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Präsident der Ungarischen Kurie zu Verfassungsreform: "Richter werden ihr erworbenes Judiz nicht ablegen"

Interview mit Peter Darak

15.03.2013

Das ungarische Parlament

Das ungarische Parlament © Shchipkova Elena - Fotolia.com

Während der ungarische Staatspräsident durch Deutschland reist, stimmt das Parlament in seinem Land über eine umstrittene Verfassungsänderung ab. Die Opposition wirft der Regierung vor das Verfassungsgericht zu entmachten und die Gewaltenteilung zu zerstören. Peter Darak, der Präsident des obersten ungarischen Gerichts – ähnlich dem deutschen BGH – äußert sich im LTO-Interview weitaus zurückhaltender.

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LTO: Am Montag hat das Parlament in Ungarn die vierte Verfassungsnovelle beschlossen. Unter anderem sollen Richter des Verfassungsgerichts die Rechtsprechung aus den Jahren vor Inkrafttreten der neuen Verfassung im Jahr 2012 nicht mehr zur Urteilsbegründung heranziehen dürfen. Wie sieht die Richterschaft das?

Darak: Als Präsident der Kurie möchte ich Gesetzesvorhaben der Legislative grundsätzlich nicht kommentieren. Ich bin jedoch der Meinung, dass die Richter ihr über lange Jahre erworbenes Judiz nicht ablegen werden. Daher gehe ich davon aus, dass es ihnen eine große Herausforderung sein wird, ihre Arbeitsweise von heute auf morgen wegen eines neuen Gesetzes zu ändern.

LTO: Außerdem soll der Präsident der Richterkammer die Befugnis erhalten, Fälle an sich zu ziehen und an andere Gerichte zu verteilen. Ein Verstoß gegen das Prinzip des gesetzlichen Richters?

Peter Darak, Präsident der Ungarischen Kurie. Bild: Ungarische KurieDarak: Es handelt sich um einen Teil der Justizreform, der nun in die Verfassung aufgenommen werden soll und ich kann die Kritik daran verstehen. Man muss jedoch die Gründe für diese Änderungen sehen: Der weitaus größte Teil der Verfahren wird in der Metropolregion Budapest verhandelt und entschieden. Innerhalb der Metropolregion ist die Arbeitsbelastung bei einzelnen Kammern sehr hoch, was sich auf die Verfahrensdauer auswirkt. Es stehen sich folglich zwei grundlegende Rechte gegenüber: das Recht auf den gesetzlichen Richter und das Recht darauf, dass das Verfahren in angemessener Zeit abgeschlossen wird. Die Gesetzesänderung räumt dem Zeitmoment der Vorrang ein.

Bislang wurden 31 komplexe Straf- und Wirtschaftsverfahren anderen Kammern übertragen. Das Verfahren der Umverteilung ist gesetzlich genau geregelt, ein willkürliches Vorgehen ist damit ausgeschlossen. Insgesamt ist das Verfahren aber nur vorübergehend: In der Region Budapest sollen fortlaufend neue Richter eingestellt werden, um die Verfahrensdauer zu verkürzen.

"Das Budget für die Justiz wurde sogar erhöht"

LTO: Die Finanz- und Wirtschaftskrise in Europa schlägt sich auf die nationalen Haushalte und damit auch auf den Justizetat nieder. Wie sieht es in Ungarn aus? Gibt es Einsparungen, haben diese Auswirkungen im Justizalltag?

Darak: In den vergangenen Jahren wurde das Budget für die Justiz in Ungarn sogar fortlaufend erhöht, was im Zusammenhang mit den vielen Gesetzesreformen steht. Die Regierung hat dagegen angesichts der Krise Sondersteuern für Unternehmen eingeführt, um damit Schulden abzubauen. Über Klagen gegen dieses Gesetz ist noch nicht entschieden worden. Die Gerichte werden auch feststellen müssen, ob es unionsrechtskonform ist. Viele ungarische Bürger haben zudem gegen Fremdwährungskreditvereinbarungen der Finanzinstitute geklagt.

LTO: Der oberste Gerichtshof wurde in "Kurie von Ungarn" umbenannt. Ist das lediglich ein anderer Name oder haben sich die Kompetenzen des Gerichts verändert?

Darak: Der Name lehnt sich an die "Königliche Ungarische Kurie" an, die von 1723 bis 1949 als höchster Gerichtshof des Landes fungierte. Einige Kompetenzen wurden vom Verfassungsgericht auf die Kurie übertragen. Im Grunde orientiert sich das Justizsystem jedoch am deutschen Modell: Den Parteien steht der Weg über die Instanzen offen. Gegen die letztinstanzliche Entscheidung der Ungarischen Kurie kann der Weg zum Verfassungsgericht eröffnet sein, wenn Grundrechte verletzt sind.

"Pensionierte Richter können wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren"

LTO: Es war nur eines von mehreren Urteilen, mit denen jedenfalls im Ausland der Eindruck entstand, dass das Verhältnis zwischen Justiz und der Regierung Fidesz in Ungarn angespannt ist: Das Verfassungsgericht hob die Senkung des  Renteneintrittsalter für Richter, Staatsanwälte und Notare von 70 auf 62 Jahre wieder auf. Was wurde danach aus den entlassenen Juristen?

Darak: Es geschieht natürlich von Zeit zu Zeit, dass das Verfassungsgericht Gesetze des Parlaments kassiert. Man muss dabei jedoch berücksichtigen, dass in den letzten Jahren eine Fülle von wichtigen Reformen angeschoben wurde. Es ist dabei Aufgabe des Verfassungsgerichts, Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Es kam und kommt dadurch immer wieder zu Spannungen zwischen Parlament und Gericht.

Die Entscheidung des Verfassungsgerichts bezüglich des Renteneintrittsalters hat dazu geführt, dass viele Richter ihre bisherige Tätigkeit wieder aufgenommen haben. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts haben viele der entlassenen Juristen erfolgreich Klagen vor dem Arbeitsgericht auf Wiedereinstellung erhoben. Bei der Ungarischen Kurie selbst sind auf diesem Wege elf von 22 pensionierten Richtern auf ihre Position zurückgekehrt. Es ist zudem ein Gesetz in Vorbereitung, dass allen Betroffenen erlauben wird, ohne Gerichtsverfahren an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren.

"Kurie hat bereits zwei Fälle aufgrund des neuen Mediengesetzes entschieden"

LTO: Könnte denn das Verfassungsgericht die Änderungen – wie schon zuvor – selbst wieder aufheben, insbesondere diejenigen, die unmittelbar das Gericht selbst betreffen?

Darak: Ich kann nur Vermutungen darüber anstellen, was das Verfassungsgericht machen wird. Das Gericht hat bisher immer die Möglichkeit gefunden, sich eine Meinung von der Verfassungsmäßigkeit zu bilden. Es gibt aber eine offene Diskussion darüber, ob das Verfassungsgericht an den reinen Text oder an die  Prinzipien und Werten des Grundgesetzes gebunden ist.

LTO: Eine letzte, generellere Frage, welche nicht nur die Justiz betrifft: Gibt es bereits Rechtsstreitigkeiten oder gar Entscheidungen, die auf dem umstrittenen, im Jahr 2012 noch einmal reformierten neuen Mediengesetz basieren?

Darak: Vor der Ungarischen Kurie wurden bislang zwei Fälle entschieden. Im ersten Fall hatte ein Fernsehsender anlässlich des Jahrestages des Ungarischen Volksaufstandes von 1956 über die Demonstrationen verschiedener politischen Parteien berichtet, eine Partei des politisch rechten Flügels in dem Bericht jedoch nicht erwähnt. Die Kurie sah hierin einen Verstoß gegen das im Mediengesetz niedergelegte Prinzip der ausgewogenen Berichterstattung.

In dem anderen Fall ging es um Streitigkeiten zweier Unternehmen wegen Telekommunikationsfrequenzen. Da das Gesetz noch nicht lange in Kraft ist, sind die meisten Verfahren noch bei erstinstanzlichen Gerichten anhängig.

LTO: Herr Darak, vielen Dank für das Gespräch.

Peter Darak ist seit Ende 2011 Präsident der Ungarischen Kurie.

Das Interview führte Christian Oberwetter.

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Peter Darak, Präsident der Ungarischen Kurie zu Verfassungsreform: "Richter werden ihr erworbenes Judiz nicht ablegen" . In: Legal Tribune Online, 15.03.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8337/ (abgerufen am: 04.06.2023 )

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