Hauptsacheverfahren zum Compact-Verbot am BVerwG: Ver­eins­verbot oder Zen­sur­verbot?

Gastbeitrag von David Werdermann

10.06.2025

Nach dem Eilverfahren vor dem BVerwG durfte das rechtsextreme Compact-Magazin erstmal weiter erscheinen, jetzt geht die Verhandlung in der Hauptsache los. Es geht um Grundsatzfragen zur Presse- und Meinungsfreiheit, meint David Werdermann.

Sie sind schwer zu ertragen, die Bilder von Chefredakteur und Gründer des Magazins Compact, Jürgen Elsässer, wie er siegestrunken die Eilentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Verbot seines Magazins feierte. Das Bundesverwaltungsgericht hatte am 14. August 2024 den Sofortvollzug des Verbots weitgehend ausgesetzt und damit dafür gesorgt, dass die Zeitschrift bis zur Entscheidung in der Hauptsache weitererscheinen darf. "Ein großer Tag für die Pressefreiheit", jubelte Stephanie Elsässer, Ehefrau und Compact-Mitstreiterin, als ob es dem rechtsextremen Hetzblatt wirklich um die Grundrechte ginge.

Ob es sich tatsächlich um einen Erfolg für die Pressefreiheit handelt, daran bestehen jedoch Zweifel. Das Compact-Verbot wurde zwar im Eilverfahren ausgesetzt. Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts hat jedoch für staatliche Eingriffe in die Pressefreiheit die Hintertür des Vereinsrechts weit aufgestoßen. Ab Dienstag hat das Gericht die Gelegenheit nachzusteuern. Dann beginnt die Verhandlung im Hauptsacheverfahren zum Compact-Verbot. Neben der Anwendbarkeit des Vereinsrechts geht es um den Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit, mildere Mittel zum Verbot und möglicherweise sogar um das Zensurverbot.

Zeitungsverbot nach Vereinsrecht?

Die erste Grundsatzfrage, die das Bundesverwaltungsgericht beantworten muss, betrifft die Anwendbarkeit des Vereinsrechts. Denn das Verbot zielt erkennbar auf Presseerzeugnisse, für deren Regulierung die Länder zuständig sind. Das Bundesverwaltungsgericht argumentiert zwar im Eilbeschluss, Gegenstand des Verbots sei "die hinter dem Medium stehende Organisation" (Rn. 13), die COMPACT-Magazin GmbH. Diese "Differenzierung zwischen Organisation und Presseerzeugnis bzw. Medium" verkennt allerdings, dass die historisch gewachsene Länderkompetenz für das Presserecht keineswegs auf die Regulierung des Presseprodukts beschränkt ist, sondern die Presse als Institution umfasst. Zudem wird das Verbot überwiegend mit Medieninhalten begründet.

Dass das Bundesverwaltungsgericht im Hauptsacheverfahren von seiner im Eilbeschluss geäußerten Auffassung abweichen wird, ist nicht zu erwarten. Schließlich hat es schon mehrfach Vereinsverbote gegen Medienorganisationen bestätigt, zuletzt im Fall linksunten.indymedia. Eine Verfassungsbeschwerde, in deren Rahmen auch die Gesetzgebungszuständigkeit hätte geklärt werden können, hatte das  Bundesverfassungsgericht (BVerfG) damals nicht zur Entscheidung angenommen.

Verhältnis von Kommunikationsgrundrechten und Vereinsverbot

Spannender ist, wie das Bundesverwaltungsgericht im Hauptsacheverfahren die Meinungs- und Pressefreiheit berücksichtigen wird. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2018 zwar entschieden, dass Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) bei Vereinsverboten kein selbstständiger Prüfungsmaßstab sei. Die Kommunikationsgrundrechte müssten jedoch im Rahmen des Art. 9 Abs. 2 GG beachtet werden: "Ein Vereinigungsverbot wäre mit den Anforderungen des Grundgesetzes allerdings nicht zu vereinbaren, wenn es nur das Mittel wäre, Meinungsäußerungen oder Publikationen zu untersagen, die für sich genommen den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG genießen. Der Schutz durch andere Grundrechte darf von einem Vereinigungsverbot nicht unterlaufen werden."

Das hat weitreichende Konsequenzen. Denn nach der Wunsiedel-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts genießen auch Meinungen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, den Schutz der Meinungsfreiheit. Das "Anliegen, die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ansichten zu verhindern", so das Bundesverfassungsgericht, "hebt das Prinzip der Meinungsfreiheit selbst auf und ist illegitim". Für Verbote von Meinungsäußerungen sei stets erforderlich, dass die "Schwelle zur individualisierbaren, konkret fassbaren Gefahr einer Rechtsverletzung überschritten wird", wie es etwa beim Tatbestand der Volksverhetzung mit dem (eingrenzend auszulegenden) Schutzgut des öffentlichen Friedens der Fall ist.

Das Bundesverfassungsgericht schob damals zwar relativierend ein, dass dies "unbeschadet Art. 9 Abs. 2 GG" gelte. In der Entscheidung von 2018 übertrug es dann aber seinen meinungsfreiheitsfreundlichen Maßstab auf Vereinsverbote. Das ist richtig, denn ansonsten würde die (restriktiv auszulegende, weil demokratieverkürzende) Ausnahmenorm des Art. 9 Abs. 2 GG auf andere Grundrechte übergreifen und Vereinigungen wären schlechter geschützt als Einzelpersonen. Will man im Namen der "wehrhaften Demokratie" gegen die Meinungs- und Pressefreiheit vorgehen, ist stattdessen die Grundrechtsverwirkung nach Art. 18 GG das richtige Instrument – auch bei juristischen Personen.

Compact-Eilbeschluss ohne Wunsiedel-Rechtsprechung

Das Bundesverwaltungsgericht rezipiert in der Eilentscheidung zum Compact zwar den Maßstab des Bundesverfassungsgerichts und betont an gleich zwei Stellen, dass sich ein Vereinigungsverbot nicht gegen von Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Meinungsäußerungen oder Publikationen richten darf (Rn. 13 und Rn. 28). Bei der Prüfung des Verbotsgrundes beanstandet das Bundesverwaltungsgericht dann aber Äußerungen, ohne sich näher damit zu befassen, ob diese gemessen an Art. 5 Abs. 1 GG verboten werden könnten (Rn. 32-36). 

Das Gericht analysiert zwar zutreffend, dass im Compact-Magazin ein völkisch-nationalistisches Gesellschaftskonzept aufscheint, das mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist. Das reicht jedoch nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung gerade nicht aus für ein Verbot solcher Äußerungen. Der Wunsiedel-Beschluss wird in der Eilentscheidung zum Compact-Verbot nicht einmal erwähnt.

Statt sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob Compact die "Schwelle zur individualisierbaren, konkret fassbaren Gefahr einer Rechtsverletzung" überschreitet, äußerte das Bundesverwaltungsgericht lediglich Zweifel, ob die Passagen, sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, derart prägend sind, dass das Vereinsverbot gerechtfertigt ist (Rn. 42-45). Dabei nimmt das Gericht eine "wertende Betrachtung" vor, die den Verbotsbehörden – und dem Bundesverwaltungsgericht selbst – auch für zukünftige Fälle denkbar weite Spielräume lässt.

Verhältnismäßigkeit: Alternativen zum Vereinsverbot

Auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz behandelt das Bundesverwaltungsgericht in der Eilentscheidung nur oberflächlich. Es rezipiert zwar die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wonach ein Vereinsverbot nur in Betracht kommt, wenn mildere und gleich wirksame Mittel nicht ausreichen, um die Ziele der Verbotstatbestände des Art. 9 Abs. 2 GG zu erreichen. Zu den möglichen milderen Mitteln zählt das Bundesverwaltungsgericht "presse- und medienrechtliche Maßnahmen, Veranstaltungsverbote, orts- und veranstaltungsbezogene Äußerungsverbote sowie Einschränkungen und Verbote von Versammlungen, unabhängig davon, ob solche Maßnahmen im Vereinsrecht selbst, im sonstigen Sicherheits- und Ordnungsrecht oder auch im Strafrecht verankert sind". In der Subsumtion werden diese milderen Mittel dann jedoch gar nicht mehr angesprochen.

In der Hauptverhandlung dürfte der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einer der größten Trümpfe von Compact sein. Es gab zwar vereinzelt Strafverfahren (siehe hier und hier) gegen Mitglieder des verbotenen Vereins. Medienrechtliche Aufsichtsmaßnahmen gegen konkrete Inhalte wurden – soweit ersichtlich – nicht ergriffen. In der Verbotsverfügung wurden diese Instrumente nicht einmal erwähnt. Lediglich die "Anwendung gesellschaftsrechtlicher Vorschriften" wurde in Betracht gezogen und für untauglich befunden – wobei unklar bleibt, was damit konkret gemeint ist.

Zensurverbot gegen Vereinsverbot?

Schließlich bietet die Compact-Klage die Gelegenheit, das (bisher wenig beachtete) Zensurverbot nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG scharf zu stellen. Unter Zensur versteht das Bundesverfassungsgericht die Vor- oder Präventivzensur, also "einschränkende Maßnahmen vor der Herstellung oder Verbreitung eines Geisteswerkes, insbesondere das Abhängigmachen von behördlicher Vorprüfung und Genehmigung seines Inhalts (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt)". Die Formulierung macht deutlich, dass das Zensurverbot nicht auf Verbote mit Erlaubnisvorbehalt beschränkt ist, sondern sämtliche einschränkende Maßnahmen vor der Herstellung oder Verbreitung eines Geisteswerkes erfasst.

Beim Vereinsverbot handelt es sich um ein Instrument des präventiven Verfassungsschutzes, also gewissermaßen um ein Verbot ohne Erlaubnisvorbehalt. Zielt es – wie hier – im Kern auf die Unterbindung von Kommunikationsakten, stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Zensurverbot.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht geht es also nicht nur um Compact. Es geht um Grundsatzfragen zur Pressefreiheit. Diese muss auch dort hochgehalten werden, wo sich die Feinde der Freiheit auf sie berufen – auch wenn die Bilder eines jubelnden Jürgen Elsässer wieder schwer zu ertragen wären.

David Werdermann ist Verfahrenskoordinator bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte und Partner in der Kanzlei KM8 Rechtsanwältinnen & Rechtsanwälte.

Dieser Artikel erschien ursprünglich als Vorbericht am 6. Juni 2025. Aus Aktualitätsgründen haben wir die ergänzte Fassung auf den 9. Juni 2025 vordatiert.

Zitiervorschlag

Hauptsacheverfahren zum Compact-Verbot am BVerwG: . In: Legal Tribune Online, 10.06.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57371 (abgerufen am: 13.06.2025 )

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