Abmahnbriefe vom Verfassungsschutz? Bei sieben Medienhäusern gingen seit 2016 "Korrekturbitten" ein. Die Regierung sagt, es gehe um die Aufklärung unwahrer Tatsachen. Juristen und Oppositionspolitiker vermuten einen Einschüchterungsversuch.
Das heikle Thema stand am Mittwoch auf der Tagesordnung des Innenausschusses unter TOP 37, der letzte Punkt auf dem 20-seitigen Programm – zur Sprache kam es nicht. Es ging um anwaltliche Schreiben, die das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) unter der Führung von Hans-Georg Maaßen an mehrere Medienhäuser verschickt haben soll.
Darin sei "anwaltlich um eine Korrektur unwahrer Tatsachenbehauptungen gebeten" worden, wie das Innenministerium nun auf eine schriftliche Frage des stellvertretenden Grünen-Fraktionsvorsitzenden und Innenausschussmitglied Konstantin von Notz mitteilte.
Die Antwort legt weitere Details zur Praxis "anwaltlicher Korrekturbitten" des BfV offen. Seit dem Jahr 2016 gingen in insgesamt sieben Fällen derartige Anwaltsschreiben an Redaktionen. Betroffen waren Focus, Welt am Sonntag, der BR, der Tagesspiegel sowie der NDR, der ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt und die Internetseite Epoch Times Europe. Über die Antwort hatte zuerst netzpolitik.org berichtet und diese dabei gleich veröffentlicht.
Keine Korrekturbitten von anderen Sicherheitsbehörden
Bemerkenswert ist, dass nach Auskunft des Innenministeriums die übrigen Sicherheitsbehörden wie der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) "für den in der Frage genannten Zeitraum Fehlanzeige" mitgeteilt haben. Das Bundeskriminalamt (BKA), das seit 2011 entsprechende Nachweise führt, habe ebenfalls keine solchen "anwaltlichen Korrekturbitten" versandt, wie aus der Antwort hervorgeht.
Auch das Innenausschussmitglied der FDP, Benjamin Strasser, hatte bereits eine entsprechende Antwort der Bundesregierung erhalten. Anwaltliche Korrekturbitten verschickte offenbar nur das BfV. Strassers Parteikollege und innenpolitischer Sprecher, Konstantin Kuhle, sagt gegenüber LTO: "Darin zeigt sich, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz unter der Ägide von Herrn Maaßen andere Maßstäbe an die Zusammenarbeit mit der Presse anlegt als andere Behörden."
Die Antwort aus dem Innenministerium betont: "Bei diesen anwaltlichen Korrekturbitten handelt es sich nicht um eine 'Form staatlicher Abmahnung', sondern jeweils um die Bitte einer klarstellenden Korrektur einer objektiv unzutreffenden Berichterstattung unter Darstellung der zutreffenden Tatsachengrundlage." Die Schreiben sollten "eine Korrektur anregen". Eine Beeinträchtigung der Pressefreiheit will das Ministerium in dieser Praxis nicht sehen. Den Behörden bleibe es unbenommen, die unabhängige Prüfung des Wahrheitsgehalts gegebenenfalls durch entsprechende Hinweis zu unterstützen.
Presserechtler: Dem Verfassungsschutz geht es um Einschüchterung
Der Berliner Anwalt für Presserecht und Informationszugangsrecht Christoph Partsch sieht das anders: "Wenn es dem Bundesamt für Verfassungsschutz nur um eine Korrekturbitte gegangen wäre, so hätte es keiner Anwaltskanzlei im Abmahnstil bedurft." Er vertritt regelmäßig Journalisten in Auskunftsverfahren gegen Nachrichtendienste. Er sagt, die Einschaltung einer großen Kanzlei zeige, dass es dem Verfassungsschutz um Einschüchterung ging. Oft sei ein solcher Brief nur der erste Aufschlag für eine gerichtliche Auseinandersetzung – und die fürchteten viele Redaktionen.
Innenpolitiker Konstantin von Notz weist daraufhin, dass es zwischen Sicherheitsbehörden und Journalisten gerade bei sensiblen Themen durchaus üblich sei, sich über die genauen Modalitäten von Veröffentlichungen abzustimmen. "Hier sind berechtigte Geheimhaltungsbedürfnisse der Sicherheitsbehörden mit dem Interesse der Öffentlichkeit in Einklang zu bringen", sagte er gegenüber LTO. Das sei in der Regel auch ohne anwaltliche Hilfe üblich, nicht aber beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Trotz der Erfahrungen der "Landesverrat"-Affäre sei wiederholt auf die Hilfe von Anwaltskanzleien zurückgegriffen worden, um sogenannte "Korrekturbitten" zu versenden.
Anfang Februar 2017 lässt das BfV gleich zwei Korrekturbitten verschicken, einmal an die Epoch Times Europe und an den BR. In beiden Fällen geht es um die Berichterstattung zu dem Berliner Weihnachtsmarktattentäter Anis Amri und vermeintliche V-Leute in seinem Umfeld. Nach Recherchen des Tagesspiegel zahlte das BfV nach eigenen Angaben jeweils einen dreistelligen Betrag an die beteiligte Anwaltskanzlei. Die Schreiben blieben offenbar nicht ohne Wirkung. Den beiden Korrekturbitten sei damals entsprochen worden, teilte das BfV dem Tagesspiegel mit.
In dem Beitrag der Epoch Times vom 6. Januar 2017 heißt es heute: "UPDATE: Nachdem EPOCH TIMES in diesem Artikel einen Bericht des ARD 'Brennpunkt' zitierte, erhielten wir ein Anwaltsschreiben im Auftrag des Bundesverfassungsschutzes, in dem wir um Berichtigung gebeten wurden. In dem Schreiben heißt es, dass der Verfassungsschutz über keinen V-Mann im Umfeld Anis Amris verfügte. Auch die Darstellung, Amri sei von einm [sic!] V-Mann des Verfassungsschutzes von Dortmund nach Berlin gefahren worden, sei unzutreffend." Auf der Internetseite wird auch aus dem Anwaltschreiben zitiert: "Wie bereits öffentlich erklärt, verfügte der Verfassungschutzverbund einschließlich des Bundesamtes für Verfassungschutz [...] weder im nahen noch im weiteren Umfeld Amris über eine V-Person."
Anfang Januar 2018 erhält auch die Welt am Sonntag eine Korrekturbitte zu ihrer Amri-Berichterstattung mit dem Titel: "Unter ständiger Beobachtung: Amris mörderische Odyssee". Auch in diesem Fall ging es nach Ansicht des BfV um unwahre Tatsachenbehauptungen, also solche Fragen, die anders als Meinungselemente dem Beweis zugänglich sind. Brisant daran ist, dass die Aufklärung der V-Mann-Aktivitäten auch den Untersuchungsausschuss zum Breitscheidplatz im Bundestag immer noch intensiv beschäftigen. Wie nah dabei auch ein V-Mann des BfV Attentäter Amri kam, muss noch aufgeklärt werden.
FDP-Innenpolitiker: Antwort der Regierung eine "Frechheit"
In einem internen Dokument des BfV heißt es dazu nach Recherchen der Berliner Morgenpost, dem ARD-Magazin Kontraste und dem RBB: "Ein Öffentlichwerden des Quelleneinsatzes gilt es schon aus Quellenschutzgründen zu vermeiden" und "ein weiteres Hochkochen der Thematik muss unterbunden werden". Ob die Korrekturbitten Teil einer gezielten Informationspolitik in Sachen Amri waren oder einzelne unzutreffende Aspekte aus der Welt schaffen wollte, lässt sich aus den Antworten des Innenministeriums freilich nicht entnehmen.
Die Antwort weist daraufhin, dass das BfV "in eigener Verantwortung über das Versenden von anwaltlichen Korrekturbitten" entscheide. "Die ist unmittelbare Aufgabe des BfV und erfordert keine ministerielle Zustimmung im Einzelfall". Innenpolitiker Kuhle hält diese Antwort für eine "Frechheit" und sagt weiter: "Wir leben in besonders aufgeregten Zeiten, in denen Teile der freiheitlich-demokratischen Grundordnungen wie die Presse- und Religionsfreiheit von manchen Akteuren offen in Frage gestellt werden". In solchen Zeiten bedürfe es einer innerhalb des Innenministeriums abgestimmten Kommunikationsstrategie.
Auch für von Notz ist die Antwort "in höchstem Maße irritierend". "Ich halte es auch, anders als die Bundesregierung, keineswegs für die Aufgabe des Bundesamts, anwaltliche Abmahnschreiben gerade in Fällen versenden zu lassen, in denen es wie beim Fall Anis Amri um die Frage der eigenen Verantwortlichkeiten und kritische Nachfragen hierzu geht", sagte er zu LTO.
Möglicherweise wird der Tagesordnungspunkt TOP 37 aus dieser Woche, schon bei der nächsten Sitzung des Innenausschusses deutlich nach vorne rücken.
Anwaltsschreiben zur Einschüchterung?: . In: Legal Tribune Online, 27.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31193 (abgerufen am: 05.10.2024 )
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