BGH ruft den EuGH an: Wann und wie haften Share­h­os­ting-Dienste?

Gastbeitrag von Dr. Martin Soppe

21.09.2018

Der Streit um Urheberrechtsverletzungen durch das Angebot der Online-Plattform "uploaded" landet vor dem EuGH. Was der BGH von den Luxemburger Kollegen wissen möchte und vor allem warum er das will, erläutert Martin Soppe.

In seinem Beschluss vom Donnerstag hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit Fragen der Haftung eines Sharehosting-Dienstes für Urheberrechtsverletzungen befasst, die dessen Nutzer mithilfe seiner Plattform begehen. Für die Entscheidung über Auslegung verschiedener EU-Richtlinien hat der BGH dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Reihe komplexer Fragen zur Vorabentscheidung gestellt (Beschl. v. 20.09.2018, Az. I ZR 53/17).

In dem Verfahren geht es um die Klage eines internationalen Fachverlages gegen die Betreiberin der Plattform uploaded. Dieser Dienst im Internet bietet Nutzern kostenlosen Speicherplatz für das Hochladen von Dateien beliebigen Inhalts. Für jede hochgeladene Datei erstellt die Plattformbetreiberin automatisch einen elektronischen Verweis (Download-Link) auf den Dateispeicherplatz und teilt diesen dem Nutzer automatisch mit. Zwar bietet uploaded für die bei ihr abgespeicherten Dateien weder ein Inhaltsverzeichnis noch eine entsprechende Suchfunktion. Nutzer können die von ihr mitgeteilten Download-Links aber in Linksammlungen im Internet einstellen, die von Dritten angeboten werden und dabei auch Informationen zum Inhalt der auf der Plattform gespeicherten Dateien enthalten. So können andere Nutzer ganz gezielt auf die auf den uploaded-Servern abgespeicherten Dateien zugreifen.

Der Download der gespeicherten Dateien von uploaded ist sogar kostenlos möglich, wenn der Nutzer Beschränkungen hinsichtlich Datenmenge und Download-Geschwindigkeit akzeptiert. Registriert sich ein Nutzer für einen sogenannten kostenpflichtigen Premium-Dienst, hat er die Möglichkeit, täglich bis zu 30 Gigabyte bei unbeschränkter Downloadgeschwindigkeit herunterzuladen. Zudem zahlt uploaded Downloadvergütungen an Nutzer, die Dateien hochladen. Obwohl die AGB der Plattform den Nutzern untersagen, über die Plattform Urheberrechtsverstöße zu begehen, wird der Dienst auch für Uploads genutzt, die Urheberrechte Dritter verletzen, wie der Betreiberin aufgrund einer Vielzahl entsprechender "Abuse-Mitteilungen" auch bekannt ist.

Ist uploaded nun Täter, Teilnehmer oder Störer?

Der klagende Fachverlag sah seine Urheberrechte dadurch verletzt, dass über externe Linksammlungen Dateien auf den Servern von uploaded erreichbar seien, an denen ihm die ausschließlichen Nutzungsrechte zustünden. Vor dem Hintergrund der von der Rechtsprechung entwickelten abgestuften Verantwortlichkeit nahm der Verlag die Plattformbetreiberin in erster Linie als Täterin einer Urheberrechtsverletzung, hilfsweise als Teilnehmerin daran und weiter hilfsweise als Störerin in Anspruch auf Unterlassung sowie auf Auskunftserteilung und beantragte die Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht.

In der Vorinstanz verurteilte das Oberlandesgericht (OLG) München im März 2017 die Plattformbetreiberin (nur) als Störerin zur Unterlassung und wies die weitergehenden Anträge ab. Mit seiner Revision verfolgt der klagende Fachverlag diese Ansprüche weiter.

In seinem Beschluss vom Donnerstag hat der BGH die Sache nun dem in Luxemburg ansässigen EuGH vorgelegt, weil dieser für die verbindliche Auslegung der dem deutschen Recht zugrunde liegenden europäischen Rechtsakten zuständig ist.

Nehmen Sharehoster eine "Wiedergabe" vor?

Dabei hat der BGH den EuGH zunächst gefragt, ob der Betreiber eines Sharehosting-Dienstes, der die (in der Frage näher bezeichneten) Besonderheiten wie im Fall uploaded aufweist, eine "Wiedergabe" im Sinne der InfoSoc-Richtlinie (2001/29/EG) vornimmt. Wäre das der Fall, könnte das Angebot von uploaded eine direkte Urheberrechtsverletzung darstellen. Daran anknüpfend möchte der BGH wissen, ob sich an der Einschätzung des EuGH etwas ändert, wenn über den Sharehosting-Dienst in einem Umfang von 90 bis 96 Prozent der Gesamtnutzung urheberrechtsverletzende Angebote bereitgestellt werden.

Weitere Vorlagefragen zielen sinngemäß darauf ab, ob die Tätigkeit eines solchen Sharehosting-Dienstes in den Anwendungsbereich der E-Commerce-Richtlinie (2000/31/EG) fällt und worauf sich die dort genannten Kriterien "Kenntnis der tatsächlichen Umstände" und "Bewusstsein der Rechtswidrigkeit" beziehen. Denn zur Beurteilung der Verantwortlichkeit für Urheberrechtsverstöße kommt es regelmäßig darauf an, inwieweit ein Plattformbetreiber wie uploaded von den Verstößen auf seinem Online-Portal wusste.

Ferner fragt der BGH danach, ob es mit Art. 8 Abs. 3 der InfoSoc-Richtlinie vereinbar sei, wenn in Fällen wie dem vorliegenden der Rechtsinhaber eine gerichtliche Anordnung gegen den Plattformbetreiber erst dann erlangen kann, wenn es nach einem Hinweis auf eine klare Rechtsverletzung erneut zu einer derartigen Rechtsverletzung gekommen ist. Denn nach der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten Rechteinhabern ermöglichen, gegen Plattformbetreiber vorzugehen – vom Erfordernis eines Hinweises auf eine vorhergehende Rechtsverletzung steht dort allerdings nichts.

Sollte der EuGH diese Fragen alle verneinen, möchte der BGH noch wissen, ob der Betreiber eines Sharehosting-Dienstes, dessen Angebot Rechte in einem Umfang wie in Frage eins dargestellt verletzt, als Verletzer im Sinne der sogenannten Durchsetzungs-Richtlinie (2004/48/EG) anzusehen ist. Das ist für den BGH interessant zu wissen, weil sich daraus Schadensersatzpflichten für den Plattformbetreiber ergeben können. Deshalb wollen die Karlsruher Richter von den Luxemburger Kollegen auch zuletzt wissen, ob die Pflicht eines solchen Verletzers zum Schadensersatz davon abhängig gemacht werden darf, dass der Verletzer sowohl in Bezug auf seine eigene Verletzungshandlung als auch in Bezug auf die Verletzungshandlung des Dritten vorsätzlich gehandelt hat und wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass Nutzer die Plattform für konkrete Rechtsverletzungen nutzen.

Klärungsbedarf für "europäisches Internet"

Die Entscheidung des BGH zeigt zunächst exemplarisch, in welchem großen Umfang die Auslegung bestimmter nationaler Urheberrechtsvorschriften mittlerweile gemeinschaftsrechtlich geprägt ist. Denn sowohl die mögliche Verletzungshandlung ("Wiedergabe") als auch deren subjektive Seite ("Kenntnis" und "Bewusstsein") sind nach Auffassung des BGH richtlinienkonform auszulegen. Hinzu kommt die europarechtskonform auszulegende prozessuale dritte Frage, bevor die Bundesrichter im vierten Komplex hilfsweise wissen wollen, wie ein "Verletzer" am Europarecht zu messen ist.

Zu begrüßen ist vor diesem Hintergrund, dass der BGH den Kollegen am EuGH die Möglichkeit eröffnet, die Gemeinschaftsrechtsakte verbindlich auszulegen. Denn zum einen sind gerade in Fällen wie dem vorliegenden über das Internet die physischen Grenzen jedes Mitgliedsstaates schnell überwunden, sodass auch über die rechtlichen Staatsgrenzen hinaus ganz allgemein ein EU-weit einheitliches Richtlinienverständnis hilfreich ist.

Zum anderen knüpft der BGH mit seinem aktuellen Beschluss ganz konkret an eine gerade einmal eine Woche alte Vorlageentscheidung an, in der es um die Haftung der Internetplattform Youtube für Urheberrechtsverletzungen ging (BGH, Beschl. v. 13.09.2018, Az. I ZR 140/15). Mit jener Entscheidung legte der BGH ganz ähnliche Fragen vor wie im vorliegenden Fall, sodass die beiden Fälle gemeinsam erwarten lassen, dass der EuGH die relevanten Richtlinienbegriffe insgesamt konturieren kann.

Dr. Martin Soppe ist Rechtsanwalt bei Osborne Clarke und auf Urheber- und Lizenzvertragsrecht spezialisiert. Er berät Unternehmen der Medien- und anderer Branchen insbesondere bei Fragen rund um ihr operatives Geschäft und bei der fortschreitenden Digitalisierung ihrer Geschäftsmodelle.

Zitiervorschlag

BGH ruft den EuGH an: . In: Legal Tribune Online, 21.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31081 (abgerufen am: 15.10.2024 )

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