Am Donnerstag tritt die neue EuGH-Verfahrensordnung in Kraft. Das Regelwerk soll übersichtlicher, das Verfahren vor dem überlasteten Luxemburger Gericht effizienter und kürzer werden. Insgesamt eine gelungene Reform, wenn denn die Beschleunigung nicht auf Kosten des Rechtsschutzes geht, meinen Alexander Thiele und Hendrik Müller.
Die neue Verfahrensordnung (VerfO) des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) soll nicht zuletzt der rechtsstaatlich gebotenen Transparenz dienen – und dieses Ziel erreicht sie zweifelsohne.
Die bisherigen Regelungen waren nach zahlreichen Reformen und Ergänzungen eigentlich nur noch für den Experten verständlich. Mangelnde individuelle Überschriften erschwerten die Orientierung ebenso wie die kaum nachvollziehbare Gliederung. Auch die fehlende Durchnummerierung der Absätze trug nicht eben zum besseren Verständnis der Verfahrensvorschriften bei.
Geordnet, praktisch, kurz
Schon auf den ersten Blick werden die Verbesserungen deutlich: An die Stelle von fünf Titelabschnitten mit sehr unterschiedlicher Relevanz und nur selten klarer Aufteilung treten acht übersichtlich und nachvollziehbar gegliederte Titel.
Auf die Regelungen zur Organisation des Gerichtshofs folgen allgemeine Verfahrensbestimmungen und besondere Regelungen für das Vorabentscheidungs- und die weiteren Verfahren. Anschließend finden sich Regelungen zu den Rechtsmitteln gegen Entscheidungen des Gerichts der Europäischen Union (EuG) sowie zu besonderen Verfahrensarten und schließlich einige wenige Schlussbestimmungen.
Auch die Reduktion der bisherigen Zahl der Unterabschnitte, die Streichung zahlreicher Regelungen, die in der Praxis schlicht keine Rolle spielten und neue individuelle Artikelüberschriften steigern die Übersichtlichkeit deutlich.
Klarheit endlich auch für den nationalen Richter
Der Transparenz und Klarheit dient auch die neu eingeführte ausführliche Regelung des Vorabentscheidungsverfahrens.
Schließlich kann die durch Art. 267 Abs. 3 AEUV begründete Vorlagepflicht praktisch jeden nationalen Richter treffen. Auch wenn dieser nicht täglich mit dem Europarecht befasst ist, kann er sich zukünftig durch einen schnellen Blick in die Verfahrensordnung über die Formalia eines Vorlageersuchens informieren.
Zwar existierten auch zuvor gewisse informelle Hilfestellungen in Form von Mitteilungen und Empfehlungen – der Richter wusste allerdings in der Regel nichts von ihnen. Die VerfO dagegen ist in jeder Gesetzessammlung enthalten. Insofern trägt die Neuregelung auch dazu bei, das Europarecht in den nationalen Gerichten endlich ankommen zu lassen – was bis heute gerade bei unterinstanzlichen Gerichten keineswegs überall der Fall ist.
Gegen die Überlastung des EuGH: Schneller, kürzer, schriftlich
Die Novelle erfolgte indes nicht nur zu Transparenzzwecken. Sie ist auch eine Reaktion auf die zunehmende Arbeitsbelastung des EuGH. Im Laufe der Jahre hat sich nicht nur die Zahl der Mitgliedstaaten und damit die der Klagen, sondern auch deren Komplexität stetig erhöht. Aktuell beträgt die durchschnittliche Verfahrensdauer zwischen 15 und 20 Monate. Die neuen Bestimmungen sollen das Verfahren vor dem Gerichtshof beschleunigen.
Zwar bestand die generelle Möglichkeit, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen oder anhängige Verfahren zu verbinden, schon nach bisherigem Recht, auch wenn die Pressemitteilung des Gerichtshofs anderes suggeriert. Mit der neuen Vorschrift des Art. 99 VerfO kann aber ein Vorabentscheidungsverfahren nun leichter ohne mündliche Verhandlung beendet werden.
Für die mündliche Verhandlung selbst muss zudem kein zeitaufwendiger Sitzungsbericht mehr abgefasst werden. Außerdem können die Luxemburger Richter die Verfahrensbeteiligten auffordern, sich bei ihren Ausführungen auf vom Gerichtshof festgelegte Aspekte zu konzentrieren (Art. 61 Abs. 2 VerfO).
Bei restriktiver Auslegung auch kein verkürzter Rechtsschutz
Neu ist schließlich auch, dass der EuGH die maximale Länge der Schriftsätze und Erklärungen festlegen kann, welche die Parteien im jeweiligen Verfahren einreichen dürfen (Art. 58 VerfO). Ein solcher Beschluss wird – wie auch die Anhängigkeit des Verfahrens selbst – im Amtsblatt veröffentlicht und ist damit für jeden öffentlich, der sich möglicherweise beteiligen will.
Diese neuen Befugnisse mögen die Verfahrensdauer reduzieren und zu mehr Effizienz verhelfen. Es wird aber zu beobachten sein, ob sie nicht zu einer unzulässigen Verkürzung rechtsstaatlich gebotener Verfahrensrechte führen. Eine zu extensive Auslegung wäre auch mit der nun verbindlichen Grundrechtecharta nicht vereinbar, an der sich die VerfO als besonderes Sekundärrecht messen lassen muss.
Spätestens mit dem Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention haben die Verfahrensbeteiligten jedoch die Möglichkeit, gegen eine eventuelle unzulässige Verkürzung ihrer Verfahrensrechte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorzugehen. Ihre Verfahrensrechte werden also auch in Zukunft ausreichend geschützt.
Der Autor Dr. Alexander Thiele ist Akademischer Rat a.Z. und Habilitand am Institut für Allgemeine Staatslehre und Politische Wissenschaften und hat unter anderem ein Lehrbuch zum Europäischen Prozessrecht verfasst. Der Autor Hendrik Müller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter ebenda.
Alexander Thiele, Neue EuGH-Verfahrensordnung: . In: Legal Tribune Online, 01.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7431 (abgerufen am: 06.12.2024 )
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