Druckversion
Mittwoch, 21.05.2025, 04:20 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/verfahrensordnung-eugh-transperenz-reform-gliederung-belastung
Fenster schließen
Artikel drucken
7431

Neue EuGH-Verfahrensordnung: Europarecht leicht gemacht auch für den nationalen Richter

von Prof. Dr. Alexander Thiele

01.11.2012

Gerichtshof der Europäischen Union

G. Fessy © Gerichtshof der Europäischen Union

Am Donnerstag tritt die neue EuGH-Verfahrensordnung in Kraft. Das Regelwerk soll übersichtlicher, das Verfahren vor dem überlasteten Luxemburger Gericht effizienter und kürzer werden. Insgesamt eine gelungene Reform, wenn denn die Beschleunigung nicht auf Kosten des Rechtsschutzes geht, meinen Alexander Thiele und Hendrik Müller.

Anzeige

Die neue Verfahrensordnung (VerfO) des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) soll nicht zuletzt der rechtsstaatlich gebotenen Transparenz dienen – und dieses Ziel erreicht sie zweifelsohne.

Die bisherigen Regelungen waren nach zahlreichen Reformen und Ergänzungen eigentlich nur noch für den Experten verständlich. Mangelnde individuelle Überschriften erschwerten die Orientierung ebenso wie die kaum nachvollziehbare Gliederung. Auch die fehlende Durchnummerierung der Absätze trug nicht eben zum besseren Verständnis der Verfahrensvorschriften bei.

Geordnet, praktisch, kurz

Schon auf den ersten Blick werden die Verbesserungen deutlich: An die Stelle von fünf Titelabschnitten mit sehr unterschiedlicher Relevanz und nur selten klarer Aufteilung treten acht übersichtlich und nachvollziehbar gegliederte Titel.

Auf die Regelungen zur Organisation des Gerichtshofs folgen allgemeine Verfahrensbestimmungen und besondere Regelungen für das Vorabentscheidungs- und die weiteren Verfahren. Anschließend finden sich Regelungen zu den Rechtsmitteln gegen Entscheidungen des Gerichts der Europäischen Union (EuG) sowie zu besonderen Verfahrensarten und schließlich einige wenige Schlussbestimmungen.

Auch die Reduktion der bisherigen Zahl der Unterabschnitte, die Streichung zahlreicher Regelungen, die in der Praxis schlicht keine Rolle spielten und neue individuelle Artikelüberschriften steigern die Übersichtlichkeit deutlich.

Klarheit endlich auch für den nationalen Richter

Der Transparenz und Klarheit dient auch die neu eingeführte ausführliche Regelung des Vorabentscheidungsverfahrens.

Schließlich kann die durch Art. 267 Abs. 3 AEUV begründete Vorlagepflicht praktisch jeden nationalen Richter treffen. Auch wenn dieser nicht täglich mit dem Europarecht befasst ist, kann er sich zukünftig durch einen schnellen Blick in die Verfahrensordnung über die Formalia eines Vorlageersuchens informieren.

Zwar existierten auch zuvor gewisse informelle Hilfestellungen in Form von Mitteilungen und Empfehlungen – der Richter wusste allerdings in der Regel nichts von ihnen. Die VerfO dagegen ist in jeder Gesetzessammlung enthalten. Insofern trägt die Neuregelung auch dazu bei, das Europarecht in den nationalen Gerichten endlich ankommen zu lassen – was bis heute gerade bei unterinstanzlichen Gerichten keineswegs überall der Fall ist.

Gegen die Überlastung des EuGH: Schneller, kürzer, schriftlich

Die Novelle erfolgte indes nicht nur zu Transparenzzwecken. Sie ist auch eine Reaktion auf die zunehmende Arbeitsbelastung des EuGH. Im Laufe der Jahre hat sich nicht nur die Zahl der Mitgliedstaaten und damit die der Klagen, sondern auch deren Komplexität stetig erhöht. Aktuell beträgt die durchschnittliche Verfahrensdauer zwischen 15 und 20 Monate. Die neuen Bestimmungen sollen das Verfahren vor dem Gerichtshof beschleunigen.

Zwar bestand die generelle Möglichkeit, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen oder anhängige Verfahren zu verbinden, schon nach bisherigem Recht, auch wenn die Pressemitteilung des Gerichtshofs anderes suggeriert. Mit der neuen Vorschrift des Art. 99 VerfO kann aber ein Vorabentscheidungsverfahren nun leichter ohne mündliche Verhandlung beendet werden.

Für die mündliche Verhandlung selbst muss zudem kein zeitaufwendiger Sitzungsbericht mehr abgefasst werden. Außerdem können die Luxemburger Richter die Verfahrensbeteiligten auffordern, sich bei ihren Ausführungen auf vom Gerichtshof festgelegte Aspekte zu konzentrieren (Art. 61 Abs. 2 VerfO).

Bei restriktiver Auslegung auch kein verkürzter Rechtsschutz

Neu ist schließlich auch, dass der EuGH die maximale Länge der Schriftsätze und Erklärungen festlegen kann, welche die Parteien im jeweiligen Verfahren einreichen dürfen (Art. 58 VerfO). Ein solcher Beschluss wird – wie auch die Anhängigkeit des Verfahrens selbst – im Amtsblatt veröffentlicht und ist damit für jeden öffentlich, der sich möglicherweise beteiligen will.

Diese neuen Befugnisse mögen die Verfahrensdauer reduzieren und zu mehr Effizienz verhelfen. Es wird aber zu beobachten sein, ob sie nicht zu einer unzulässigen Verkürzung rechtsstaatlich gebotener Verfahrensrechte führen. Eine zu extensive Auslegung wäre auch mit der nun verbindlichen Grundrechtecharta nicht vereinbar, an der sich die VerfO als besonderes Sekundärrecht messen lassen muss.

Spätestens mit dem Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention haben die Verfahrensbeteiligten jedoch die Möglichkeit, gegen eine eventuelle unzulässige Verkürzung ihrer Verfahrensrechte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorzugehen. Ihre Verfahrensrechte werden also auch in Zukunft ausreichend geschützt.

Der Autor Dr. Alexander Thiele ist Akademischer Rat a.Z. und Habilitand am Institut für Allgemeine Staatslehre und Politische Wissenschaften und hat unter anderem ein Lehrbuch zum Europäischen Prozessrecht verfasst. Der Autor Hendrik Müller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter ebenda.

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Alexander Thiele, Neue EuGH-Verfahrensordnung: . In: Legal Tribune Online, 01.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7431 (abgerufen am: 21.05.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Europa- und Völkerrecht
    • EuGH
    • Gerichte
    • Richter
    • Verfahrensdauer
Hände halten ein Buch in die Höhe 15.05.2025
Medien

OLG Frankfurt am Main verneint Unterlassungsanspruch:

Name von Rich­terin darf im Buch "Rechte Richter" stehen

Gerichtsverhandlungen sind ohnehin öffentlich und welche Informationen die Presse verwertet, kann diese immer noch selbst entscheiden. Daher darf im Buch "Rechte Richter" der volle Name einer Richterin genannt werden, so das OLG Frankfurt.

Artikel lesen
Justizminister Benjamin Limbach im Untersuchungsausschuss 14.05.2025
Gerichte

Untersuchungsausschuss zur OVG-Besetzung in NRW:

Bewer­berin ums Prä­si­den­tenamt sorgt für Abbruch der Sit­zung

Die Bewerberin auf das Amt als OVG-Präsidentin in NRW bewirkte im U-Ausschuss zur Besetzung des Gerichts den Abbruch der Sitzung. Sie äußerte Vorwürfe gegenüber dem Gremium, einzelnen Mitgliedern und der Presse. Die Aussagen werden geprüft.

Artikel lesen
Internetauftritt von Check24 08.05.2025
EuGH

EuGH zu Vergleichsportalen und vergleichender Werbung:

Check24 darf vor­erst eigene Noten ver­geben

Darf ein Vergleichsportal wie Check24 Versicherungen mit Noten bewerten, ohne dass dies als Werbung gilt? Der EuGH sagt: Ja – solange das Portal keine eigenen Versicherungen anbietet und damit kein Mitbewerber ist.

Artikel lesen
Beschreibung Stefanie Hubig (SPD), Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, spricht auf der Amtsübergabe des Bundesministerium der Justiz. 07.05.2025
Bundesjustizministerium

Amtsübergabe an Justizministerin Hubig:

Eine von ihnen kehrt zurück

Umarmen statt Händeschütteln, die Amtsübergabe im BMJV an Stefanie Hubig glich einem freudigen Wiedersehen. Die Rückkehrerin kündigte gleich Vorhaben an: Mietpreisbremse, Familienrecht, Leistungsfähigkeit der Justiz – und Verfassungsfragen zur AfD.

Artikel lesen
Schöffen und Richter des LG Hamburg bei einer Verhandlung am 12.12.2023 03.05.2025
Meinung

Reaktion auf LTO-Gastbeitrag zur Einschränkung und Abschaffung der Schöffenbeteiligung:

Besser weniger Ein­zel­richter

Gerade weil Strafverfahren mehr sind als reine Rechtsanwendung sind Schöffen alles andere als "überholt". Und vor allem: Sie sind verfassungsrechtlich legitimiert. Wer sie abschaffen will, braucht sehr gute Argumente, schreibt Hasso Lieber.

Artikel lesen
Brust-OP 30.04.2025
Russland

EuGH zu EU-Sanktionen:

Bar­geld­verbot für Russ­land gilt auch für Brust-OPs

Bei Reisen nach Russland darf aufgrund der Sanktionen nur Bargeld in Höhe der Reise- und Aufenthaltskosten mitgeführt werden. Die Kosten einer medizinischen Behandlung sind davon nicht umfasst, so der EuGH.

Artikel lesen
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Wir haben die Top-Jobs für Jurist:innen

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von Hengeler Mueller
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) im Be­reich deut­sches und eu­ro­päi­sches...

Hengeler Mueller , Mün­chen

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Frank­furt (Oder)

Logo von ARQIS
Prak­ti­kan­ten (m/​w/​d) AR­QIS Sum­mer School 2025

ARQIS , Düs­sel­dorf

Logo von FPS Rechtsanwaltsgesellschaft mbH & Co. KG
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) für al­le Rechts­be­rei­che

FPS Rechtsanwaltsgesellschaft mbH & Co. KG , Ham­burg

Logo von BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
Rechts­an­walt (w/m/d) für Fi­nan­cial Li­nes

BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB , Mün­chen

Logo von Bird & Bird LLP
Pa­ten­t­an­walt (m/w/d) In­tel­lec­tual Pro­per­ty

Bird & Bird LLP , Mün­chen

Logo von European XFEL GmbH
La­wy­er (f/m/d)

European XFEL GmbH , Sche­ne­feld

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Pots­dam

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Logo von Hagen Law School in der iuria GmbH
Fortbildung Sozialrecht im Selbststudium/ online

30.05.2025

RAV-Kongress: AufRecht. Solidarisch in autoritären Zeiten

13.06.2025, Leipzig

Unternehmensumwandlungen: Umwandlung eines Einzelunternehmens in eine GmbH

03.06.2025

Logo von Deutscher Anwaltverein
Deutscher Anwaltstag 2025 in Berlin

02.06.2025, Berlin

Logo von Hengeler Mueller
LL.M. Farewell Dinner

03.07.2025, Frankfurt am Main

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH