Rockertätowierungen: Lebende Leinwand oder verbotenes Kennzeichen?

2/2: Tattoo-Designer sind Künstler

Anders sollen nach der Rechtsprechung diejenigen Tattoo-Designer zu bewerten sein, die komplexe Muster und Vorlagen erschaffen, ohne dass sie ihr Einkommen aus dem Einsatz manuell-technischer Fähigkeiten erzielen. In solchen Fällen steht nicht die handwerkliche Arbeit, sondern die Kreativität im Vordergrund, weswegen eine künstlerische Betätigung gegeben ist.

Eine solche vorbereitende Aktivität wird sich im Rahmen der Tätowierung bereits feststehender und oftmals durch gewerbliche Schutzrechte gesicherter Rockersymbole nicht feststellen lassen. Hier wird nicht designed, sondern kopiert und abgebildet. Das gilt zumindest dann, wenn ein unverfälschtes Original tätowiert werden soll.

Nun könnte man meinen, dass die rechtliche Einordnung des Tätowierers und des Tattoo-Designers ohnehin völlig irrelevant sind, weil ja die Tätowierten selbst wegen des Verwendens verbotener Kennzeichen belangt werden sollen. Die Kunstfreiheit stellt aber nicht nur das Erstellen des Kunstwerks - den Werkbereich - sondern auch dessen Verbreitung - also den Wirkbereich - unter Schutz. Auch das Zeigen und Verbreiten eines Kunstwerks in der Öffentlichkeit darf mithin nicht strafrechtlich sanktioniert werden.

"Kunstwerk Mensch" bleibt straffrei

Für den Tätowierten selbst bedeutet dies, dass er verbotene Rockerkennzeichen nur dann straffrei zeigen darf, wenn sein Tätowierer oder Tattoo-Designer künstlerisch tätig geworden ist. In solchen Fällen ist seine Haut quasi die "Leinwand" des Künstlers. Das Zeigen der Tätowierung in der Öffentlichkeit unterfällt in diesen Fällen dem grundrechtlich geschützten Wirkbereich der Kunstfreiheit.

Zudem kann aber auch die tätowierte Person selbst unter den Schutz der Kunstfreiheit fallen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn sie sich großflächig tätowieren lässt und mithin als selbständiges, von der einzelnen Tätowierung abstrahiertes, in der Gesamtheit eigenständig wahrnehmbares und erlebbares Kunstwerk erscheint. Die einzelnen Tätowierungen fügen sich in einem solchen Fall in einen vom Tätowierten bestimmten Gesamtkontext ein. Er wird mithin zum "Kunstwerk Mensch". Diese Ausnahme müsste im Falle der oft großflächig tätowierten Mitglieder von Rockergruppierungen geprüft werden.

Im Ergebnis ist immer der Einzelfall entscheidend. In Zweifelsfällen, ob der Körperschmuck in den Schutzbereich des schrankenlosen Grundrechtes der Kunstfreiheit fällt, ist staatliche Zurückhaltung rechtstaatlich gebotenen. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass hinsichtlich der vor 2014 erfolgten Tätowierungen geprüft werden muss, ob nicht Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes einem polizeilichen Einschreiten und der hieran anknüpfende Strafverfolgung entgegenstehen. Schließlich können in besonders gelagerten Fällen, etwa dann, wenn die strafrechtlich relevanten Kennzeichen im Gesicht tätowiert sind, Verhältnismäßigkeitserwägungen einer Verfolgung entgegenstehen. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird die seitens der Innenministerien auf dem Rücken der Polizei gefahrene "Zero Tolerance-Strategie" nicht gerecht.

Der Autor Florian Albrecht ist Rechtsanwalt und Akademischer Rat auf Zeit an der Universität Passau. Er ist Herausgeber und Autor des am 24. Juni 2014 im Beck Verlag erschienenen Kommentars zum Vereinsgesetz.

Zitiervorschlag

Florian Albrecht, Rockertätowierungen: Lebende Leinwand oder verbotenes Kennzeichen? . In: Legal Tribune Online, 10.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13444/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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