Das BVerfG wird die rechtsextremistische NPD voraussichtlich verbieten. Diesen Eindruck gewann Christian Rath in der dreitägigen mündlichen Verhandlung in Karlsruhe.
Die Weichen für das Verbot wurden bereits im letzten Dezember gestellt. Damals wurde nicht nur der Termin für die mündliche Verhandlung veröffentlicht. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) entschied damit zugleich, dass der Verbotsantrag des Bundesrats zulässig und hinreichend begründet ist. Dieses in § 45 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) geregelte Vorverfahren dient dem Schutz der betroffenen Partei. Diese soll nur dann an den Pranger der öffentlichen Verhandlung gestellt werden, wenn ein Verbot wahrscheinlich ist.
Von nun an war klar, dass die Richter den Verbotsantrag des Bundesrats nach Aktenlage schlüssig fanden. Die NPD, die sich vor der Verhandlung nicht zur Sache geäußert hatte, musste jetzt versuchen, die Richter in der mündlichen Verhandlung umzustimmen. Das ist ihr wohl nicht gelungen. Jedenfalls ließen weder der Senat als Ganzes noch einzelne Richter einen Sinneswandel erkennen.
Die Verhandlung vollzog sich in drei Teilen. Zunächst wurden Verfahrenshindernisse diskutiert, dann wurde der verfassungsrechtliche Maßstab für Parteiverbote erörtert und schließlich wurde mit Blick auf die NPD subsumiert.
Konkrete Gefahr weiterhin nicht erforderlich
Am ehesten war noch im ersten Teil der Verhandlung mit einer Überraschung zu rechnen, als es um Verfahrenshindernisse ging. Der NPD-Anwalt Peter Richter hatte sogar "Knaller" angekündigt, dabei aber den Mund wohl etwas zu voll genommen. Mehr als vage Spekulationen hatte die NPD nicht zu bieten.
Die Partei konnte kein NPD-Vorstandsmitglied als V-Mann enttarnen. Sie hatte keine konkreten Hinweise, dass der Staat ihre Verteidigungsstrategie ausspäht. Und sie konnte auch die Behauptung des Bundesrats nicht widerlegen, dass keine im Verbotsantrag zitierte NPD-Äußerung von einem V-Mann stammt. Gerichtspräsident Prof. Dr. Andreas Voßkuhle gab daher schon am Morgen des zweiten Verhandlungstags bekannt, dass "nach vorläufiger Einschätzung" kein Verfahrenshindernis vorliegt.
Die Bestimmung des Maßstabs für ein Parteiverbot galt im Vorfeld als
Dreh- und Angelpunkt des Verfahrens. So wäre der Verbotsantrag von vornherein chancenlos gewesen, hätte das BVerfG als Voraussetzung für ein Verbot eine "konkrete Gefahr" verlangt.
In den 50-er Jahren beim Verbot der neonazistischen SRP und der kommunistischen KPD ließ das Gericht allerdings noch eine abstrakte Gefahr für ein Verbot ausreichen. Damals hieß es, eine antidemokratische Partei kann sogar dann verboten werden, "wenn nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, daß sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft verwirklichen kann". Unter den Richtern war nun niemand zu hören, der eine konkrete Gefahr verlangte. Das war auch konsequent, sonst hätte das Verfahren ja gar nicht eröffnet werden können. Nur ein Zugeständnis deutete Voßkuhle an: Es sollte bei einem Verbot zumindest nicht völlig ausgeschlossen sein, dass eine Partei ihre Pläne je realisieren kann.
2/2: Die "Volksgemeinschaft" nach der NPD
Da es auf das Bestehen einer Gefahr nicht ankam, war es auch kein Rückschlag für den Bundesrat, dass sich die NPD im Verfahren als personell und finanziell schwache Partei erwies. Auch ließ sich Gewalt aus der rechten Szene nur bedingt der Partei zurechnen. Das im Verbotsantrag beschriebene "Klima der Angst" konnte selbst für Hochburgen der NPD wie Anklam in Vorpommern nicht überzeugend nachgewiesen werden.
Inhaltlich stützte sich die Verbotsforderung des Bundesrats vor allem auf den Vorwurf, die NPD habe eine homogene "Volksgemeinschaft" als Ziel. Eingebürgerte Deutsche sehe sie als Staatsbürger zweiter Klasse, die kein sicheres Bleiberecht in Deutschland haben. Die Vorstellung, dass biologische Kriterien (das heißt: die Abstammung) darüber entscheiden, ob jemand in Deutschland Träger von vollen Rechten werden kann, verstößt laut Bundesrat gegen die Menschenwürde, die allen Menschen gleich zu kommt. Damit wäre auch die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne von Artikel 21 Abs. 2 GG beeinträchtigt.
Die NPD-Vertreter behaupteten zwar, dass ihr Konzept von Volksgemeinschaft alle deutschen Staatsbürger umfasse, auch eingebürgerte. Niemand solle seine Staatsbürgerschaft verlieren und auch künftig sollen Ausländer "im Einzelfall" eingebürgert werden können. Die Richter nahmen den NPDlern diese Beteuerungen aber nicht ab. "Die Botschaft höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube", sagte Richter Herbert Landau am Donnerstag. Zu viele Belege gab es, dass in der NPD rassistische Vorstellungen tief verankert sind.
Mit einem Verbot würde das BVerfG eine Chance verpassen
Das Urteil wird vermutlich im Sommer verkündet. Es wäre eine große Überraschung, wenn es nun nicht zum Verbot der NPD käme.
Beobachter, die den Eröffnungsbeschluss vom Dezember außer Acht ließen, empfanden die dreitägige Verhandlung jedoch als völlig offen. Zu Beginn betonte Präsident Voßkuhle, dass das Parteiverbot ein "ebenso scharfes wie zweischneidiges Schwert" sei. Es schränke Freiheit ein, um Freiheit zu bewahren. In der Folge befragten die Richter beide Seiten teilweise scharf. Insbesondere der Berichterstatter Peter Müller ließ seine Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines NPD-Verbots häufig durchblicken.
Das alles muss aber nicht viel bedeuten. Es dürfte sich um das übliche Zelebrieren Karlsruher Unabhängigkeit handeln. Richter Müller hatte dazu noch mehr Grund als seine Richterkollegen, schließlich war er zu Beginn der Verhandlung von der NPD wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden. Grund: In seiner Zeit als saarländischer Ministerpräsident hatte Peter Müller das Gedankengut der NPD als "ekelerregend" bezeichnet. Der Senat lehnte diesen und andere Befangenheitsanträge ab. Müller habe sich damals politisch geäußert, während es nun um Rechtsfragen gehe. Das entsprach der üblichen Praxis des Gerichts.
Sollte die NPD am Ende tatsächlich verboten werden, hätte das Verfassungsgericht eine Chance verpasst, das Parteiverbotsverfahren zeitgemäßer auszugestalten. Es war ja weithin damit gerechnet worden, dass nach über 60 Jahren ziemlich gefestigter Demokratie künftig eine konkrete Gefahr als Voraussetzung für ein Parteiverbot verlangt werde.
Warum das Gericht darauf verzichtet, wird es im Urteil gut erklären müssen. Gerade das konkrete Verbotsverfahren zeigte schließlich die hiermit verbundenen Gefahren auf. Schließlich war Auslöser des Antrags das Versagen der Sicherheitsbehörden beim NSU-Terror. Die Idee, die NPD zu verbieten, sollte damals Handlungsfähigkeit demonstrieren. Inzwischen geht es nur noch darum, das Gesicht zu wahren. Schade, dass das BVerfG hierbei mitzumachen scheint. Es hätte schon im Dezember die Reißleine ziehen sollen.
Christian Rath, BVerfG verhandelte über Parteiverbot: NPD vor dem Aus . In: Legal Tribune Online, 04.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18683/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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