Im Kampf gegen Unternehmenskriminalität schlägt das BMJV drakonische Strafen, aber auch Anreize für Compliance und Kooperation vor. Regeln für interne Untersuchungen sind ebenso sinnvoll wie teuer, meinen Björn Gercke und Andreas Grözinger.
Nach langem Hin und Her und einer zähen rechtlichen und rechtspolitischen Debatte ist es nun so weit: Das Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) will verbandsbezogene Straftaten sanktionieren. Wenn die Große Koalition die Pläne – ein Mix aus drakonischen Strafen und erheblichen Anreizen – so umsetzt, steht die Praxis vor neuen Herausforderungen.
Dass es zu einem sog. Unternehmensstrafrecht kommen würde, schien bereits alternativlos. Nachdem ein Gesetzentwurf der NRW-Regierung aus dem Jahr 2013 gescheitert war, wurde die Absicht eines entsprechenden Gesetzesvorhabens – nicht zuletzt angefacht vom Skandal um manipulierte Abgaswerte – schließlich im aktuellen Koalitionsvertrag vereinbart. Auch in der Wissenschaft wurde die Frage eines Verbandssanktionsrechts intensiv erörtert und es wurden - etwa mit dem "Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes" oder den "Frankfurter Thesen zur Unternehmensverantwortung für Unternehmenskriminalität" – auch konkrete Vorschläge unterbreitet. Die Vorschläge des BMJV, die nun in die Ressortabstimmung gehen, tragen deutlich die Handschrift des Kölner Entwurfs.
Dabei gibt es gute Gründe, die Notwendigkeit eines eigenen Verbandssanktionsrechts zu hinterfragen. Gerade der sog. Dieselskandal, der vielfach als Beleg für den Bedarf an einem eigenen Verbandssanktionsrecht herangezogen wird, lässt durchaus den Schluss zu, dass die bisherigen Regelungen zur Sanktionierung von Verbänden ausreichen. Das gilt auch aufgrund des kürzlich umfassend reformierten Rechts der Vermögensabschöpfung. So hat der Volkswagen-Konzern mit seinen Marken VW, Audi und Porsche aufgrund des Dieselskandals insgesamt rund 2,5 Milliarden Euro an den Fiskus gezahlt. Das BMJV ist dennoch der Ansicht, eine angemessene Reaktion auf Unternehmenskriminalität sei mit den bestehenden Regelungen bislang nicht möglich gewesen.
Ob, wie vom BMJV unterstellt, höhere Sanktionen tatsächlich abschreckende Wirkung haben, erscheint fraglich: Abschrecken im eigentlichen Sinne lassen sich (natürlich) nur natürliche Personen. Insoweit entfalten aber bereits die einfachen Strafgesetze hinreichend abschreckende Wirkung.
Was das Bundesjustizministerium will
Die Sanktionierung von Verbänden soll eine eigene gesetzliche Grundlage erhalten und dem Legalitätsprinzip unterworfen werden. Außerdem will das BMJV mehr Instrumente zur besseren Ahndung von Verbandsstrafen zur Verfügung stellen. Zugleich sollen Compliance-Maßnahmen gefördert und Anreize für Unternehmen gesetzt werden, durch die Durchführung interner Untersuchungen am Verfahren mitzuwirken.
Die Pläne betreffen nicht nur Unternehmen, sondern sämtliche privat- und öffentlich-rechtlichen Verbände. Erfasst werden nicht nur Großkonzerne, sondern auch Mittelständler, Start-Ups und der Friseursalon um die Ecke. Vom Anwendungsbereich ausgeschlossen ist dagegen hoheitliches Handeln. Das geplante Verbandssanktionengesetz soll zudem extraterritorial ausgestaltet werden. Es soll auch Verbandsstraftaten im Ausland erfassen, sofern der Verband einen Sitz im Gebiet der Bundesrepublik hat.
Ein Herzstück der Pläne ist die Verbandsverantwortlichkeit für Verbandsstraftaten von Leitungspersonen und sonstigen Personen, die durch angemessene Vorkehrungen hätten verhindert oder wesentlich erschwert werden können. Zudem soll das Legalitätsprinzip eingeführt werden. Staatsanwaltschaften sollen also beim Vorliegen eines Anfangsverdachts einer Verbandsstraftat künftig zwingend ein Ermittlungsverfahren gegen den Verband einleiten. Damit werden, noch mehr als ohnehin schon, Durchsuchungen von Unternehmen auf die Agenda der Staatsanwaltschaften gebracht. Die Einführung des Legalitätsprinzips stellt daher nicht nur Unternehmen, sondern auch die ohnehin überlastete Justiz vor neue Herausforderungen.
Sanktionen: Geld oder Leben
Die vorgesehenen Sanktionen sind erheblich, sie reichen bis zu zehn Prozent des jährlichen weltweiten Jahresumsatzes des Unternehmens. Die Pläne reihen sich aber in entsprechende Regelungen in den Bereichen des Kartell-, Datenschutz- oder Geldwäscherechts ein.
Positiv hervorzuheben ist, dass auf Rechtsfolgenebene anhand der Umsatzstärke der Verbände differenziert werden soll. Die existenzbedrohende Sanktion von bis zu zehn Prozent des jährlichen weltweiten Jahresumsatzes soll nur Unternehmen mit einem jährlichen Umsatz von über 100 Millionen Euro treffen können. Diese Grenze überschreiten allerdings beileibe nicht nur Großkonzerne, sondern auch der eine oder andere Mittelständler. Für weniger umsatzstarke, d.h. insbesondere kleinere Unternehmen, bleibt es dagegen bei der bisher geltenden Sanktionshöchstgrenze von zehn Millionen Euro.
Als weitere Sanktionen sieht der Entwurf die Verbandsauflösung und – entgegen teils anderslauternder vorheriger Ankündigung – die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des Verbands (sog. Naming and Shaming) bei einer großen Zahl von Geschädigten vor.
Überzeugen kann beides nicht. Die Verbandsauflösung wurde in der Vergangenheit zu Recht als gesellschaftsrechtliche Todesstrafe bezeichnet. Die öffentliche Bekanntmachung wiederum führt zu einer Prangerwirkung, die mit dem modernen Strafrecht kaum in Einklang zu bringen ist. Sie stigmatisiert den Verbands als Kollektiv aufgrund von Unrecht, das im Zweifel Einzelne – wenn auch in dem Verband zurechenbarer Weise – begangen haben.
Positiv fällt dagegen auf, dass keine Rede mehr ist von dem von vielen Unternehmen befürchteten Monitor sowie von Möglichkeiten zum Ausschluss des Verbands aus Subventions- und/oder Vergabeverfahren, auch wenn dieser in bestimmten Konstellationen schon jetzt gesetzlich vorgesehen ist.
Anreize für interne Untersuchungen und Compliance-Maßnahmen
Grundsätzlich zu begrüßen sind die vorgeschlagenen umfassenden Möglichkeiten, die Verbandssanktion zu mildern und von der Verfolgung abzusehen. Das gilt vor allem für die geplanten Anreize zur Schaffung von Compliance-Systemen und zur Durchführung sog. Internal Investigations. Gerade im Bereich dieser internen Untersuchungen bestand in jüngerer Vergangenheit eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit, die auch durch das BVerfG im sog. Jones-Day-Urteil nicht vollständig ausgeräumt werden konnte.
Nach den Plänen des BMJV soll die Mitwirkung des Verbands an der Aufklärung ausdrücklich zur Milderung der Verbandssanktion und u. U. sogar zum Absehen von der Verfolgung führen können, wenn der Verband einen wesentlichen Aufklärungsbeitrag leistet. Im Sinne der Rechtsklarheit erst einmal uneingeschränkt zu begrüßen ist, dass eine Neuregelung erstmals klarstellen soll, welche Anforderungen an eine "gute" interne Untersuchung zu stellen sind.
Voraussetzung einer solchen Untersuchung, die nach den Vorschlägen honoriert werden soll, ist zunächst, dass die mit einer etwaigen internen Untersuchung beauftragten Personen nicht zugleich Verteidiger des Verbandes oder eines Beschuldigten sind. Diese Regelung, die offensichtlich von vorneherein etwaigen Interessenkollisionen vorbeugen soll, war bereits im Vorfeld eines Entwurfsstadiums durchgesickert und gab Anlass zur Kritik, nicht zuletzt aus dem Umfeld der einen oder anderen Großkanzlei.
Klare Trennung zwischen interner Untersuchung und Verteidigung
Um in den Genuss einer Sanktionsmilderung zu gelangen, muss der Verband außerdem uneingeschränkt mit den Verfolgungsbehörden zusammenarbeiten. Das bedeutet auch, dass er alle Dokumente aus einer internen Untersuchung einschließlich des Abschlussberichts zur Verfügung stellen muss.
Hier kommt die klare Trennung zwischen interner Untersuchung und Unternehmensverteidigung zum Tragen. (Allein) Unterlagen der Verteidigung sind danach nämlich (weiterhin) beschlagnahmefrei. Das wird wohl dazu führen, dass der – nach den Plänen klar von der mit der internen Untersuchung beauftragten Kanzlei abzugrenzende – mandatierte Unternehmensverteidiger seine eigenen Untersuchungen durchführen muss. Denn die eigene Ermittlungstätigkeit gehört natürlich zum Kernbereich der Verteidigung.
Das kann zwar einen erheblichen Mehraufwand für das Unternehmen bedeuten, da entsprechende Untersuchungen ggf. zweimal von unterschiedlichen Beteiligten, allerdings aus unterschiedlichem Blickwinkel, durchgeführt werden. Mit Blick auf die beabsichtigte Trennung und nicht zuletzt die unterschiedlichen Funktionen von aufklärender, mithin zu honorierender Untersuchung einerseits und Unternehmensverteidigung anderseits ergibt das durchaus Sinn. Günstig ist es nicht.
Endlich klare Kriterien für interne Untersuchungen
Schließlich sollen nur solche Untersuchungen honoriert werden, die unter Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens durchgeführt wurden. Dazu soll es endlich klare Kriterien geben: So sind Mitarbeiter nach den Plänen vor der Befragung darauf hinzuweisen, dass ihre Auskünfte in einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden können. Zudem ist ihnen das Recht einzuräumen, einen anwaltlichen Beistand oder ein Mitglied des Betriebsrats zu Befragungen hinzuzuziehen. Insoweit stellt der Entwurf einen wichtigen Schritt dar, um den derzeitigen Wildwuchs bei der Durchführung interner Untersuchungen zu beenden.
Sieht man von der grundlegenden Frage der Notwendigkeit eines Verbandssanktionengesetzes einmal ab, kann aus den Plänen des BMJV ein differenziertes gesetzliches Regelwerk entstehen, das den Rechtsanwendern ausreichend Spielraum zur Beurteilung des Einzelfalls gewährt. Ob ein solches Gesetz den erhofften Abschreckungseffekt haben würde, scheint hingegen fraglich.
Die Autoren Prof. Dr. Björn Gercke und Dr. Andreas Grözinger sind Rechtsanwälte der auf das Wirtschafts-, Steuer- und Medizinstrafrecht spezialisierten Kanzlei Gercke | Wollschläger in Köln.
BMJV-Entwurf zu Verbandssanktionen: . In: Legal Tribune Online, 23.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37225 (abgerufen am: 08.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag