Sitte, Anstand, Moral: Auch nach US-Recht konnte das Markenamt die Eintragung einer Marke wegen Sittenwidrigkeit zurückweisen. Diese Regelung hat der US Supreme Court nun für verfassungswidrig erklärt. Die Gründe erklärt Nico Kuhlmann.
Die Grenze der Sittenwidrigkeit ist eine Art letzte Korrekturmöglichkeit im Recht. Wenn alle anderen ausdrücklich niedergeschriebenen oder allgemein anerkannten Regeln nicht greifen, aber das Ergebnis wertungsmäßig nicht passt, dann wird eben ein Verstoß gegen die guten Sitten angenommen. In der Praxis wird darum durchaus häufig vorgetragen, dass irgendeine Handlung oder sonstiger rechtlich relevanter Sachverhalt sittenwidrig sei. Von den Gerichten anerkannt wird dies aber meistens nur in krassen Ausnahmefällen.
Ein wenig anders ist dies im Markenrecht. Dort gibt es für Marken spezielle Regelungen zur Sittenwidrigkeit. Nach § 8 II Nr. 5 Markengesetz (MarkenG) sind beispielsweise in Deutschland Marken dann von der Eintragung ausgeschlossen, wenn diese gegen die öffentliche Ordnung oder die gegen die guten Sitten verstoßen. In der Europäischen Union und in vielen anderen Ländern gibt es ähnliche Regelungen - und die Liste von Marken, deren Eintragung aufgrund angeblicher Sittenwidrigkeit zurückgewiesen wurde, ist lang. Weder "Putzpimmel" noch "headfuck" oder "Arschlecken24" wurden im Ergebnis eingetragen.
Unkorrektes und grobe Geschmacklosigkeiten
Eine Marke wird nach deutschem Verständnis dann als sittenwidrig eingestuft, wenn das Kennzeichen das sittliche, moralische oder ethische Empfinden weiter Verkehrskreise erheblich verletzt. Um diese eher unbestimmte Definition handhabbar zu machen, wurden verschiedene Fallgruppen entwickelt. Diskutiert wird diesbezüglich insbesondere Diskriminierung, politisch oder religiös Unkorrektes sowie - ebenfalls wieder recht unbestimmt: grobe Geschmacklosigkeiten.
Bei der Zurückweisung wegen grober Geschmacklosigkeit müssen die Grenzen des Anstands in unerträglicher Weise überschritten sein, um Markenschutz zu verhindern. Dies soll beispielsweise bei obszönen Wörtern und Bildern oder allgemein bei der Verletzung des Schamgefühls der Fall sein. Alles in allem eine sehr schwammige Kategorie.
Zu beachten ist, dass es nicht darum geht, ob jemand ein Zeichen im geschäftlichen Verkehr als Marke überhaupt nutzen darf. Es geht lediglich darum, ob das benutzte Zeichen ins Register eingetragen und dadurch dem Markeninhaber die markenrechtliche Rechtsmacht verliehen wird, anderen die Benutzung eines identischen oder ähnlichen Zeichens zu verbieten, um eine Verwechslungsgefahr zu vermeiden. Markenrecht ist in dieser Hinsicht auch Verbraucherschutzrecht.
Entscheidung ohne politische Spaltung
Im US-amerikanischen Markengesetz existiert eine dem deutschen Recht vergleichbare Regelung. In 15 U.S.C. § 1052a heißt es konkret wie folgt:
"No trademark by which the goods of the applicant may be distinguished from the goods of others shall be refused registration on the principal register on account of its nature unless it consists of or comprises immoral, deceptive, or scandalous matter [...]."
Das heißt so viel wie:
'Keine Marke, durch die sich die Waren des Anmelders von den Waren anderer unterscheiden können, wird aufgrund ihrer Art von der Eintragung in das Register ausgeschlossen, es sei denn, sie besteht aus einem unmoralischen, trügerischen oder skandalösen Zeichen […]."
Diese Regelung hat der US Supreme Court in Washington, D.C. nun wegen Verstoßes gegen den ersten Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten gekippt. Der erste Zusatzartikel hat in den USA einen enorm großen Anwendungsbereich und enthält neben der Religions-, Versammlungs- und Pressefreiheit auch die Rede- und Meinungsfreiheit.
Die Entscheidung des neunköpfigen Spruchkörpers ist zwar nicht einstimmig, aber mit insgesamt sechs zu drei Stimmen auch nicht knapp ergangen. Interessanterweise war die ansonsten gelegentlich identifizierbare politische Spaltung des Gerichts nicht zu erkennen. Unter anderem haben sowohl Justice Ginsberg (ernannt vom 42. Präsidenten Bill Clinton / Demokrat) als auch Justice Kavanaugh (ernannt vom 45. Präsidenten Donald Trump / Republikaner) dieser Entscheidung zugestimmt, welche von Justice Kagan (ernannt vom 44. Präsidenten Barack Obama / Demokrat) geschrieben wurde.
FUCT = Misogynie, Verderbtheit und Gewalt?
In dem vom US Supreme Court zu entscheidenden Fall stand der Künstler und Unternehmer Erik Brunetti im Mittelpunkt. Dieser vertreibt unter anderem moderne Kleidungsstücke und kennzeichnet diese mit der Marke "FUCT". Der Unternehmer selbst hat vorgetragen, dass die Buchstaben seiner Marke nicht am Stück, sondern einzeln nacheinander gesprochen werden: F-U-C-T.
Das US-amerikanische Markenamt ist dieser Einlassung nicht gefolgt. Vielmehr hat das Amt die Webseite des Unternehmers und die einzelnen Produkte selbstständig unter die Lupe genommen und nach eigener Einschätzung Bilder von "extremen Nihilismus" und "antisozialem Verhalten" gefunden. Daraus hat das Markenamt im Ergebnis aufgrund eigener subjektiver Wertung geschlussfolgert, dass die streitgegenständliche Marke "Misogynie, Verderbtheit und Gewalt" kommuniziere.
Der US Supreme Court hat sich mit dieser Argumentation nicht aufgehalten, sondern gleich den gesamten Eintragungsausschluss für nichtig erklärt. Zur Begründung führte das Gericht den bereits in einer früheren Entscheidung etablierten Grundsatz an, dass ein markenrechtlicher Eintragungsausschluss immer dann verfassungswidrig ist, wenn dieser von einer subjektiven Sichtweise abhängig ist ("viewpoint-based"). Der Staat dürfe keine Meinungen und Ideen diskriminieren, die dieser als beleidigend empfinde ("ideas that offend"). Auch nicht, wenn diese in Form einer Marke wiedergegeben werden.
Nach Ansicht des Gerichts gehört der Eintragungsausschluss von "immoral or scandalous" (unmoralischen oder skandalösen) Marken in diese Kategorie von verfassungswidrigen Regelungen. Die gesetzliche Regelung erlaube dem US-Markenamt die Registrierung von Marken, wenn die darin enthaltenen Botschaften mit denen der Mehrheitsgesellschaft übereinstimmen, aber nicht, wenn die Botschaften sich dem Anstandsgefühl der Gesellschaft widersetzen ("society’s sense of decency or propriety").
Zweierlei Maß: "MARIJUANA COLA" und "KO KANE"
Zur Veranschaulichung der Diskriminierung führt der US Supreme Court diverse Beispiele von Markenanmeldungen an, die zurückgewiesen wurden, wenn der Inhalt der Zeichen nicht der Mehrheitsmeinung bezüglich Drogen, Religion und Terrorismus entsprach, und andere, die eingetragen wurden, wenn diese bezüglich derselben Themen mehrheitstauglich waren.
So wurde beispielsweise "MARIJUANA COLA" und "KO KANE" für Getränke zurückgewiesen, aber "SAY NO TO DRUGS – REALITY IS THE BEST TRIP IN LIFE" wurde eingetragen. "JESUS DIED FOR YOU" für Kleidungsstücke wurde ebenfalls eingetragen, aber "BONG HITS 4 JESUS" wiederum zurückgewiesen. "AL-QAEDA" für T-Shirts war ebenfalls nicht eintragungsfähig, aber die Wortfolge "WAR ON TERROR MEMORIAL" wurde vom US-Markenamt ins Register eingetragen. Das Gericht weist zwar ausdrücklich darauf hin, dass es diese Entscheidungen durchaus nachvollziehen kann, da die zurückgewiesenen Marken als beleidigend empfunden werden können, dass aber genau dies das Problem sei. Der Staat dürfe eben nicht bestimmte Ideen und Meinungen aufgrund einer subjektiven Sichtweise diskriminieren.
Fack Ju Göhte = posthume Beleidigung?
In der Europäischen Union konnte die Marke "Fack Ju Göhte" bisher ebenfalls nicht eingetragen werden. Das EU-Markenamt (EUIPO) hat 2015 die Anmeldung zurückgewiesen und das Gericht der Europäischen Union (EuG) hat diese Entscheidung vergangenes Jahr bestätigt. Der deutsche Titel des sehr erfolgreichen Kinofilms verstoße gegen die guten Sitten. Die breite Öffentlichkeit setze das Zeichen mit dem englischen Ausdruck "fuck you", verbunden mit dem Familiennamen von Goethe, gleich - und die maßgeblichen Verkehrskreise könnten daran Anstoß nehmen.
Ob es auch nur einen einzigen der 21 Millionen Kinobesucher gab, der tatsächlich an diesem Filmtitel Anstoß genommen hat, ist hingegen nicht bekannt. Sowohl die überdurchschnittlich guten Einspielergebnisse von mehr als 170 Millionen Euro als auch die Tatsache, dass der Film in das Lernprogramm des Goethe-Instituts aufgenommen wurde, deuten eher nicht darauf hin. Trotzdem wurde diese Entscheidung vereinzelt als gerechtes Urteil gefeiert.
Generalanwalt Bobek vertritt nun eine erfrischend andere Ansicht. In seinen Schlussanträgen vom 2. Juli 2019 schlägt der Generalanwalt dem EuGH vor, das Urteil des EuG wieder aufzuheben. Der Generalanwalt weist zuerst ausdrücklich darauf hin, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung auch im Markenrecht gilt. Zudem müsse sich die Beurteilung der Sittenwidrigkeit unbedingt auf einen bestimmten sozialen Kontext stützen. Mit anderen Worten: Die Beurteilung kann nicht allein unter Berücksichtigung des Zeichens, isoliert von seiner allgemeineren Wahrnehmung in der Gesellschaft und seinem Kontext, vorgenommen werden.
Was nun? Nicht abschaffen, aber einschränken
Der EuGH wird den Eintragungsausschluss wohl nicht kippen, aber eventuell im Anwendungsbereich einschränken. Der Beurteilungsmaßstab der Gesamtgesellschaft in Bezug auf sittenwidrige Handlungen hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten verschoben und nicht jede Verwendung eines Jugendworts, welches ein Markenprüfer nicht in seinem aktiven Wortschatz hat, ist ein Verstoß gegen die guten Sitten. Demgegenüber ist es richtig und wichtig, dass Marken, die Personen diskriminieren oder direkt beleidigen, nicht eingetragen werden.
In den USA wird die nun entstandene Regelungslücke wohl auch nicht lange bestehen bleiben. Der Kongress der Vereinigten Staaten wird vermutlich eine neue Norm ins US-Markenrecht schreiben, die weniger auf die subjektive Sichtweise bezüglich einer Idee abstellt, aber trotzdem soweit wie möglich eine obszöne, vulgäre oder profane Form eines Zeichens ausschließt. Die Richter des US Supreme Courts haben freundlicherweise in ihren Ausführungen bereits entsprechende Hinweise gegeben.
In der Zwischenzeit ist die Rechtslage in den USA aber wie sie ist. Wer also immer schon einmal Inhaber einer Marke mit einem Zeichen sein wollte, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen könnte, hat jetzt die Chance. Die Anmeldegebühren beim US-Markenamt beginnen bei lediglich 225 US-Dollar.
Der Autor Nico Kuhlmann (@NicoKuhlmann) ist Associate bei Hogan Lovells International LLP in der Praxisgruppe Intellectual Property, Media & Technology in Hamburg und berät umfassend zu Fragen des Rechts des Geistigen Eigentums.
Moral im Markenrecht: . In: Legal Tribune Online, 13.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36451 (abgerufen am: 13.12.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag