Überall auf der Welt mehren sich Klagen von Bürgern und NGOs gegen Unternehmen und Regierungen, die Klimaschutzziele missachten. Können sie damit die Umwelt retten?
Saúl Luciano Lliuya heißt der Mann, der in Deutschland vielleicht Justizgeschichte schreiben könnte. Dabei hat er auf den ersten Blick so wenig mit Deutschland zu tun, wie es überhaupt nur möglich ist. Lliuya lebt in einem kleinen Dorf am Rande von Huaraz, einer mittelgroßen Stadt in den peruanischen Anden, mehr als 3.000 Meter über dem Meeresspiegel. Weil infolge des Klimawandels der Gletscher auf dem Berg direkt neben seinem Dorf zu schmelzen beginnt, ist seine Heimat in Gefahr. Es droht eine Sturzflut, die das ganze Dorf vernichten könnte.
Aus diesem Grund will Lliuya vom Oberlandesgericht (OLG) Hamm feststellen lassen, dass der deutsche Energiekonzern RWE für die drohenden Schäden an seinem Eigentum, bzw. die Schutzmaßnahmen, die er wegen der Gletscherschmelze ergreifen muss, anteilig verantwortlich ist. Und zwar zu etwa 0,47 Prozent, also entsprechend dem Anteil, der dem Unternehmen am globalen Treibhausgasausstoß zugerechnet werden kann. Das Vorhaben Lliuyas ist in Deutschland nahezu beispiellos.
Ende November vergangenen Jahres sorgte das OLG für einen ersten Paukenschlag: Das Gericht befand das Vorbringen des Peruaners für grundsätzlich schlüssig und entschied, Beweise in der Sache zu erheben. "Wir haben einen riesigen Schritt gewonnen" bekräftigt seine Anwältin Roda Verheyen im LTO-Gespräch. Die Chancen, den Prozess nun tatsächlich zu gewinnen, seien "sehr groß". Denn: "Das Problem war für uns nie, die naturwissenschaftlichen Belege zu finden, um die Verantwortung von RWE zu beweisen". Die bloße Möglichkeit hingegen, Unternehmen für ihren Anteil an Umweltschäden zu verklagen, war vor dem Beschluss des OLG von vielen für unwahrscheinlich befunden worden. "Man kann die Bedeutung dieser Grundsatzentscheidung daher gar nicht genug betonen", so Verheyen.
Indien und die Philippinen als Vorreiter
Die Klage von Lliuya sorgt damit in Deutschland für großes Aufsehen. Doch wie sieht es anderswo auf der Welt aus? Ist er nur ein einsamer Kämpfer in einer Welt, in der nur die Mächtigen über den Umweltschutz wachen?
Jemand, der die Entwicklung von Klimaklagen auf globaler Ebene seit längerer Zeit beobachtet, ist Markus Gehring, Dozent an der Cambridge-Universität mit Schwerpunkten im internationalen Recht und Umweltrecht. Gehring ist zudem Mitglied des Centre of International Sustainable Development Law (CISDL), für das er regelmäßig Konferenzen organisiert und sich mit Klimaschutzexperten aus aller Welt austauscht. Kaum jemand kennt sich in dieser Szene so gut aus wie er.
Viele Regierungen haben den Klimaschutz auf ihrer Agenda inzwischen deutlich nach oben gerückt, erklärt Gehring, vor allem in Ländern der sogenannten Zweiten und Dritten Welt. Diese stellten ihren Bürgern mitunter besonders ausgefeilte Rechtsschutzmöglichkeiten in Umweltsachen zur Verfügung. "Der Indische Supreme Court ist eines der Gerichte, die eine sehr fortschrittliche Umweltrechtsprechungspraxis haben", so Gehring, "der Philippinische Supreme Court hat beispielsweise die Rechte künftiger Generation an der Umwelt anerkannt". In Chile, Neuseeland oder Australien gebe es bereits spezielle Umweltgerichte, andere Länder, darunter vor allem Entwicklungsländer, könnten bald nachziehen.
Und wo bessere Rechtsschutzmöglichkeiten existieren, werden diese auch zunehmend in Anspruch genommen.
Retten 25 junge Kolumbianer den Amazonas?
Was möglich ist, zeigt sich derzeit unter anderem in einer Region nicht weit von der Heimat Lliuyas entfernt. In Kolumbien hatte sich ein Streit um die Amazonasregion entzündet, wo trotz erheblicher Folgen für die Umwelt der Regenwald weiter abgeholzt wird. Auf der einen Seite des Streits stand die kolumbianische Regierung, auf der anderen Seite 25 junge Bürger des Landes, der jüngste gerade sieben Jahre alt. Sie wollten der Umweltzerstörung in ihrer Heimat nicht länger zusehen und verklagten die Regierung wegen unzureichender Schutzmaßnahmen.
"Abholzung ist die größte Quelle von Treibhausgasen in Kolumbien" erklärt Camila Bustos, eine der Klägerinnen, gegenüber LTO. Sie war nicht nur Beteiligte in dem Verfahren, sie arbeitet auch für Dejusticia, eine NGO, die sich für Menschenrechte und Umweltschutz in Kolumbien einsetzt. Dazu erstellt sie Studien, betreibt Öffentlichkeitsarbeit – und führt auch Rechtsstreitigkeiten. "Wir glauben, dass wir etwas bewegen können, indem wir die Regierung für ihre versprochenen Klimaziele zur Verantwortung ziehen" sagt Bustos.
Der Fall in Kolumbien ist schon weiter als die Klage von Saúl Luciano Lliuya vor dem OLG Hamm. Er ist bereits vor dem höchsten nationalen Gericht gelandet, dem Corte Constitucional, sozusagen dem Bundesverfassungsgericht Kolumbiens. Am 5. April fiel das Urteil – und die Richter gaben den Umweltschützern recht. Und mehr noch: Sie sprachen der Amazonasregion eigene Rechte zu, qualifizierten sie gewissermaßen als Rechtssubjekt. Damit schrieb das Gericht Rechtsgeschichte, ebenso wie die Kläger.
"Unser Fall und die Entscheidung des Gerichts können großen Einfluss haben" hofft Bustos, die ihren Kampf gegen die Abholzung damit aber noch nicht als beendet ansieht: "Nachdem nun zu unseren Gunsten entschieden worden ist, müssen wir überwachen, wie die Regierung ihrer Pflicht, die Abholzung zu beenden, nachkommt".
Klagen von Pakistan bis in die USA
Umweltklagen mehren sich in den letzten Jahren überall auf der Welt: Eine der bisher wegweisendsten Entscheidungen zum Klimaschutz kam vom Lahore High Court. Im Fall Leghari vs. Pakistan gab das Gericht im September 2015 einem Farmer recht, der die Missachtung von Klimazielen durch seine Regierung rügte. In Indien verklagte 2017 ein neunjähriges Mädchen - Tochter eines Umweltschutzaktivisten - die Regierung, um sie zu zwingen, weiterreichende Klimaschutzgesetze zu erlassen. Und auch in den Vereinigten Staaten, wo der Umweltschutz derzeit auf Regierungsebene keine Fürsprecher hat, tut sich einiges: Nicht nur verklagen dort Städte und Bezirke Öl- und Kohleunternehmen, auch hier sind es gleichsam junge Bürger, die den Energieriesen die Stirn bieten. Bereits 2016 sorgte die Organisation "Our Children’s Trust" für Aufsehen, als sie Bundesstaaten im ganzen Land mit Umweltklagen überzog.
Die Fälle aus aller Welt zeigen, dass Klimaklagen aus der Zivilgesellschaft zunehmen und dabei sogar Erfolg haben können, weil es eine Tendenz an den Gerichten gibt, solchen Vorbringen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
In Deutschland unterdessen hinkt die rechtliche Durchsetzung des Umweltschutzes noch ein gutes Stück hinterher. Private Akteure, erklärt Markus Gehring, haben hier keine eigene Umweltgerichtsbarkeit, wie sie in vielen anderen Ländern bereits existiert. Die Möglichkeiten sind damit beschränkt, wie auch eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags von 2016 zeigt. Zudem rügte das Compliance Committee, welches über die Einhaltung des Aarhus-Abkommens über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten wacht, in seinem letzten Bericht, in welch begrenztem Rahmen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in Deutschland vor Gericht Umweltschutz einklagen können.
Der Kritik schließt sich auch Roda Verheyen an: Das deutsche Umweltrechtsbehelfsgesetz, das ein Klagerecht in Umweltsachen lediglich für anerkannte Verbände vorsieht, sei "völkerrechtlich unzureichend", so die Anwältin. Viele Menschen würden gerne ihr Recht auf besseren Umweltschutz einklagen, doch "der Staat ist der Auffassung, dass ein einzelner das nicht können soll". "Das Aarhus-Übereinkommen ist aber ein Menschenrechtsübereinkommen", so Verheyen, "warum also sollten die Menschen nicht auch klagen können?".
Gerichtsverfahren können nur ein Anstoß sein
Dass sie eben das mittlerweile an vielen Orten der Welt tun, wundert Verheyen dagegen nicht. Es sei schlicht die logische Folge einer besseren naturwissenschaftlichen Beweislage. In Zukunft rechnet sie sogar mit einem weiteren Anstieg solcher Verfahren: "Ich denke, dass solche Klagen im Hinblick auf den Klimawandel noch zunehmen werden". Gleichwohl, berichtet sie, seien solche Verfahren oftmals "nicht einfach und für die Betroffenen schon wegen ihrer Länge kaum zumutbar".
Dass Gerichtsverfahren alleine die Umwelt retten können, glaubt dagegen auch die engagierte Anwältin nicht. "Durch einzelne Fälle kann man nie umfänglich Umweltschutz betreiben", so Verheyen. Das müsse schon der Gesetzgeber durch entsprechende Regulierungen übernehmen. Und doch: "Einzelne Entscheidungen können natürlich die regulatorische Tätigkeit anstoßen". Fälle wie der von Saúl Luciano Lliuya zum Beispiel.
Umweltaktivisten verbünden sich
Doch auch wenn sie sich vornehmen, Regierungen und Konzerne zu besserem Umweltschutz zu drängen, eine Ansammlung von Einzelkämpfern wird aller Voraussicht nach nicht viel ausrichten können. Aus diesem Grund vernetzen sich Umweltschützer aus aller Welt auf internationalen Events und tauschen sich aus. Dazu zählen die Conferences of the Parties (COP) - die jährlich stattfindenden Treffen der Vertragsparteien der UN-Klimarahmenkonvention und des Kyoto-Protokolls oder diversen Veranstaltungen der Vereinten Nationen. Auch das CISDL, für das Markus Gehring tätig ist, spielt eine wichtige Rolle, erklärt er: "Mit unseren CISDL-Law and Governance-Veranstaltungen versuchen wir, die Rechtsberater und Rechtswissenschaftler, die an internationalen Verhandlungen teilnehmen, zu vernetzen".
Klimaschutz-Aktivisten aus aller Welt, die ihre Kräfte zu bündeln beginnen – das ruft natürlich auch viele auf den Plan, denen das Aufbegehren der Bürger nicht schmeckt. "Regierungen und internationale Unternehmen reagieren etwas aufgeschreckt" erzählt Markus Gehring. "Leider wird selbst in den umweltfreundlichsten Staaten der Klimawandel immer noch nicht so ernst genommen, dass ein wirklicher gesellschaftlicher Wandel vollzogen wird."
In der Tat, man muss nicht erst in die USA oder nach Polen schauen, um zu erkennen, dass Umweltschutz zurzeit vielerorts nicht hoch im Kurs steht. Doch lässt er sich überhaupt gegen den Willen einer Mehrheit betreiben? Anders gesagt: Sind Umweltklagen nicht undemokratisch? Gehring gibt sich da kompromisslos: "Es gibt Bereiche, wie etwa Menschrechtsschutz oder auch Umweltschutz, in denen ein simples Mehrheitsprinzip für politische Entscheidungen nicht ausreicht. Selbst wenn die Mehrheit der Politiker nicht an Klimawandel glaubt, heißt das für mich nicht, dass der Staat untätig bleiben darf" meint Gehring. In einem solchen Fall müssten Juristen die Aufgabe übernehmen, auf die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse hinzuweisen. "Natürlich wäre es besser, wenn die Politik diese Aufgabe übernehmen würde. Aber einige Maßnahmen, zum Beispiel Fahrverbote, sind so unpopulär, dass es für Politiker schwierig ist, das Richtige für die Umwelt zu tun. Dann müssen eben Gerichte den Weg weisen."
Maximilian Amos, Umweltklagen weltweit auf dem Vormarsch: . In: Legal Tribune Online, 15.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28607 (abgerufen am: 03.10.2024 )
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