Das novellierte Bremer Polizeigesetz schränkt die Einsatzmöglichkeiten von verdeckt ermittelnden Polizisten und Polizistinnen ein. Die Polizeirechtlerin Kirsten Wiese hält dies für richtungsweisend.
LTO: Frau Professorin Wiese, im Bremer Polizeigesetz wird verdeckten Ermittlern und Ermittlerinnen jetzt das Eingehen von Sex- und Liebesbeziehungen verboten. Gab es dafür ein Vorbild?
Prof. Dr. Kirsten Wiese: Nein, das ist ein interessantes und mustergültiges Novum im deutschen Sicherheitsrecht. Explizit sind solche Beziehungen von Verdeckten Ermittlerinnen und Ermittlern noch nie geregelt und verboten worden.
Was hat Bremen konkret bestimmt?
Die Bremer Gesetzgeberin, die Bürgerschaft, hat in § 47 Bremisches Polizeigesetz (BremPolG) folgenden Satz angefügt: "Eine verdeckt ermittelnde Person darf unter der Legende keine sexuellen Handlungen vornehmen oder an sich vornehmen lassen und keine Liebesverhältnisse eingehen."
Was war der Anlass für diese Ergänzung? Gab es Skandale in Bremen?
Nein. Aber es gab Skandale außerhalb von Bremen. Bis vor wenigen Jahren waren in Hamburg Verdeckte Ermittlerinnen mit den Tarnnamen "Iris Schneider" und "Maria Block" in der linken Szene aktiv und hatten dort Liebschaften begonnen. Der Verdeckte Ermittler "Simon Brenner" hatte sich 2010 in linke studentische Gruppen in Heidelberg eingeschlichen und dort "Freundschaften" geschlossen. Der britische Verdeckte Ermittler "Mark Stone" war von 2002 bis 2010 in ganz Europa aktiv und hatte auch in Deutschland Sex mit Frauen aus linken Gruppen. Anfang der 1990er-Jahre verliebte sich der Verdecke Ermittler "Jo", der die linke Szene Tübingens ausforschen sollte, in eine Frau, die sogar schwanger wurde.
"Massive Intervention in die Persönlichkeitsrechte"
Soweit soll es in Bremen also gar nicht kommen?
Ja, das ist wohl die Intention der Bremer Gesetzgeberin. Politischer Hintergrund dafür war, dass die rot-grün-rote Regierungskoalition, die bei der Polizeigesetznovelle zum Beispiel die Befugnisse für Video-Überwachung ausweitete, an anderer Stelle mit besonders grundrechtsfreundlichen Regelungen einen Ausgleich schaffen wollte.
Warum sollen verdeckt ermittelnde Personen keine taktischen Liebschaften eingehen?
Weil dies eine so massive Intervention in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen ist, dass dies durch polizeiliche Zwecke unter keinen Umständen zu rechtfertigen ist. Andere Verfassungswerte müssen hier zurückstehen. Das Eingehen von Liebesbeziehungen und sexuellen Verhältnissen ist etwas so Höchstpersönliches und Intimes, dass der Staat diese auf keinen Fall manipulativ forcieren darf.
Wenn der Staat in Gestalt der Verdeckten Ermittlerinnen und Ermittler das Liebesbedürfnis von Ziel- oder Kontaktpersonen ausbeutet, um leichter Informationen erlangen zu können, ist die Menschenwürde verletzt. Hier wird die Zielperson, indem ihr Zuneigung und sexuelles Interesse vorgegaukelt wird, zum Objekt staatlichen Handelns gemacht.
Verbot jeglicher Sex- und Liebesbeziehungen
Wenn die Menschenwürde verletzt ist, müsste die Praxis doch ohnehin illegal sein. Braucht Bremen dann überhaupt noch eine gesetzliche Regelung?
Dass taktisch eingesetzte Liebesbeziehungen verboten sind, dürfte tatsächlich herrschende Meinung sein. Eine explizite gesetzliche Regelung halte ich dennoch für sehr sinnvoll. Das zeigt schon die Zahl der Skandale in diesem Bereich. Außerdem geht die bremische Gesetzgeberin über das verfassungsrechtlich Gebotene noch hinaus.
Inwiefern?
§ 47 II 4 BremPolG verbietet verdeckt ermittelnden Personen nicht nur taktische Liebschaften, sondern jegliche Sex- und Liebesbeziehung im Dienst.
Das Verbot betrifft also auch Fälle, bei denen echte Zuneigung und echte Begierde im Spiel sind?
Ja, denn oft lassen sich der taktische Zweck und das persönliche Empfinden nicht so einfach trennen. Außerdem ist die Verletzbarkeit der Zielpersonen kaum geringer, wenn die Verdeckten Ermittlerinnen und Ermittler in ihrer vorgespielten Rolle auch echte Gefühle entwickeln.
Ist die Anwendung von List und Tücke nicht typisch für den Einsatz Verdeckter Ermittler?
Nur soweit der Einsatz gesetzlich erlaubt ist. Das Bremer Polizeigesetz lässt die Teilnahme am Rechtsverkehr unter einer Legende zu. Und es rechtfertigt den Zutritt zu einer Wohnung, wenn das Einverständnis des Wohnungsinhabers unter Nutzung der Legende erlangt wurde. Der Zugang zu seelischer und körperlicher Intimität ist damit aber ersichtlich nicht erfasst. Und nach dem novellierten BremPolG ist ein solcher Zugang nun sogar ausdrücklich verboten.
"Verwertungsverbot die Folge"
Was ist die Folge, wenn das Verbot von einem Ermittler oder einer Ermittlerin ignoriert wurde? Können die so erlangten Informationen dann genutzt werden?
Wenn die Menschenwürde verletzt wurde, muss strafrechtlich ein Verwertungsverbot die Folge sein, insbesondere beim rein taktischen Eingehen von Liebschaften. Polizeirechtlich kann zum Beispiel ein Durchsuchungsbeschluss nicht auf Erkenntnisse gestützt werden, die unter Verstoß gegen die Menschenwürde erlangt wurden.
Wie weit geht das Verbot nach § 47 II 4 BremPolG? Ist schon eine Umarmung verboten?
Die freundschaftliche Umarmung zur Begrüßung ist sicher nicht verboten. Die erotische Umarmung aber doch.
Was ist mit einem Kuss?
Auch hier wird zu differenzieren sein. Der Kuss auf die Wange bleibt unproblematisch. Ein Kuss auf den Mund ist dagegen meist sexuell konnotiert und daher verboten. Meines Erachtens ist § 47 II 4 BremPolG im Sinne des Schutzzwecks weit zu verstehen.
Auch flirten verboten?
Wenn jemand in einer kriminellen Szene als Verdeckter Polizist verdächtigt wird, könnte er oder sie erotisch herausgefordert werden, um zu testen, ob hier jemand an gesetzliche Grenzen stößt. Bekommt hier der Begriff der "Keuschheitsprobe" eine ganz neue Bedeutung?
Das könnte passieren. So wie eine verdeckt ermittelnde Person keine Straftaten begehen darf, sind ihr auch Liebschaften verboten. Entsprechend klug muss die Legende gestrickt sein. In Frage käme zum Beispiel der Hinweis auf einen Freund oder eine Freundin, die keinerlei sexuelle Nebenaktivitäten duldet.
Darf ein Verdeckter Ermittler noch flirten?
Freundliches Verhalten, um einen Kontakt anzubahnen, ist sicher erlaubt.
Was gilt, wenn der Verdeckte Ermittler die Zielperson verliebt macht und in emotionale Abhängigkeit bringt, ohne eine Liebesbeziehung mit ihr einzugehen?
Da es auch hier um das taktische Ausnutzen intimer und inniger Gefühle geht, sollte hier ebenfalls das Verbot gem. § 47 II 4 BremPolG gelten.
"Distanz wahren"
Was ist mit engen Freundschaften? Dort erzählt man sich oft mehr höchstpersönliche Dinge als in einer eventuell nur kurzen sexuellen Begegnung.
Innige Freundschaften könnten wegen des Schutzzwecks durchaus als "Liebesbeziehungen" im Sinne von § 47 II 4 BremPolG verstanden werden. Man spricht ja auch von "platonischer Liebe". Alternativ könnte das Verbot des § 47 II 4 BremPolG hier analog gelten. Eine verdeckt ermittelnde Person muss im Interesse der Betroffenen Distanz wahren können. Die abgeschöpfte Person soll sich nicht emotional bis in ihr Innerstes ausgenutzt fühlen.
Nach § 36 BremPolG darf eine Datenerhebung mit Hilfe von verdeckt ermittelnden Personen nur angeordnet werden, "falls nicht tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, dass auch Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt werden." Das klingt kompliziert, aber ist vielleicht noch strenger als ein Sex- und Liebesverbot für Verdeckte Ermittler.
Diese Norm ist wirklich sehr streng. Wann ist schon auszuschließen, dass eine verdeckt ermittelnde Person, die ja auf das Vertrauen ihrer Ziel- und Kontaktpersonen angewiesen ist, Informationen aus deren privatem Kernbereich erhält? Hier ist die Bremer Gesetzgeberin vielleicht etwas übers Ziel hinausgeschossen. Aber gerade weil § 36 I 4 BremPolG vermutlich zu Auslegungsschwierigkeiten in der Polizeipraxis führen wird, finde ich es gut, dass es auch das explizit formulierte Sex- und Liebesverbot gemäß § 47 II 4 BremPolG gibt.
Analoge Anwendung bei V-Leuten?
Nun gilt § 47 II 4 BremPolG nur für Verdeckte Ermittler, nicht für V-Leute. Ist das sachgerecht?
Grundsätzlich ja. Die meisten V-Leute werden ja angeworben, damit sie der Polizei aus ihrer potenziell kriminellen Szene berichten. Dass Menschen in ihrem gewohnten Umfeld Liebes- und Sex-Beziehungen haben, kann nicht verboten werden. Sonst wäre eventuell sogar die Liebe zur eigenen Ehefrau untersagt. Anders sieht es aus, wenn V-Leute gezielt in eine für sie neue Szene eingeschleust werden, in der sie - wie verdeckte Ermittler - erst einmal Kontakte knüpfen müssen, um Informationen abschöpfen zu können. Hier sollte das Liebes- und Sex-Verbot gem. § 47 II 4 BremPolG analog angewandt werden.
Was ist mit verdeckt ermittelnden Beamten und Beamtinnen des Bremer Landesamts für Verfassungsschutz?
Bei der nächsten Novelle des Bremer Verfassungsschutzgesetzes sollte ein entsprechendes Verbot eingefügt werden. Und auch der Bundesgesetzgeber sollte sich am Bremer Beispiel orientieren und § 110c Strafprozessordnung sowie § 9a Bundesverfassungsschutzgesetz entsprechend nachbessern. Die Anzahl der durch Polizei oder Verfassungsschutz eingesetzten verdeckten Ermittler und Ermittlerinnen dürfte bundesweit zwar überschaubar sein, Gesetzesänderungen sind aber notwendig, weil taktische Liebesverhältnisse die Menschenwürde verletzen.
Rechtsprofessorin Dr. Kirsten Wiese lehrt seit 2016 Polizeirecht an der Hochschule für Öffentliche Verwaltung Bremen. An der Novellierung des Bremer Polizeigesetzes, das im Dezember 2020 in Kraft trat, war sie als Sachverständige beteiligt.
Interview zu Grenzen von verdeckten Ermittlungen: . In: Legal Tribune Online, 02.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44391 (abgerufen am: 10.10.2024 )
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