Vor der Wahl in den USA setzt Präsident Trump auf eine neue konservative Richterin am US Supreme Court. Wie und warum die Wahl überhaupt von den höchsten Richtern entscheiden werden könnte, erklärt Niels Petersen im Interview.
LTO: Herr Professor Petersen, bereits seit Monaten wird vermutet, dass US-Präsident Trump, falls er die Wahl verliert, "vor den Supreme Court zieht". Was wäre denn an der Wahl justiziabel?
Prof. Dr. Niels Petersen: Natürlich kann Herr Trump nicht einfach "gegen die Wahl" klagen. Aber es gibt in den Bundesstaaten Regelungen zur Auszählung der Stimmen, die sehr unterschiedlich und teils auch sehr umstritten sind. Eine Frage ist etwa, bis wann die Auszählung der Stimmen abgeschlossen sein muss – und was passiert, wenn man bis dahin kein sicheres Ergebnis hat? Und was ist, wenn bei einem knappen Ergebnis in einem Bundesstaat die Stimmen erneut ausgezählt werden müssen, wie vor zwanzig Jahren in Florida?
Sollte man nicht meinen, dass einfach alle Stimmen ausgezählt werden müssen, damit das Ergebnis feststeht?
So einfach ist es nicht. In den USA gelten strikte Limits, bis wann die Auszählung abgeschlossen sein muss. Das liegt auch daran, dass anschließend die Wahlleute bestimmt werden müssen, die dann Anfang Dezember im Electoral College zusammentreten und den Präsidenten wählen.
Trump fordert immer wieder, man müsse am 3. November ein endgültiges Wahlergebnis haben. Das ist aber unrealistisch?
Zumindest wenn die Wahl wie erwartet eher knapp ausfällt, wird das Ergebnis nicht schon um Mitternacht feststehen. Dieses Jahr ist die Auszählung ja auch durch die Corona-Pandemie besonders kompliziert, weil mehr Sicherheitsmaßnahmen eingehalten werden müssen. Bei einigen Vorwahlen hat die Auszählung der Stimmen einen Monat gedauert. Zudem werden die Präsenzstimmen in vielen Staaten zuerst ausgezählt, dann folgen die Briefwahlstimmen – und die könnten das Ergebnis noch verändern.
"Republikaner sind eher bereit, ins Wahllokal zu gehen"
Die Republikaner gehen davon aus, dass die Stimmen, die am Wahltag abgegeben werden, eher eine republikanische Mehrheit bringen, während Briefwahlstimmen eher von den Demokraten kommen. Warum?
Trump hat die Briefwahl schon im Voraus diskreditiert, deshalb dürften viele Republikaner dieses Jahr auf eine Briefwahl verzichtet haben. Zudem spielt auch die politisch aufgeladene Debatte zur Coronapandemie eine Rolle: Die Anhänger der Demokraten sind eher für strengere Maßnahmen, möglicherweise haben sie auch mehr Sorge, sich anzustecken – und greifen deshalb zur Briefwahl. Die Anhänger der Republikaner sind eher bereit, ins Wahllokal zu gehen, auch wenn es voll wird.
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Die Auszählung der Briefwahl ist besonders umstritten. Es gab in den vergangenen Tagen bereits Entscheidungen des US Supreme Court dazu. Was bedeutet das für die Wahl?
Es ging um die Frage, bis wann die Briefwahlstimmen noch berücksichtigt werden können. Natürlich müssen die Wahlbriefe spätestens am 3. November abgegeben werden, aber es kann Verzögerungen bei der Post geben. In North Carolina dürfen auch Stimmen berücksichtigt werden, die neun Tage nach der Wahl eingehen, in Pennsylvania sind es drei Tage.
Der US Supreme Court hat das zunächst so bestätigt. Allerdings handelt es sich insbesondere bei der Entscheidung zu Pennsylvania nur darum, dass ein Eilantrag der Republikaner abgelehnt wurde – der Supreme Court hat sich vorbehalten, über diesen Fall endgültig nach der Wahl zu entscheiden. Es kann durchaus sein, dass es dann auf Pennsylvania ankommt.
"Trump und Biden müssten sich zuerst an die Gerichte der Bundesstaaten wenden"
Wenn es nach der Wahl zu Klagen kommt – wie kommt der Fall dann zum US Supreme Court?
Es sind unterschiedliche Konstellationen denkbar: Etwa, dass Trump nach der Wahl erklärt, es handele sich jetzt um ein legitimes Ergebnis, die weiteren Auszählungen müssten gestoppt werden. Wenn dann ein republikanischer Gouverneur die Auszählung stoppt, wird sicher Trumps Herausforderer Joe Biden dagegen klagen. Möglich ist aber auch, dass in einigen Bundesstaaten die Auszählungen noch andauern und Trump vor Gericht einen Stopp der Auszählungen verlangt.
Sowohl Trump als auch Biden müssen sich allerdings zunächst an die Gerichte des jeweiligen Bundesstaates wenden. Gegen deren Entscheidung kann dann auch der US Supreme Court angerufen werden. Die Richter müssen dann aber zunächst klären, ob sie überhaupt befugt sind, die Entscheidung des jeweiligen bundesstaatlichen Gerichts inhaltlich zu überprüfen.
Es ist also gar nicht geklärt, wie weit die Kompetenz des US Supreme Court zur Überprüfung der Wahlentscheidungen überhaupt reicht?
Nein. Es gab zwar die Entscheidung um die Auszählung der Stimmen in Florida bei der Wahl von George W. Bush im Jahr 2000, die der demokratische Präsidentschaftskandidat Al Gore schließlich mit nur 537 Stimmen verloren hat. Der US Supreme Court hat sich damals die Kompetenz zugesprochen, die Entscheidung des Supreme Court of Florida zu überprüfen. Die Richter haben aber auch klargestellt, dass sich diese Entscheidung auf den konkreten Einzelfall bezog.
"Trump wird alles tun, was in seiner Macht steht, um zu gewinnen"
Trump hat in seiner Amtszeit drei konservative Richter ernannt: Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und nun Amy Coney Barrett, bilden diese drei ein Lager? Und werden sie in seinem Sinne entscheiden?
Nicht unbedingt. Die bisherigen Entscheidungen zur Briefwahl in North Carolina, Pennsylvania und Wisconsin fielen sehr unterschiedlich aus – das zeigt schon, dass es auf die konkrete Konstellation und auf die Regelungen des jeweiligen Bundesstaates ankommen wird.
In der Entscheidung zu Pennsylvania haben die vier konservativen Richter – Gorsuch, Kavanaugh, Alito und Thomas – zusammen gestimmt, während Chief Justice John Roberts, der eigentlich eher zum konservativen Lager gehört, mit den liberalen Richterinnen Sotomayor und Kagan und mit Richter Breyer stimmte. Es war also eine 4:4 –Entscheidung, die dazu führte, dass die Entscheidung des Supreme Court of Pennsylvania vorerst bestätigt wurde.
Nun hofft Trump natürlich, dass Barrett das Zünglein an der Waage sein wird. Es ist aber nie gesagt, ob die Richter nachher tatsächlich so stimmen, wie von ihnen erwartet wird.
Woran liegt es, dass diese Wahl so umstritten ist – am US-amerikanischen Wahlsystem oder an Präsident Trump?
Es ist in den USA nicht unüblich, dass die Gerichte Entscheidungen zur Wahl treffen müssen. Das liegt am US-amerikanischen Wahlsystem mit seinem "the winner takes it all"-Prinzip. Oft kommt es nur auf wenige tausend Stimmen in einem Bundesstaat an – die entscheiden dann darüber, welcher Kandidat alle Stimmen erhält. Die Auszählung in solchen Bundesstaaten ist also enorm entscheidend, deshalb liegt es nahe, dass sie auch vor Gericht infrage gestellt wird, wenn es Unregelmäßigkeiten gibt. Das ist bei uns anders: In Deutschland kann es vielleicht mal darum gehen, ob eine Partei einen Sitz mehr oder weniger erhält – es ist aber selten, dass sich damit die Mehrheitsverhältnisse komplett ändern.
Hinzu kommt aber natürlich, dass Trump extrem polarisiert. Eine Demokratie funktioniert immer dann gut, wenn sich alle nicht nur an die geschriebenen, sondern auch an die ungeschriebenen Regeln halten. Bei Präsident Trump entsteht aber der Eindruck, dass ihm zumindest die ungeschriebenen Regeln völlig egal sind und er alles tun wird, was in seiner Macht steht, um die Wahl zu gewinnen.
Prof. Dr. Niels Petersen hat den Lehrstuhl für öffentliches Recht, Völker- und Europarecht sowie empirische Rechtsforschung an der Westfälische Wilhelms-Universität Münster inne.
Endet die US-Wahl vor Gericht?: . In: Legal Tribune Online, 31.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43275 (abgerufen am: 06.12.2024 )
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