Verfahrensdauer im Zivilprozess: 100 Seiten Par­tei­vor­trag = 2,7 Monate

von Prof. Dr. Michael Berlemann und Prof. Dr. Robin Christmann

06.09.2017

2/2 Erfahrene Richter arbeiten schneller

Auch wenn dies nicht explizit Gegenstand der Hamburger Studie war, so lässt sich anhand der Daten durchaus feststellen, dass die Prozessdauer zwischen den zuständigen Richtern durchaus differierte. Zum Teil ist dies auf schwer messbare Eigenschaften der einzelnen Richter wie inhärente Motivation und juristische Fähigkeiten zurückzuführen. Ergänzende Schätzergebnisse zeigten aber auch, dass z.B. die Berufserfahrung einen systematischen Einfluss auf die Bearbeitungszeit hat. So führen zehn Jahre zusätzlicher Berufserfahrung zu einer Verkürzung der Verfahrenslänge um knapp 7 Prozent oder durchschnittlich knapp zwei Wochen. Aufgrund der begrenzten Zahl der Richter am betrachteten Amtsgericht ist dieses Ergebnis aber durch weiterführende Studien noch zu untermauern.

Für die Rechtsprechung bedeutsam ist, dass die Existenz von Leiturteilen für einen Streitfall zu einer systematischen Reduktion der Verfahrensdauer führt. Liegt ein einschlägiges Leiturteil vor, so führt dies zu einer durchschnittlichen Zeitersparnis von etwas über einem Monat. Dies führte auf das Kalenderjahr umgerechnet zu einer Zeitersparnis des gesamten Amtsgerichtes von mindestens 240 Monaten Arbeitszeit oder einer zusätzlichen Erledigung von etwa 42 Klagen. Außerdem darf erwartet werden, dass Leiturteile auch die Vergleichsquote erhöhen.

Leiturteile machen es leichter

Naturgemäß wird ein Leiturteil die Arbeit des Richters erheblich vereinfachen. Ist dieses einschlägig, so ist die Rechtslage bereits klar. Es ist zudem zu vermuten, dass sich auch das Parteienverhalten ändert. Ökonomen sprechen davon, dass bei Vorliegen von Leiturteilen der Raum für strategisches Verhalten im Prozess begrenzt wird, was den Prozess tendenziell verkürzt.

Interessant ist zudem, dass die verfahrensbeschleunigende Wirkung von Leiturteilen nicht entscheidend mit der Anzahl der zitierten Urteile oder ihrem Alter zusammenhängt, sondern hier die bloße Existenz eines einschlägigen Urteils genügt. Weiterhin weist die Studie nach, dass die Existenz von Leiturteilen auch die Genauigkeit der getroffenen erstinstanzlichen Urteile erhöht, und diese im Berufungsverfahren öfter bestätigt werden. Ein durch Leiturteile gesteigertes Entscheidungstempo führt also keineswegs zu einer höheren Fehlerhäufigkeit.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Wirkung von Vergleichen. So strebt der Gesetzgeber an, die Länge von Gerichtsverfahren und die dabei entstehenden Kosten dadurch zu begrenzen, dass der Richter nach Möglichkeit auf einen Vergleich hinwirken soll. Während bei erfolgreichen Vergleichsverhandlungen das Verfahren in der Regel tatsächlich verkürzt wird, können scheiternde Verhandlungen auch das gegenteilige Ergebnis bewirken. Zudem nimmt mit einer zunehmenden Zahl von Vergleichen gleichzeitig die Zahl neuer Leiturteile ab, so dass die hieraus entstehende verfahrensverkürzende Wirkung nicht zum Tragen kommt. Ob das Institut des Vergleichs insgesamt die Länge von Zivilprozessen wirklich verkürzt, ist somit nicht gesichert.

Die Hamburger Studie bietet einen ersten Einblick in die Hintergründe des von Außenstehenden oftmals als zu gering empfundenen Entscheidungstempos deutscher Zivilgerichte. Sie deutet darauf hin, dass die Länge von Prozessen von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst wird, die zum Teil, aber eben auch nicht vollständig vom zuständigen Richter beeinflusst werden können. Empirische Analysen wie die Hamburger Studie können helfen, rechtspolitische Entscheidungen auf eine breitere und objektive empirische Basis zu stellen. Sie setzen allerdings auch voraus, dass der Forschung sehr viel mehr Datenmaterial zur Verfügung gestellt wird als dies derzeit der Fall ist.

Prof. Dr. Michael Berlemann forscht auf dem Gebiet der Empirischen Wirtschaftsforschung an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. Prof. Dr. Robin Christmann forscht im Bereich "Law & Economics" mit Schwerpunkt Ökonomie von Gerichtsverfahren an der Leibniz-Fachhochschule Hannover.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Michael Berlemann und Prof. Dr. Robin Christmann, Verfahrensdauer im Zivilprozess: 100 Seiten Parteivortrag = 2,7 Monate . In: Legal Tribune Online, 06.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24345/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen