unberücksichtigt. 

Die Auswahl muss dann bei der nächsten freiwerdenden Richterstelle wieder ausgeglichen werden, um die Zusammensetzung des Gerichts ausgewogen zu halten. Wie gesagt, das Instrument würde schon durch seine bloße Existenz die Wirkung entfalten, dass man sich um einen Kandidatenvorschlag bemüht, der die notwendige Zweidrittelmehrheit erreichen kann. Dass die Auffangregelung häufiger zum Einsatz kommt, wäre nach meiner Einschätzung nicht zu erwarten. 

Zitiervorschlag

CDU-Rechtspolitikerin zum BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 05.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53798 (abgerufen am: 10.10.2024 )

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