Mollath-Beschluss des OLG Nürnberg auch für Freiberufler interessant: Die Tücken der Unterschrift

von Dr. Alexander Weinbeer

09.08.2013

Mollath kommt frei und sein Strafverfahren wird wieder aufgenommen, entschied das OLG Nürnberg am Dienstag. Der Beschluss vom 6. August 2013 ist aber nicht nur strafrechtlich interessant. Die Ausführungen zur Echtheit einer Urkunde in Fällen der Stellvertretung geben Alexander Weinbeer Anlass, auf einige auch für die zivilrechtliche Praxis bedeutsame Punkte einzugehen.

Gustl Mollath kommt frei, weil im Ausgangsverfahren gegen ihn eine unechte Urkunde zu seinen Ungunsten als echt behandelt wurde. Dies stellte das OLG Nürnberg vor wenigen Tagen in der wohl meistbeachteten Gerichtsentscheidung des Jahres fest. Das Attest, welches die angeblich von Mollath verursachten Verletzungen seiner Ehefrau dokumentieren sollte, wies in Briefkopf und Unterschrift eine "Dr. med. Madeleine R." als Ausstellerin aus. Tatsächlich stammte es jedoch nicht von dieser, sondern von ihrem Sohn, der gleichfalls als Arzt arbeitet und seine Mutter vertreten haben soll. Den Zusatz "i.V." (in Vertretung) hatte er so klein geschrieben, dass er mit bloßem Auge nicht erkennbar war.

Nach § 164 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wirkt eine Willenserklärung, die jemand innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht im Namen des Vertretenen abgibt, für und gegen diesen. Schon dem Wortlaut nach beschränkt sich die Zurechnungsfunktion des § 164 BGB auf Willenserklärungen. Die so genannte Wissensvertretung, bei der es tatsächlich um Fragen der Wissenszurechnung geht, beschreibt § 166 BGB. Damit wird aber nur festgelegt, ob jemand bestimmte Tatsachen positiv kennt oder zumindest kennen müsste.

Es ist daher keinesfalls, wie unter anderem in den Kommentaren zum LTO-Interview mit Prof. Dr. Henning Ernst Müller zu lesen war, "völlig egal", "was auf dem Briefkopf oder einem Stempel steht", da das Attest mit "Wissen und Wollen der Berechtigten (der Ärztin) erstellt wurde und zwar im Rahmen einer zulässigen Vertretung". Hierbei werden nämlich Fragen der zivilrechtlichen Wirksamkeit von Vertretergeschäften mit dem Gesichtspunkt der strafrechtlichen Echtheitserwägungen zum Urkundenbegriff unzulässig vermengt und Aspekte des Gesellschaftsrechts außer Acht gelassen.

Außendarstellung ist wichtig

Denn die Außendarstellung etwa auf dem Briefkopf hat erhebliche praktische Relevanz. Freiberufler wie Ärzte oder Rechtsanwälte kooperieren häufig in Gemeinschaftspraxen oder Sozietäten und stellen dies nach außen auf dem Briefpapier oder der Internetpräsenz auch zur Schau. Nicht selten erfolgen solche Kooperationen ohne Abschluss eines Gesellschaftsvertrags. Man spricht dann von einer Scheingemeinschaftspraxis oder Scheinsozietät, weil es an einer gesellschaftsvertraglichen Beziehung dieser Personen fehlt.

Auch bei "echten" Gemeinschaftspraxen oder Sozietäten werden bisweilen Personen auf dem Briefkopf erwähnt, obwohl sie überhaupt nicht Gesellschafter sind. Diese Personen unterliegen als sogenannte Scheingesellschafter aber derselben Haftung wie die "echten" Gesellschafter, weil man in der Regel nicht ohne Weiteres erkennen kann, ob die genannte Person die Stellung eines Gesellschafters oder Scheingesellschafters innehat. Dies kann weitreichende Folgen haben:

Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) stellt es einen Fall der missbräuchlichen Nutzung der Kooperationsform Gemeinschaftspraxis dar, wenn zwei Ärzte die vertragsärztliche Tätigkeit nur scheinbar als Gesellschafter "gemeinsam" ausgeübt haben, obwohl faktisch der eine Arzt in Einzelpraxis tätig war, während der andere tatsächlich als Assistent bzw. Angestellter beschäftigt wurde. Der auf dieser pflichtwidrigen Verhaltensweise beruhende Honoraranteil musste zurückgezahlt werden (vgl. BSG, Urt. v. 23.06.2010, Az. B 6 KA 7/09 R).

Eine Junganwältin wurde aufgrund ihrer Nennung im Briefkopf einer Anwaltssozietät als Scheinsozia wegen der Veruntreuung der beiden Altsozien wiederum erfolgreich von dem geschädigten Mandanten zur Zahlung einer Entschädigung in Anspruch genommen, ohne sich dafür bei dem Berufshaftpflichtversicherer schadlos halten zu können, wie der Bundesgerichtshof (BGH) vor zwei Jahren entschieden hat (BGH, Urt. v. 21.07.2011, Az. IV ZR 42/10).

Es ist also nicht nur beim strafrechtlichen Urkundenbegriff, sondern auch für die zivilrechtliche Einordnung keineswegs egal, was auf dem Briefkopf oder einem Stempel steht. Vielmehr sollte sich jeder bewusst sein, dass er sich nicht unerheblichen Haftungsrisiken aussetzt, wenn er eine derartige Außendarstellung betreibt oder bestimmte Kooperationsformen missbräuchlich ausnutzt.

Zitiervorschlag

Dr. Alexander Weinbeer, Mollath-Beschluss des OLG Nürnberg auch für Freiberufler interessant: Die Tücken der Unterschrift . In: Legal Tribune Online, 09.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9329/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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