Bis heute gibt es in Deutschland kein Unternehmensstrafrecht. Simone Kämpfer und Christoph Knauer untersuchen, ob der Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes Abhilfe schaffen könnte.
Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis Unternehmen für Verfehlungen ihrer Leitungspersonen und Mitarbeiter durch ein spezifisches Unternehmensstrafrecht sanktioniert werden. Die Stimmen, die das unter dem Hinweis auf das strafrechtliche Schuldprinzip ablehnen, werden leiser. Und den Initiatoren des "Kölner Entwurf eines Verbandssanktionsgesetzes" ist gemeinsam mit ihrer Expertengruppe ein ernstzunehmender Vorschlag für die Einführung eines Unternehmensstrafrechts gelungen, der die nun schon jahrzehntealte Diskussion erheblich voranbringen wird.
Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung liegt auf der Hand: De lege lata erfolgt die Sanktionierung von Unternehmen über die sogenannte Unternehmensgeldbuße des § 30 OWiG sowie über Maßnahmen der Vermögensabschöpfung, die regelmäßig faktisch sanktionierenden Charakter haben. Unzureichend ist allerdings zum Beispiel die Ausgestaltung der Verfahrensrechte des betroffenen Unternehmens. Die Reichweite der geschützten (Verteidiger-)Kommunikation zwischen Unternehmen (bzw. seinen Vertretern) und Rechtsanwälten ist etwa ein Thema, das aktuell das Bundesverfassungsgericht beschäftigt (Stichwort: Durchsuchung der Kanzlei Jones Day in der "Dieselaffäre").
Bereits 2013 plante der Justizminister Nordrhein-Westfalens, den Entwurf eines Verbandsstrafgesetzbuchs in den Bundesrat einzubringen. In NRW stand man der Einführung eines Unternehmensstrafrechts offenbar wohlgesinnter gegenüber als in anderen Ländern und auf Bundesebene. Ob dies allein an den fiskalischen Verlockungen liegt, die mit der Sanktionierung von Unternehmen einhergeht, darf – muss aber nicht – bezweifelt werden. Mit Blick auf Geldbußen, die mit Schwarzgeld-CDs erwirtschaftet wurden, hatte NRW jedenfalls eine Vorreiterrolle.
Im Vergleich zum damaligen Entwurf zeigt der aktuelle Vorschlag eine weitaus größere Nähe zu der Unternehmens- und Rechtswirklichkeit. So setzt sich der Kölner Entwurf (VerbSG-E) in § 18 VerbSG-E erstmals in Gesetzesform mit internen Untersuchungen und in § 5 Abs. 4 VerbSG-E und § 14 Abs. 4 VerbSG-E mit einem "Unternehmensmonitor" auseinander. Die große Praxisnähe des Entwurfs ist sehr zu begrüßen.
"Verbandssanktion", "Einziehung" und "Verbandsverfehlungen"
Nach § 1 Abs. 1 VerbSG-E regelt das Gesetz die Sanktionierung von Verbänden. Dabei handelt es sich gem. § 1 Abs. 2 VerbSG-E um juristische Personen, nicht rechtsfähige Vereine und rechtsfähige Personengesellschaften des privaten und öffentlichen Rechts. Der Entwurf vermeidet – anders als der NRW-Entwurf – das Wort "Strafe" zur Bezeichnung der Rechtsfolgen für das Unternehmen. Stattdessen wird der Verband "sanktioniert". Diese sprachliche Differenzierung erleichtert es, den höchstpersönlichen Charakter strafrechtlicher Verantwortung im engeren Sinne auf natürliche Personen zu beschränken. Unternehmen werden demnach nicht "bestraft", sondern – bloß? – "sanktioniert".
Anknüpfungspunkt der Sanktionierung sind "Verbandsverfehlungen" (§ 3 VerbSG-E). Nach § 3 Abs. 1 S. 1 VerbSG-E sind dies vorsätzliche (beziehungsweise fahrlässige, sofern eine fahrlässige Begehung des jeweiligen Strafgesetzes strafbar ist) verbandsbezogene Zuwiderhandlungen von Leitungspersonen. Gem. § 1 Abs. 3 VerbSG-E sind Zuwiderhandlungen rechtswidrige Handlungen, die den objektiven Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllen. Ordnungswidrigkeiten sind damit keine tauglichen Anknüpfungstaten für die Sanktionierung von Verbänden. § 3 Abs. 2 VerbSG-E ist an § 130 OWiG angelehnt und sanktioniert ungenügende Aufsicht der Leitungspersonen über Mitarbeiter, die verbandsbezogene Zuwiderhandlungen begehen.
Aus Sicht der Rechtspraxis stellt sich die Frage, ob aufgrund der in § 13 VerbSG-E statuierten Ermittlungspflicht verfahrensbeendende Absprachen für Unternehmen zu einem frühen Verfahrenszeitpunkt weiterhin möglich blieben. Heute gelingt es im Interesse aller Beteiligten oftmals, konsensuale Lösungen zur Beendigung von Ermittlungsverfahren im Unternehmenskontext zu finden.
2/2: Geldzahlung in Höhe von bis zu 15 Prozent des Umsatzes droht
Im Fall der Fälle wird der Verband gem. § 4 Abs. 1 VerbSG-E mit einer Geldzahlung sanktioniert (sog. Verbandssanktion), die auch zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Die Höhe der Geldzahlung kann bis zu 15 Prozent des Umsatzes des Verbandes betragen (§ 4 Abs. 2 S. 1 VerbSG-E). Schon früher hatte etwa Transparency International eine umsatzorientierte Sanktionierung von Unternehmen vorgeschlagen.
In dem vorgelegten Entwurf ist die potentielle Höchstsanktion für den betroffenen Verband allerdings regelmäßig krasser als in den Fällen des § 30 OWiG. Dort ist die Höhe der Geldbuße grundsätzlich auf 10 Millionen Euro (für Vorsatz) bzw. fünf Millionen Euro (für Fahrlässigkeit) je Fall begrenzt.
Im Gesetzentwurf nicht geregelt ist das Verhältnis der Verbandssanktion (§ 4 VerbSG-E) zu der Einziehung von Taterträgen (§ 7 VerbSG-E i.V.m. §§ 73 bis 76b StGB). De lege lata können nach § 30 Abs. 5 OWiG Geldbuße und Einziehung nur eingeschränkt nebeneinander zum Einsatz kommen. Da im VerbSG-E eine entsprechende Regelung fehlt, dürften nach der Intention der Entwurfsurheber Verbandssanktion und Einziehung nebeneinander zur Anwendung kommen – eine nochmals gesteigerte Belastung für Unternehmen im Vergleich zur aktuellen Rechtslage. Das Risiko der Existenzvernichtung von Unternehmen können die Entwurfsverfasser aber eigentlich nicht gewollt haben: Ein insolventes Unternehmen zahlt gegebenenfalls nicht nur keine Sanktion, sondern nützt dem Gemeinwohl letztlich nichts.
Der "Monitor" zur Überwachung der Einhaltung von Auflagen
Interessant ist die an den US-amerikanischen Rechtsraum angelehnte Möglichkeit des Gerichts, für eine Bewährungszeit einen Monitor zu bestellen, der die Einhaltung der Auflagen überwachen soll (§ 5 Abs. 4 VerbSG-E). Dies korrespondiert mit der Bewährungshilfe für natürliche Personen (§ 56d StGB). Nach § 14 Abs. 4 S. 1, 2 VerbSG-E kann auch die Staatsanwaltschaft zur Überwachung der Erfüllung von Auflagen Monitore bestellen. Ob letzteres angesichts der Reichweite einer solchen Kontrollfunktion uneingeschränkt glücklich ist, mag bezweifelt werden. Der Druck, einen bestellten Monitor zufriedenzustellen, könnte für Verbände eine kostspielige Angelegenheit werden, die die Kosten des Monitors zu tragen haben. Der Einsatz US-amerikanischer Monitore hat deutsche Unternehmen teilweise dreistellige Millionenbeträge gekostet.
Erstmals finden sich in § 18 VerbSG-E Regelungsvorschläge für interne Untersuchungen. Dies verdient im Grundsatz große Zustimmung: Nach § 18 Abs. 1 S. 2 VerbSG-E bestehen Zeugnisverweigerungsrechte für Rechtsanwälte und Syndikusrechtsanwälte über den Ablauf und die Ergebnisse interner Untersuchungen. Damit wird einer langjährigen Forderung aus Wissenschaft und (Anwalts-)Praxis Rechnung getragen. Konsequenterweise dürfen Aufzeichnungen über interne Untersuchungen nicht beschlagnahmt (§ 18 Abs. 2 VerbSG-E) und Angaben eines Zeugen, die dieser im Rahmen der internen Durchsuchung macht, nicht in einem Strafverfahren gegen ihn verwendet werden (§ 18 Abs. 3 VerbSG-E). Das Dilemma des arbeitsrechtlich aussagepflichtigen Mitarbeiters, der sich selbst belasten müsste, wird damit zu seinen Gunsten gelöst.
Zu allgemein bleibt jedoch die Definition einer internen Untersuchung in § 18 Abs. 1 S. 1 VerbSG-E. Die Frage, ab wann eine "Maßnahme" zur Aufklärung verbandsbezogener Zuwiderhandlungen vorliegt, dürften Staatsanwaltschaft und Verteidigung naturgemäß unterschiedlich beurteilen. Dies sollte jede irgendwie geartete und vom Unternehmen veranlasste Sachverhaltsaufklärung eines Regelverstoßes sein, die von dafür spezialisierten internen Abteilungen (Interne Revision/Compliance) oder durch externe Berater (Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer) durchgeführt worden ist.
Unternehmen müssen sich nach alledem warm anziehen, denn das Unternehmensstrafrecht wird wohl mittelfristig Gesetz werden. Bis dahin gilt es, eventuell vorhandene Schwachstellen bei den "klassischen" Themen wie Korruptionsanfälligkeit, Tax Compliance und Außenwirtschaftsrecht sowie branchenspezifische Risiken zu erkennen und zu schließen.
Dr. Simone Kämpfer ist Partnerin der Düsseldorfer Kanzlei tdwe Rechtsanwälte. Vor ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin war sie Staatsanwältin. Professor Dr. Christoph Knauer ist Partner der Münchener Kanzlei Ufer Knauer und Honorarprofessor für Wirtschaftsstrafrecht und strafrechtliche Revision an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Beide vertreten und beraten Unternehmen in Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren.
Dr. Simone Kämpfer und Prof. Dr. Christoph Knauer, Der Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes: Kommt das Unternehmensstrafrecht? . In: Legal Tribune Online, 14.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26017/ (abgerufen am: 05.12.2023 )
Infos zum Zitiervorschlag