Die Bundesregierung hat den von Bundesjustizministerin Lambrecht vorgelegten Entwurf für ein Verbandssanktionengesetz beschlossen. Wirtschaftsverbände und Anwälte kritisierten diesen scharf, doch das Kabinett bleibt bei den Plänen.
Das Gesetz heißt inzwischen "Gesetz zur Stärkung der Integrität der Wirtschaft", unter dem noch relativ neuen Namen geht es aber weiterhin um das, was seit Jahren als "Unternehmensstrafrecht", "Unternehmenssanktionen" oder "Verbandssanktionen" diskutiert wird.
Die Idee: Bei Verstößen gegen das Strafrecht sollen nicht nur verantwortliche Manager oder Beschäftigte, sondern auch die Unternehmen selbst zur Verantwortung gezogen werden. Anders als bisher soll dann das Legalitätsprinzip gelten. Das heißt, die Staatsanwaltschaft muss gegen das Unternehmen ermitteln.
Das Vorhaben ist Teil des Koalitionsvertrags, war allerdings von Anfang an heftig umstritten. Nach langem hin und her in der Großen Koalition hatten sich SPD und CDU/CSU im April dieses Jahres schließlich auf einen Gesetzentwurf geeinigt.
Im Kern geht es dabei um ein verschärftes Ordnungswidrigkeitenrecht, speziell auf Unternehmenskriminalität zugeschnitten und mit verbraucherschützenden Elementen. Der Entwurf vermeidet es tunlichst, von "Strafen" zu sprechen, und hält sich stattdessen an "Sanktionen". Der Begriff "Verbände" meint juristische Personen und Personenvereinigungen. Sie fallen in den Anwendungsbereich des Gesetzes, wenn ihr Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist.
Stellungnahmen bis Freitag, Regierungsentwurf am Dienstag
Bis vergangenen Freitag konnten Wirtschaftsvertreter, Berufsverbände und Experten zu dem Gesetzentwurf Stellung nehmen. Vor allem von Wirtschaftsverbänden und aus der Anwaltschaft gab es scharfe Kritik. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), der Arbeitgeberverband BDA, der Handelsverband HDE, der Verband "Die Familienunternehmer" und der Bundesverband der Unternehmensjuristen (BUJ) lehnten das Gesetzvorhaben ab, der Entwurf dürfe "in seiner jetzigen Form nicht weiterverfolgt werden", hieß es in dem Schreiben der Verbände. Der Deutsche Anwaltverein kritisierte, es handele sich um ein "klandestines Unternehmensstrafrecht", die Verschärfung der Sanktionen sei nicht angemessen. Mehrere Strafrechtsprofessoren hatten den Gesetzentwurfs dagegen grundsätzlich begrüßt, sahen aber ebenfalls in einzelnen Punkten Nachbesserungsbedarf.
Der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Jan-Marco Luczak äußerte noch am Montag Verständnis für die Kritik: "Die von zahlreichen Verbänden und Unternehmen vorgebrachte Kritik muss das Ministerium ernstnehmen", so Luczak gegenüber dem Handelsblatt. Demnach sagte er weiter, der Gesetzentwurf müsse deutlich überarbeitet werden, bevor das parlamentarische Verfahren eingeleitet werde.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) zeigte sich allerdings unbeeindruckt. Bereits am Dienstag beschloss das Kabinett ihren Gesetzentwurf – und zwar ohne Änderungen. Lambrecht erklärte, der Koalitionsvertrag werde damit "eins zu eins" umgesetzt. Nun müssen Bundestag und Bundesrat den Gesetzentwurf beraten.
Die wichtigsten Punkte des Gesetzentwurfs
Der Gesetzentwurf sieht für große Wirtschaftsunternehmen Sanktionen in Höhe von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes vor. Für Unternehmen mit weniger als 100 Millionen Euro Jahresumsatz soll es bei Sanktionen von höchstens zehn Millionen Euro bei vorsätzlichen Straftaten und höchstens fünf Millionen Euro bei fahrlässig begangenen Straftaten bleiben. Zudem kann der Staat das aus Straftaten erlangte Vermögen einziehen und damit Betroffene entschädigen. Die Möglichkeit, Verbände aufzulösen, war schon im Referentenentwurf nicht mehr vorgesehen.
Gerichte sollen bei der Urteilsfindung die Sanktionen mildern, wenn der betreffende Verband wesentlich dazu beigetragen hat, die Verbandstat und die Verbandsverantwortlichkeit aufzuklären. Das ist dann auch schon die einzige Neuerung gegenüber dem Referentenentwurf, in dem lediglich von der Verbandstat die Rede war.
Die Staatsanwaltschaft muss künftig bei einem Anfangsverdacht gegen das Unternehmen ermitteln. Das Unternehmen erhält seinerseits bestimmte Verfahrensrechte, wie etwa das Recht zu Schweigen für den gesetzlichen Vertreter des Unternehmens, aber auch die Rechte auf rechtliches Gehör, zur Stellung von Beweisanträgen, zur Benennung von Zeugen und zur Einlegung von Rechtsbehelfen.
Außerdem trifft der Gesetzentwurf Regelungen für interne Untersuchungen, etwa dazu, wie solche Untersuchungen durchgeführt und dokumentiert werden müssen, damit sie eine Sanktionsmilderung nachsichziehen können. Im Mittelpunkt der internen Untersuchungen stehen Mitarbeiterbefragungen. Dabei müssen die Grundsätze eines fairen Verfahrens eingehalten werden. So sieht der Gesetzentwurf zum Beispiel vor, dass Mitarbeiter vor der Befragung darauf hingewiesen werden, dass ihre Auskünfte in einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden könnten, dass sie einen Anwalt hinzuziehen und ggf. die Auskunft verweigern dürfen.
Grundsätzlich wird in dem Gesetzentwurf zwischen der anwaltlichen Vertretung für die internen Untersuchung und der Verteidigung des Unternehmens strikt getrennt. Diese Regelungen waren vor allem von Anwälten kritisiert worden. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass Anwälte einer Kanzlei die internen Untersuchungen wie auch die Verteidigung übernehmen, allerdings muss die Kanzlei beide Vorgänge intern strikt voneinander trennen. Zudem können Unterlagen aus den internen Ermittlungen unter Umständen auch beim Anwalt beschlagnahmt werden – wenn sie nicht dem geschützten Vertrauensverhältnis zuzuordnen sind. Der anwaltliche Berater dürfe kein "sicherer Hafen" für die Aufbewahrung von Unterlagen sein, heißt es dazu in der Begründung des nun beschlossenen Entwurfs.
Annelie Kaufmann, Regierungsentwurf zu Unternehmenssanktionen: . In: Legal Tribune Online, 16.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41914 (abgerufen am: 10.11.2024 )
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