Die Übernahme des Karrierenetzwerks LinkedIn durch Microsoft schien der erste große Fall der Kommission im Bereich Big Data zu werden. Doch es kam anders. Warum, erläutert Falk Schöning.
26 Milliarden Dollar zahlt Microsoft für das Karrierenetzwerk LinkedIn, mit dem User online Kontakte zu Geschäftspartnern und Kollegen knüpfen können. Bei 430 Millionen angemeldeten Nutzern sind das nominal 60 Dollar pro User – oder besser: pro Datensatz. Da ist es nicht verwunderlich, dass die Europäische Kommission genauer prüfen wollte, was die Daten von LinkedIn so besonders macht, dass Microsoft diesen stolzen Preis zu zahlen bereit ist.
Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hatte bereits im September in einer Rede zum Thema "Making data work for us" darauf hingewiesen, dass nicht "Big Data" an sich das Problem sei. Unternehmen könnten durchaus riesige Datenmengen sammeln und auswerten, ohne mit dem Kartellrecht in Berührung zu kommen. Ein Problem entstehe aber dann, wenn die Daten "einzigartig" seien und nicht von anderen dupliziert werden könnten.
Prüfung der Einzigartigkeit
Nun haben Daten es grundsätzlich gerade an sich, dass sie leicht duplizierbar sind. Heutzutage scheinen Daten überall zu sein: Smartphones, Tablets, Internet of Things und soziale Netzwerke, in denen Nutzer ihre Aktivitäten transparent machen. Aber die "Hippie-Theorie", nach der Daten wie Sonnenstrahlen sind und für jeden genug vorhanden ist, trifft kartellrechtlich nicht den Kern. So unbedeutend und reproduzierbar ein einzelner Datensatz sein mag, in Masse und in Kombination mit anderen persönlichen Informationen kann ein Daten-Asset entstehen, das sich tatsächlich nicht beliebig kopieren lässt.
Die Kommission hatte daher zu prüfen, ob die LinkedIn-Daten "einzigartig" sind. Im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung der Transaktion stand, ob die LinkedIn-Daten im Zusammenspiel mit sogenannter Customer Relationship Management (CRM)-Software einen besonderen Wert haben könnten.
CRM-Software wird für gezielte Kundenbeziehungsprozesse wie Akquise, Vertrieb oder Service genutzt. Mit dem Zugang zu den Nutzerprofilen von LinkedIn lassen sich über die Funktion LinkedIn "Sales Navigator" User sehr zielgenau ansprechen, insbesondere wenn man dazu noch deren Nutzungs- und Nachrichtenverhalten auswertet. Außerdem lassen sich diese Informationen sowohl in Produktivitätssoftware wie Microsoft Office als auch in CRM-Software einbinden, z.B. um über die Cloud zeit- und ortsunabhängig auf Kundeninformationen zugreifen zu können.
Wettbewerber hat massive Bedenken
Tatsächlich deutete zunächst einiges darauf hin, dass die Kommission Bedenken haben würden, Microsoft die Übernahme von LinkedIn zu gestatten. Einer der Hauptwettbewerber Microsofts im Bereich von CRM-Software hatte massive Bedenken gegen den Zusammenschluss geäußert. Zudem hatte die Kommission bereits in der Vergangenheit Fälle intensiv geprüft, bei denen große Datenmengen involviert waren, wie z.B. im Fall der Übernahme des Online-Werbespezialisten DoubleClick durch Google im Jahr 2008.
Es kam daher zunächst nicht unerwartet, dass die Kommission den Zusammenschluss von Microsoft und LinkedIn Anfang Dezember nur unter Auflagen erlaubte.
Doch der Blick auf das Auflagenpaket bot dann doch mehrere Überraschungen. Laut Pressemitteilung der Kommission hatte Microsoft drei Auflagenkomponenten angeboten:
- Erstens sollen PC-Hersteller und ‑Händler nicht gezwungen sein, LinkedIn auf Windows vorzuinstallieren. Nutzer sollen zudem die Möglichkeit haben, LinkedIn aus Windows entfernen zu können.
- Zweitens sollen –für alle Software-Entwickler offene Sschnittstellen die Interoperabilität für andere Karrierenetzwerke mit den Produkten aus dem Microsoft-Office-Paket gewährleisten. Andere Plattformen können dadurch ebenfalls in die Microsoft-Programme integriert werden, so dass aus dem Office-Paket nicht nur auf die Nutzerdaten von LinkedIn zugegriffen werden kann.
- Drittens sollen LinkedIn Wettbwerber Zugang zu einem Softwareentwickler-Portal von Microsoft erhalten, um damit mehr Mitglieder für ihr Karrierenetzwerk gewinnen zu können.
2/2: Alte Auflagen für riesigen Big Data Fall
Verwundert fragt man sich nun: Auswahlfreiheit der vorinstallierten Programme für Hardware-Hersteller? Interoperabilität und offene Schnittstellen in der Microsoft-Software? Das gab es doch alles schon einmal!
Richtig, schon 2004 hatte die Kommission Verpflichtungszusagen von Microsoft akzeptiert, die Arbeitsgruppenserver (für die Nutzung in kleinen bis mittelgroßen Computernetzen) und den Windows Media Player betrafen. Damals sagte Microsoft zu, die Schnittstellenspezifikationen offen zu legen, mit denen nicht von Microsoft stammende Arbeitsgruppenserver uneingeschränkt mit Windows-PCs und Servern kommunizieren können.
Im Jahr 2009 akzeptierte die Kommission dann Verpflichtungszusagen von Microsoft, Nutzern bei den Webbrowsern Wahlfreiheit zu geben. Über einen Auswahlbildschirm konnten sie auswählen, welchen Webbrowser wie etwa Mozilla Firefox oder Google Chrome sie zusätzlich zu oder anstelle von Microsofts Webbrowser Internet Explorer installieren möchten.
Zwölf Jahre alte Auflagen als Modell für den größten Big-Data-Fall des Jahres 2016? Oder waren die Daten von LinkedIn vielleicht doch nicht so problematisch wie zuerst angenommen? Es fällt jedenfalls auf, dass die Auflagen auf Zugang für alternative Karrierenetzwerke zur Technologie und Office-Software von Microsoft abstellen. Umkehrt verlangen die Auflagen nicht, dass andere CRM-Software-Anbieter auf die Nutzerdaten von LinkedIn zugreifen können. Genau dies wäre aber zu erwarten gewesen, wenn die Daten wirklich "einzigartig" im Sinne der Kommissionspraxis wären.
Daten als "essential facility"
Da die Entscheidung der Kommission noch nicht veröffentlicht ist, lässt sich derzeit nur spekulieren, warum für die Auflagen gilt: Zurück in die Zukunft. Im Bereich CRM-Software mag eine Rolle gespielt haben, dass Microsoft keine führende Marktposition einnimmt. Vielleicht war der Datenschatz von LinkedIn bei näherer Betrachtung auch nicht so einzigartig, dass Wettbewerber nicht auch ohne ihn erfolgreich am Markt tätig sein können.
Der Test, den andere Kartellbehörden für die Feststellung der Einzigartigkeit von Daten herangezogen haben, ist in der Tat sehr schwierig zu bestehen. Das Bundeskartellamt und die französische Autorité de la Concurrence haben beispielsweise in einem gemeinsamen Papier mit dem Titel "Competition Law and Data" vom Mai diesen Jahres auf die "Essential Facilities"-Rechtsprechung des EuGH in den Fällen Bronner, IMS Health und – in der Tat – Microsoft Bezug genommen. Für Zugangsverpflichtungen zu einem Datenpool sei es demnach erforderlich nachzuweisen, dass die Daten wirklich einzigartig sind. Zudem darf keine Alternative für Wettbewerber bestehen, Zugang zu den Daten zu erhalten, die für die Erbringung seiner Leistungen notwendig sind.
Der letzte Teil dieses Tests wird Kartellbehörden und Wettbewerber, die Zugangsansprüche geltend machen wollen, vor Herausforderungen stellen. Denn selbst wenn ein Unternehmen über nicht reproduzierbare Daten verfügt, heißt dies noch nicht automatisch, dass andere Unternehmen ohne Zugang zu genau diesen Daten nicht ihrerseits erfolgreich am Markt tätig sein können.
Gar nicht so großes Big Data
So bleibt festzustellen, dass der Fall Microsoft / LinkedIn doch nicht der große Big Data-Fall war, den die Kommission sicher gerne einmal prüfen möchte, um das Kartellrecht für das digitale Zeitalter weiterzuentwickeln. Klar ist aber, dass die Bedeutung von Daten in Fusionskontrollverfahren und generell im Kartellrecht immer größeres Gewicht erlangen wird.
Dies spiegelt sich nicht zuletzt darin wider, dass Wettbewerbskommissarin Vestager in ihrer September-Rede den Entwurf einer neuen EU-Richtlinie zur kartellrechtlichen Beurteilung des Umgangs mit Big Data in allen Mitgliedstaaten für Anfang 2017 in Aussicht gestellt hat. Gleichzeitig evaluiert die Kommission derzeit, ob sie – wie in Deutschland von der Bundesregierung für das GWB bereits vorgeschlagen – neue transaktionswertbezogene Schwellenwerte für die Fusionskontrolle einführt. Damit erhoffen die Kartellbehörden, Zugriff auf jene Zusammenschlüsse zu erhalten, die mangels großer Umsätze junger Start-ups durch das Raster der umsatzbezogener Schwellenwerte fallen.
Für Unternehmen oder Investoren in Unternehmen, die mit großen Datenmengen arbeiten, heißt es daher: Bei Big Data spielen nicht nur IT- und Datenschutzrecht eine Rolle, sondern zunehmend auch das Kartellrecht.
Dr. Falk Schöning ist Partner bei Hogan Lovells in Brüssel. Er berät Unternehmen in allen kartellrechtlichen Fragen, insbesondere im Bereich von TMT, Big Data und Tech.
Dr. Falk Schöning, Übernahme von LinkedIn durch Microsoft: 26 Milliarden Dollar-Daten . In: Legal Tribune Online, 20.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21533/ (abgerufen am: 28.09.2023 )
Infos zum Zitiervorschlag