Das Berufungsgericht hat es einstimmig abgelehnt, den US-Einreisestopp wieder in Kraft zu setzen. Donald Trump twitterte sofort: "Wir sehen uns vor Gericht". Wie es weiter geht und was bisher geschah, erklärt Kirk W. Junker.
LTO: Das Berufungsgericht in San Francisco hat in der Nacht die Entscheidung eines Gerichts in Washington bestätigt, den Einreisestopp für Staatsangehörige aus sieben muslimischen Ländern vorerst außer Kraft zu setzen. Herr Professor Junker, wie begründet sich die Zuständigkeit in Kalifornien?
Junker: Es gibt 13 Bundesberufungsgerichtsbezirke. Jeder Federal Circuit Court (Berufungsgericht) hat einen zentralen Sitz - der des hier betroffenen 9. Circuit ist in San Francisco. Diesem Bezirk gehören 9 Bundesstaaten an, zu diesen zählen sowohl Kalifornien als auch Washington.
LTO: Präsident Trump hat unmittelbar nach dem Urteil getwittert, dass man sich vor Gericht sehen werde. Das nächste zuständige Gericht ist nun der Supreme Court. Wie könnte es dort weiter gehen – insbesondere im Hinblick darauf, dass eine Richterstelle am Supreme Court noch nicht besetzt ist?
Junker: Es war absehbar, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts in San Francisco nicht das Ende der juristischen Auseinandersetzung sein würde.
Die Aussetzung der einstweiligen Verfügung kann vor den US Supreme Court gebracht werden. Es liegt im Ermessen des US Supreme Courts, ob er den Fall zur Entscheidung annimmt; verpflichtet ist er dazu nicht. Häufig nimmt er solche Fälle an, in denen verschiedene Gerichte oder Berufungsgerichte unterschiedliche Meinungen vertreten. Der US Supreme Court kann dann mit seinem Urteil eine einheitliche Rechtslage für die gesamte USA schaffen.
Aber in der Hauptsache muss zunächst der District Court entscheiden, dann kann im Rahmen des Hauptsacheverfahrens Berufung eingelegt werden (beim Circuit Court). Erst dann kann auch das Hauptsacheverfahren vor den US Supreme Court gebracht werden.
"Der Supreme Court wird sich nicht an parteipolitischen Erwägungen orientieren"
LTO: Donald Trump hält die Entscheidung aus San Francisco nach eigenem Bekunden für "politisch". Wie politisch wäre eine Entscheidung des Supreme Court, bei dem die Stelle des im Februar verstorbenen Richters Antonin Scalia ja bislang vakant ist?
Junker: Wenn der Supreme Court den Fall übernimmt, wird er wahrscheinlich aufgrund der Sachlage entscheiden und sich nicht an parteipolitischen Erwägungen orientieren. Eine parteipolitische Entscheidung würde das Gericht im Verhältnis vier zu vier spalten, weil ein Sitz noch immer frei ist. Dies würde keine Entscheidung ermöglichen, sodass dann die Entscheidung des neunten Bezirksgerichts die endgültige wäre.
Wie alle US-Gerichte unterliegt auch der US Supreme Court keinem juristischen Zeitlimit, um eine Entscheidung zu treffen. Angesichts der Dringlichkeit der Situation würde er aber wahrscheinlich innerhalb einiger Tage, oder höchstens einiger Wochen eine Entscheidung treffen.
LTO: Die Bundesstaaten haben innerhalb weniger Tage im Eilverfahren die Aussetzung des Erlasses zum Einreisestopp erwirkt. Sind diese Eilverfahren mit denen in Deutschland vergleichbar oder auf welcher Grundlage entscheiden Richter über das Dekret von US-Präsident Donald Trump?
Junker: Ein direkter Vergleich mit dem hiesigen System ist wegen der grundlegenden Unterschiede zwischen dem in den Vereinigten Staaten vorliegenden präsidialen und dem in Deutschland herrschenden parlamentarischen System nicht möglich. Die Frage, ob das Dekret des Präsidenten Donald Trump zum Einreisestopp der amerikanischen Verfassung entspricht, ist eine bundesrechtliche Angelegenheit, denn sie betrifft bundesrechtliche Fragen.
TRO: soll Status Quo sichern, wirkt aber max. 20 Tage
LTO: Wie funktioniert diese Form des einstweiligen Rechtsschutzes in den USA?
Junker: Zunächst muss eine Klage in der Hauptsache eingereicht werden. Dann kann gleichzeitig oder später ein Rechtsmittel des vorläufigen Rechtsschutzes eingelegt werden. Das bundesrechtliche Zivilprozessrecht sieht eine Reihe von Möglichkeiten des vorläufigen Rechtsschutzes vor. Hierzu zählen die preliminary injunction und die sogenannte temporary restraining order (TRO).
Die TRO stellt eine spezielle Form der einstweiligen Verfügung dar, deren Wirkung in der Regel nur zehn bis 20 Tage andauert. Dies ist die unmittelbarste und am schnellsten zu erwirkende Form des vorläufigen Rechtschutzes, die jedoch wie gesagt nur eine vorübergehende Wirkung entfaltet.
Der Zweck einer solchen TRO ist es, den status-quo zu sichern, bevor das Gericht die Zeit findet, auch nur eine Anhörung für eine einstweilige Verfügung abzuhalten. Ein Gericht lässt eine TRO generell zu, wenn vier Voraussetzungen erfüllt sind: Eine Partei muss darlegen, dass sie erstens wahrscheinlich auch Erfolg in der Hauptsache haben wird und zweitens wahrscheinlich einen irreparablen Schaden erleidet, wenn kein vorläufiger Rechtsschutz – in diesem Fall gegen die Präsidentenverfügung – gewährt würde. Darüber hinaus müsste drittens aus Billigkeits- und Gerechtigkeitsgesichtspunkten zugunsten der Klägerpartei zu entscheiden sein und viertens müsste die TRO dem öffentlichen Interesse entsprechen.
Die preliminary injunction hat strengere Voraussetzungen als ein TRO, entfaltet aber eine längere Wirkung.
2/2: "Hauptsacheverfahren könnte Monate dauern"
LTO: Bei der nun in San Francisco ergangenen Entscheidung handelt es sich um eine TRO?
Junker: In dem in Frage stehenden Verfahren wurde eine Klage eingereicht und sowohl eine preliminary injunction als auch eine TRO beantragt.
Zeitgleich mit der Klageerhebung hat der Kläger eine TRO beantragt, die Teile der Präsidentenverfügung zum "Schutz der Nation vor der Einreise ausländischer Terroristen in die Vereinigten Staaten" entkräften würde. Es wurde erbeten, den Antragsgegnern zu untersagen, die Verfügung zu vollstrecken. Das hat das Gericht nun antragsgemäß getan, die Entscheidung fiel einstimmig.
Es handelte sich bei der Entscheidung um eine TRO und nicht um eine preliminary injunction. Eine preliminary injunction kann erst nach Beantragung einer TRO erhoben werden und wäre hier auch aus verfahrenstechnischen Gründen nicht effizient gewesen, da die längere Rechtswirkung für die kurz wirkende Präsidentenverfügung nicht notwendig ist.
LTO: Sie sprechen die Klageerhebung an. Die Bundesstaaten haben also im Hinblick auf den Einreisestopp auch bereits Klage in der Hauptsache eingelegt?
Junker: Ja. Neben den beiden beschriebenen Instrumenten des vorläufigen Rechtsschutzes bleibt die Durchführung einer herkömmlichen Gerichtsverhandlung zur Begründetheit der Rechtssache. Dies könnte zu einem endgültigen, nicht nur vorläufigen, Gerichtsbeschluss führen, was jedoch weitaus länger – teilweise Wochen bis hin zu Monaten – dauern könnte.
Vorliegend hat der Bundesstaat Washington am 30. Januar eine Klageschrift beim Western District Court of Washington eingereicht, im Rahmen derer er eine Feststellungs- und Unterlassungsverfügung gegen den US-Präsidenten, das Ministerium für Heimatschutz, den handelnden Staatssekretär und die USA begehrt. Da Washington als erster Bundesstaat geklagt hat, liegt dort auch die örtliche Zuständigkeit. Kürzlich hat der Klägerstaat die Klageschrift dahingehend geändert, dass die Bundesstaaten Minnesota und Hawai als weitere Kläger mit aufgenommen werden. Das System der US-Bundesgerichte existiert nur für zwei Konstellationen.
"Keine rechtliche Bindung für andere Gerichte"
LTO: Das Urteil des Richters James Robart aus dem Bundesstaat Washington gehörte zu einer von Ihnen. Wieso hat es bundesweite Geltung erlangt und war nicht auf den Staat Washington begrenzt?
Junker: Auch wenn sowohl Deutschland als auch die USA als "föderale" Staaten wahrgenommen werden, bestehen doch Unterschiede in der genauen Ausgestaltung der föderalen Strukturen. Die meisten Gesetze in Deutschland sind Bundesgesetze. In den USA ist es umgekehrt, die meisten Gesetze sind solche der einzelnen Staaten. Es gibt daher 51 Rechtssysteme in den Vereinigten Staaten, die 50 einzelstaatlichen und das bundesrechtliche System. Es gibt 94 Federal Disctricts (Bundesgerichtsbezirke). Die Gerichtsbarkeit für James Robart besteht für den Bezirk Western Washington.
In den USA besteht das System der Bundesgerichte nur, um Fälle zu verhandeln, in die entweder Bürger aus zwei verschiedenen Bundesstaaten involviert sind oder die Rechtsfragen behandeln, die ausschließlich Bundesrecht betreffen, wie beispielsweise die in Frage stehende Präsidentenverfügung.
Die Richter der Bundesgerichte der ersten Instanz in Sachen einstweilige Verfügung gegen das Trump-Dekret aus dem östlichen Bezirk von New York haben in dem Darweesh Fall, ebenso wie die Bundesrichter im Gerichtsbezirk von Massachusetts im Fall Tootkaboni-Louhghalam, deutlich gemacht, dass ihre Verfügungen bundesweite Wirkung entfalten.
Weder die Entscheidungen der Bundesgerichte aus New York, Massachusetts noch die des Bundesgerichts in Washington binden andere Bundesgerichte in rechtlicher Hinsicht, aber in der Praxis halten sich die anderen Bundesgerichte mit hoher Wahrscheinlichkeit an diese Verfügung und weichen hiervon nicht ab. Falls ein weiteres Bundesgericht jedoch anders entscheiden würde, würden sich die Kläger wahrscheinlich an das Berufungsgericht in dem jeweiligen Distrikt wenden.
Notfallantrag auch für den Präsidenten
LTO: Mit seinen Anträgen hatte der Staat Washington auf ganzer Linie obsiegt, das Dekret war vorerst gestoppt. Das war aber ja nicht das Ende.
Junker: Genau, nach einer Anhörung des Antrags befand Richter Robarts des Western District Court of Washington, dass die Kläger ihrer Beweispflicht nachgekommen sind und erließ die Anordnung entsprechend dem Antrag der Kläger.
Gegen ein TRO steht dem Beklagten das Rechtsmittel der Emergency Motion (Notfallantrag) beim Federal Appeals Circuit Court offen. Hierfür müsste er belegen, dass die TRO einen irreparablen Schaden auf seiner Seite herbeiführen kann, obwohl die eigentliche erstinstanzliche Hauptverhandlung noch nicht stattgefunden hat. Die bundesrechtlichen Regelungen erlauben einen solchen Notfallantrag. Dessen Voraussetzungen können von den einzelnen Staaten konkretisiert werden und unterschiedlich ausfallen.
In diesem Fall sieht der neunte Gerichtsbezirk (9th Circuit), in dem der Bundesstaat Washington liegt, die Bezirksregelung (circuit rule) 27-3 für Emergency und Urgency Motions (Notfall- und Dringlichkeitsanträge) vor. Damit ein solcher Antrag von dem neunten Berufungsgericht gehört wird, müssen der Präsident, der handelnde Staatssekretär, das Ministerium für Heimatschutz und die USA beim Bezirksgericht beantragen, die Verfügung des District Courts auszusetzen, die zur Außerkraftsetzung der Präsidentenverfügung führt.
Dafür hätte der Präsident darlegen müssen, dass ohne die Bereitstellung rechtlicher Hilfe innerhalb von spätestens 21 Tagen ein irreparabler Schaden drohen würde. Der Circuit Court hat einen solchen Antrag am 5. Februar 2017 in der Rechtssache 17-35105, 02/04/2017, ID: 10302845 verweigert.
LTO: Ebenso ist es ihm nun auch in San Francisco ergangen, mehrere US-Medien bewerten die Einstimmigkeit der Entscheidung als überraschend. Wagen Sie auf dieser Grundlage eine Prognose für ein eventuelles Urteil des Supreme Court?
Junker: Vermutlich sind die Erwartungen der Medien politisch begründet. Meiner Meinung nach wird der Supreme Court den Fall nicht annehmen. Wenn er rein unter juristischen Aspekten entscheiden würde, ist hier zu berücksichtigen, dass die Vorinstanz einstimmig entschieden hat und das Urteil des Supreme Court wohl auch nicht deutlich anders ausfallen würde. Und wenn der Supreme Court doch politisch entscheiden würde, werden wir wahrscheinlich ein – 4 Votum sehen, es würde sich also eine Patt Situation ergeben und die 9th Circuit Berufungsgericht Entscheidung wird rechtskräftig.
Professor Dr. Kirk W. Junker ist Inhaber des Lehrstuhls für US-amerikanisches Recht an der Universität zu Köln. Vor seinem Ruf an die Universität zu Köln war Prof. Dr. Junker Professor und Direktor der internationalen Studienprogramme an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Duquesne University in Pittsburgh, USA.
Die Fragen stellten Tanja Podolski und Pia Lorenz.
Tanja Podolski und Pia Lorenz, US-Verfahren über Einreisestopp: Trump gegen Bundesgerichte . In: Legal Tribune Online, 11.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22054/ (abgerufen am: 03.12.2023 )
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