Statt blauem Vogel nun blauer Himmel? Bluesky gilt als neuer aussichtsreicher Nachfolger von Twitter bzw. Elon Musks "X". Nicht zufällig fallen Ähnlichkeiten auf. Wieviel Altbekanntes darf in einer neuen Social-Media-Plattform stecken?
Jetzt also Bluesky? Immer wieder tauchten die letzten Monate neue Kurznachrichtenplattformen auf, die die Nachfolge von Multimilliardär Elon Musks Platzhirsch-Plattform "X", ehemals Twitter, antreten wollen. Auch die Neuausrichtung von X öffnet den Markt für Alternativen, große Werbekunden wandern ab. Für einige ist Bluesky, an der auch Ex-Twitter-Gründer Jack Dorsey beteiligt ist, schon das "Neue Twitter", jedenfalls aber eine echte Alternative. Im November meldete die Plattform, sie habe 2 Millionen Nutzer.
Anders als andere neue soziale Netzwerke tritt Bluesky nicht mit neuen originellen Funktionen an. Stattdessen verspricht es seinen Nutzerinnen und Nutzern, sie in die "gute alte Zeit" von Twitter zurückreisen zu lassen.
Wie von X gewohnt kann man auf Bluesky posten, reposten, liken, antworten, Beiträge kommentieren und aktuelle Themen verfolgen. Das alles sind Funktionen, die so nicht exklusiv bei X sondern auch bei anderen Social-Media-Plattformen generell eben das Instrumentarium ausmachen. Auf den ersten Blick erinnert auch das "Look & Feel", also das Zusammenspiel der einzelnen Funktionen, und der Gesamteindruck von Bluesky an bereits Bekanntes.
Eine Nachahmung mag die schönste Form der Anerkennung sein. Aber wo liegen ihre rechtlichen Grenzen? Und kann ein Gesamtkonzept wie die Nachrichtenplattform X überhaupt geschützt werden? Was muss dagegen frei für kreative Köpfe in der Zukunft verwendbar bleiben?
Was ist Nachahmungsschutz?
Der Begriff "Nachahmungsschutz" ist gesetzlich nicht definiert. Wer für sein Produkt eine Gestaltung entwickelt, seine Kreativität und Zeit investiert hat, soll vor unlauteren Nachahmungen geschützt werden. Eine Nachahmung kann wie folgt beschrieben werden: eine Gestaltung, die die (optisch) prägenden Merkmale einer früheren Gestaltung so deutlich übernimmt, dass Kunden die Ähnlichkeit unmittelbar wahrnehmen oder – gerade bei Alltagsprodukten – in der Eile versehentlich zum falschen Produkt greifen, oder die Produkte verwechseln.
Dabei gibt es einerseits den Sonderrechtsschutz (z.B. über das Marken-, Design- und Urheberrecht). Dieser gibt dem Inhaber exklusive Rechte an Begriffen, Gestaltungen, etc. Andererseits gewährt das Wettbewerbs- und Lauterkeitsrecht einen Nachahmungsschutz.
Aber: Bei letzterem gilt, dass Nachahmungen ohne Sonderrechtsschutz grundsätzlich erlaubt sein sollen. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis kehrt sich um. Nur wenn eine Gestaltung in "unfairer" Weise einer anderen zu sehr ähnelt, kann der lauterkeitsrechtliche Nachahmungsschutz greifen. Dies wäre z.B. denkbar, wenn die neue Gestaltung die Wertschätzung der älteren Gestaltung ausnutzt. Der Verbraucher wird dann meist die jüngere Gestaltung für die ältere halten, ein die "Gestaltung A ist wie Gestaltung B"-Erlebnis haben oder beide zumindest miteinander in Verbindung bringen.
Soziale Netzwerke: Facebook für Nachahmungsschutz 2009 zu unbekannt?
Ohne Erfolg behauptete Facebook 2009 vor dem Landgericht (LG) Köln, dass studiVZ u.a. das "Look & Feel" von Facebook in unlauterer Weise nachgeahmt habe (Urt. v. 16.6.2009 – 33 O 374/08). Das soziale Netzwerk studiVZ habe lediglich eine andere Grundfarbe gewählt und ein eigenes Logo eingesetzt. Ansonsten sei das Aussehen der beiden Seiten in Aufbau, Schriftbild und Funktionalität zum "Verwechseln" ähnlich.
Das LG Köln stellte zwar fest, dass die Ähnlichkeiten in Bezug auf die grafische und funktionale Gestaltung der Bildschirmoberflächen der beiden Netzwerke nicht zu übersehen seien. Dennoch wies das Gericht Facebooks Ansprüche wegen unlauterer Nachahmung ab. Dies auch deshalb, weil die für eine unlautere Nachahmung erforderliche Bekanntheit von Facebook zum Zeitpunkt der Einführung von studiVZ nicht belegt werden konnte.
Konzept-Schutz von Restaurant-Räumlichkeiten und Apple Stores
Aufgrund der starken Konkurrenz im Gastronomiebereich ist auch dieser prädestiniert für Streitigkeiten um Nachahmungen – und auch hier lässt sich etwas für die Nachahmungsfragen bei Konzepten bzw. bei Social Media übertragen.
Wer die Menükarten, das Produktangebot und dessen Darstellung eines fremden Gastronomiekonzepts nahezu identisch übernimmt und darüber hinaus markante Elemente aus der Restaurantgestaltung verwendet, ahmt nach. So gab z.B. das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf einer Klage der "Pommesmanufaktur Frittenwerk" gegen eine Konkurrentin wegen nachschaffender Leistungsübernahme statt (Urt. v. 22.11.2018 – 15 U 74/17).
Ferner kommen bei Restaurants auch urheberrechtliche Ansprüche in Betracht. Der Inhaber der Restaurantkette "Hans im Glück" – verglich sich (wohl gezwungenermaßen) vor dem OLG München mit der Urheberin des entsprechenden Raumdesignkonzepts (u.a. "raumhohe Birkenstämme ohne Äste mit schwarzen Tisch-Sitz-Ensembles").
Sogar die Eintragung einer Marke für die Ausstattung einer Verkaufsstätte ist denkbar. So bestätigte der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass die Ausstattung von Apple Stores bzw. die entsprechende Zeichnung grds. als Marke eintragungsfähig ist.
Die Betrachtungen zum Konzeptschutz sind gleichermaßen in der digitalen Welt relevant, die in vielen Aspekten lediglich ein Spiegel der realen Welt ist.
Graue Wolken am Bluesky?
Wie steht also es um die Plattform Bluesky? Anders als im Facebook-Fall wird X als potentieller Rechteinhaber auf dem deutschen Markt sicherlich ausreichend bekannt sein. Dafür sorgt nicht zuletzt Elon Musk, der sich auf seiner Plattform mittlerweile auch zu deutscher Politik äußert. Auch hat das Layout von X einen hohen Widererkennungswert. Es spricht daher einiges für eine wettbewerbliche Eigenart, die notwendig ist für den lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz (§ 4 Nr. 3 a UWG). Die konkrete Ausgestaltung bzw. die Merkmale des Erzeugnisses sind geeignet, die angesprochenen Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen.
Eine Gegenüberstellung der prägenden Bestandteile beider Plattformen kann folgende Ähnlichkeiten aufzeigen:
- Feed: Hauptteil der Startseiten beider Plattformen ist der Feed, auf dem Posts der abonnierten Accounts zu sehen sind.
- "Post Box": Nutzer können über diesen Button Beiträge verfassen und teilen.
- Navigationsspalte: Über diesen Reiter gelangt man zu den einzelnen Funktionen der Plattformen. Sie besteht bei beiden aus dem "Home"-Icon, einer Suchfunktion (bei Bluesky heißt diese "Search", bei X "Explore"), Notifikationen, dem eigenen Profil und der Post-Funktion (bei Bluesky heißt diese "New Post" und bei X "Post"). Teilweise werden identische Icons verwendet. Einige Unterschiede (z.B. ist das Profil Icon bei Bluesky von einem Kreis umrandet, bei X besteht dies nur aus einer Figur) fallen dem Verkehr beim flüchtigen Hinsehen gegebenenfalls nicht auf. Bei näherer Betrachtung erscheint die Navigationsspalte bei Bluesky etwas abgespeckt.
- Interaktionen: Unter jedem Post gibt es verschiedene Schaltflächen über die Benutzer interagieren können. Dazu gehört "Gefällt mir" (Herzsymbol), "Reposten" (Pfeilsymbol) und "Kommentieren" (Sprechblasensymbol).
- Suchfunktion: diese befindet sich bei beiden Plattformen rechts oben auf der Startseite;
- Schriftart: X verwendet seine eigens konzipierte Schriftart "Chirp". Das Schriftbild von Bluesky erinnert durchaus an das von X.
Es gibt also einige Gemeinsamkeiten; auch der Grundaufbau der Plattformen ist hochgradig ähnlich. Für einen durchschnittlichen Social Media-Nutzer werden Unterschiede in der Benutzungsoberfläche – jedenfalls bei flüchtigem Hinsehen – nicht zwingend ins Gewicht fallen.
Kann man die Grundidee von Social Media schützen?
Aber: Die wettbewerbliche Eigenart der Gestaltung der Plattform X muss sich gerade auch in den von Bluesky übernommenen Gestaltungsmerkmalen wiederfinden lassen. Das heißt, dass gerade die übernommenen Gestaltungsmerkmale (z.B. die Schriftart, etc.) geeignet sein müssen, im Verkehr auf eine ganz bestimmte betriebliche Herkunft oder auf die Besonderheit gerade des jeweiligen Erzeugnisses hinzuweisen.
Hingegen sind alltägliche Merkmale (z.B. der Begriff "post" für einen Beitrag, eine übliche Suchspalte, etc.) grds. nicht dazu geeignet, auf die Herkunft hinzuweisen.
Bluesky und X verwenden etwa die Icons "Home" und "Person". Diese Symbole sind allerdings gängig und daher – genauso wie Begriffe wie "post" oder eine übliche Suchspalte generisch. Dies gilt auch für die Interaktionsmöglichkeiten wie die Kommentar-Funktion oder der Like-Button. Somit sind die Merkmale –jedenfalls alleinstehend – nicht geeignet, eine Herkunftsvorstellung zu erwecken. Sie genießen keinen lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz.
Auch ist grundsätzlich fraglich, ob die generelle Konzeption eines Feeds mit entsprechenden Posts schutzfähig ist oder vielmehr als Grundidee von Social Media – nämlich, einen Rahmen für Interaktion zu schaffen – frei zugänglich bleiben muss.
Feed als geschütztes Design
Neben dem lauterkeitsrechtlichen Schutz ist ein Schutz der Gestaltung von X insbesondere aus bestehenden Designrechten denkbar. X hat seine Benutzeroberflächen als Design (sog. eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster) geschützt. Der Rechteinhaber kann Dritten die Benutzung des geschützten Designs verbieten. Voraussetzung: Das neue Produkt ruft beim informierten Benutzer im Vergleich zum eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster keinen anderen Gesamteindruck hervor bzw. die prägenden Erscheinungsmerkmale des neuen Designs unterscheiden sich nicht wesentlich vom eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster (siehe hierzu Art. 10 Abs. 1, 19 Abs. 1 Geschmacksmusterverordnung). Das neue Produkt weist dann keine Eigenart auf – beim informierten Benutzer entsteht ein "déjà vu-Effekt".
Allerdings ist das eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster ein ungeprüftes Schutzrecht. Das zuständige Amt (hier: EUIPO) prüft also weder die Neuheit noch die Eigenart eines neu angemeldeten Designs. Ob die Voraussetzungen vorliegen, prüft das Amt erst im Rahmen einer Auseinandersetzung des Rechteinhabers mit dem vermeintlichen Verletzer. Nur weil X seine Benutzeroberfläche eingetragen hat, heißt das also noch nicht, dass das Unternehmen daraus erfolgreich gegen vermeintliche Nachahmer vorgehen kann. Dafür kommt es vor allem auf den – vermutlich umfassenden – vorbekannten Formschatz, also andere Gestaltungen von Social Media-Plattformen an, die es schon vor X gab.
Es bleibt also abzuwarten, ob sich X an der Gestaltung von Bluesky stören wird. Argumente gäbe es sowohl für als auch gegen eine wettbewerbliche Eigenart. Ein Vorgehen aus einem eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist abhängig von der Prüfung des vorbekannten Formenschatzes – per se ausgeschlossen ist es aber ebenfalls nicht.
Streitet Euch nicht…
Ein Streit vor Gericht ist in solchen Fällen aber nicht der einzige Weg. In der Vergangenheit haben Unternehmen alternativ mithilfe von Marketingstrategien auf potentielle Nachahmungen reagiert: indem sie die Unterschiede zwischen den Produkten auf humorvolle Art aufgezeigt und so die Wettbewerber aufs Korn genommen haben. Diesen Weg hat z.B. die Einrichtungskette IKEA gewählt. Ein Modedesigner hatte sich offensichtlich von der bekannten blauen IKEA-Tasche inspirieren lassen. Er entwarf eine Luxusversion der bekannten Tragetasche. IKEA entschied sich gegen ein Gerichtsverfahren, machte sich aber die Nachahmung für sein eigenes Marketing zu Nutze. Der Möbelkonzern zeigte mit Humor auf, dass seine blaue Tasche das Original ist. Das kam beim Publikum vermutlich gut an. Vielleicht fällt Elon Musk dazu auch noch etwas ein.
Dr. Thomas Farkas ist Counsel im Hamburger Büro der globalen Kanzlei Eversheds Sutherland im IP-Team, u.a. mit einem Fokus auf die Schnittstelle IP im Konsumgütersektor. Ferner lehrt er in diesem Bereich seit vielen Jahren auch als Dozent an namhaften Universitäten, z.B. in London und Hamburg.
Frau Maximiliane Wöllenstein ist als Research Assistant im Team von Thomas Farkas tätig.
Nachahmung und Täuschung: . In: Legal Tribune Online, 01.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53305 (abgerufen am: 03.10.2024 )
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