ARD und ZDF haben nur Friedrich Merz und Olaf Scholz ins TV-Kanzlerduell eingeladen. Das sorgt für Unmut bei Robert Habeck und Alice Weidel und wirft die Frage auf, wie viel Freiheiten die öffentlich-rechtlichen Sender eigentlich haben.
Fünf Kanzlerkandidat:innen werden bei der Bundestagswahl im Februar 2025 für ihre Parteien antreten – noch nie waren es so viele. Für die nach den Umfragen aktuell stärkste Kraft, die Union, steht Friedrich Merz zur Verfügung. Er tritt nach den Plänen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ARD und ZDF am 9. Februar in einem TV-Kanzlerduell gegen Amtsinhaber Olaf Scholz von der SPD an. Aber warum nicht auch gegen die anderen Kandidat:innen?
Ginge es allein nach Umfragewerten, müsste Alice Weidel noch vor Scholz eingeladen werden, denn die AfD ist aktuell zweitstärkste Kraft hinter der Union. Ein Kanzler-Triell statt -Duell also könnte es sein – so wie auch bei der letzten Bundestagswahl. Da war Annalena Baerbock von den Grünen neben den Kandidaten von Union und SPD mit dabei. Als damals Mitte Mai 2021 das Triell angekündigt wurde, lagen laut einer Forsa-Umfrage die Grünen sogar bei 27 Prozent und die SPD bei 15 Prozent. So groß ist der Abstand in den aktuellen Umfragen bei Weitem nicht, die Sender scheinen also ihr Konzept für die Fernsehrunde bewusst verändert zu haben.
Schließlich ist Robert Habeck, der ebenfalls mit dem Label Kanzlerkandidat zur Wahl antritt, nicht dabei. Und das, obwohl er aktuell Vizekanzler ist und außerdem als Kanzlerkandidat in der Bevölkerung je nach Umfrage genauso (un-)beliebt wie Olaf Scholz. ARD und ZDF haben Habeck und Weidel nicht vergessen, wollen sie aber in einem gesonderten Duell gegeneinander antreten lassen. Dem hat Habeck inzwischen eine Absage erteilt.
Kanzlerkandidat:in Nummer fünf ist BSW-Chefin Sahra Wagenknecht. Die Partei hat jedoch selbst betont, dass sie keine Aussicht auf Erfolg dieser Kandidatur sieht. Doch hinter der Entscheidung zur Kanzlerkandidatur steht das Argument, dass man dann öffentlich sichtbarer sei. Damit dürfte auch eine Einladung zu einem Aufeinandertreffen der Kanzlerkandidat:innen im TV gemeint sein. Dass sie bislang keinem Duell zugeordnet wurde, hat Wagenknecht bislang zumindest öffentlich aber noch nicht moniert.
Anders als diverse Mitglieder der Grünen und die AfD. "Ist das wirklich ernst gemeint? Nur SPD & CDU einzuladen? Mit freundlicher Unterstützung zurück zur GroKo? Oder was für ein Land soll das abbilden?", fragt etwa Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge auf X. Die AfD kündigte gegenüber Bild sogar an, die Entscheidung von ARD und ZDF juristisch prüfen zu lassen.
ARD und ZDF dürfen nicht frei entscheiden
Und tatsächlich sind die öffentlich-rechtlichen Sender nicht ganz frei in ihren Entscheidungen zur Programmgestaltung. Genau wie für alle anderen Medien gilt natürlich auch für sie die Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) und die daraus resultierende Programmfreiheit. Anders als die privaten Medien sind ARD und ZDF allerdings gleichzeitig an Grundrechte gebunden. Entsprechend müssen sie im Rahmen ihrer Programmfreiheit die im Grundgesetz verankerte Chancengleichheit der Parteien (Art. 3 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1 GG) beachten.
Was das in Bezug auf ein TV-Kanzlerduell bedeutet, hat bereits im Jahr 2002 das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) beschäftigt. Mit dem Ergebnis: Die öffentlich-rechtlichen Sender müssen ihr Kanzlerduell auf ein schlüssiges journalistisches Konzept stützen.Das nahm Gericht eine Verfassungsbeschwerde der FDP nicht zur Entscheidung an (Beschl. v. 30.08.2002, Az. 2 BvR 1332/02). Die Partei hatte sich erfolglos durch die verwaltungsgerichtlichen Instanzen geklagt mit dem Ziel, dass ARD und ZDF ihren damaligen Kanzlerkandidaten Guido Westerwelle zum Duell einladen müssen.
Doch das BVerfG hatte keine Zweifel an der Ansicht der Verwaltungsgerichte, dass ARD und ZDF ein schlüssiges journalistisches Konzept aufgestellt hätten, das nur den Kandidaten Gerhard Schröder und Edmund Stoiber die Teilnahme am Duell ermöglicht, da diese allein ernsthaft damit rechnen könnten, zum Bundeskanzler gewählt zu werden. Das sei bei Westerwelle damals nicht der Fall gewesen.
ARD und ZDF begründen ihr Konzept für das Duell 2025 laut Medienberichten damit, dass sie den aktuellen Amtsinhaber (Scholz) gegen den Herausforderer mit den besten Aussichten auf die Nachfolge aufeinandertreffen lassen wollten – und das sei eben Merz. Ist das ein journalistisch schlüssiges Konzept, obwohl die AfD in den Umfragen mehr Zuspruch erfährt als die SPD? Müsste dann nicht eher Weidel gegen Merz antreten?
"Amtsbonus" von Scholz rechtfertige keine Einladung
"Bei einer Sendung namens 'Kanzlerduell' ist ein Sendungskonzept nur dann in sich schlüssig, wenn alle Kandidaten mit ernsthaften Aussichten auf die Kanzlermehrheit im Bundestag eingeladen werden", sagt Dr. Jörg Frederik Ferreau von CBH Rechtsanwälte. "Das ist Stand heute allerdings einzig Friedrich Merz. Der 'Amtsbonus' von Olaf Scholz rechtfertigt seine Einladung nicht", so der Presse- und Rundfunkrechtler gegenüber LTO. Denn das Sendungskonzept dürfe nicht allein die bisherigen Machtverhältnisse widerspiegeln, sondern müsse auch aktuelle Machtverschiebungen anhand gesicherter Umfragewerte berücksichtigen.
Auch Prof. Dr. Wolfgang Schulz von der Universität Hamburg zufolge kann eine Ungleichbehandlung der Parteien zwar durchaus durch das bestehende politische Kräfteverhältnis begründet werden. Zu dessen Ermittlung könnten auch aktuelle Umfragen eine Rolle spielen. Aber: "Die Anstalten sind nicht gehalten, sich starr an diesen Werten zu orientieren, zumal wir wissen, dass beim tatsächlichen Wahlakt auch längerfristige politische Überzeugungen eine Rolle spielen", so der Direktor des Leibniz-Instituts für Medienforschung gegenüber LTO.
AfD-Beobachtung durch Verfassungsschutz relevant?
Aber vielleicht könnte es juristisch für die Entscheidung von ARD und ZDF relevant sein, dass die AfD vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Das sehen beide Experten nicht so. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz sei allein kein Grund, Weidel nicht in die Sendung aufzunehmen.
"Die öffentliche Hand und damit auch die grundrechtsgebundenen Rundfunkanstalten haben alle Parteien grundsätzlich gleich zu behandeln, solange nicht das BVerfG ihre Verfassungswidrigkeit festgestellt hat. Eine rein exekutive Entscheidung des Verfassungsschutzes für die Beobachtung der Partei genügt daher nicht, um einen Ausschluss der AfD von einem Duell zu rechtfertigen", sagt Ferreau. Schulz betont, dass es dazu noch keine gesicherte Rechtsprechung gebe. Außerdem "können die Anstalten berücksichtigen, ob die Einladung einer Person die Gefahr birgt, dass rechtswidrige Äußerungen getätigt werden, oder solche, die den Programmgrundsätzen widersprechen", so Schulz. Dafür könne die Einschätzung des Verfassungsschutzes aber Hinweise geben.
Dass bislang keine Partei mit der AfD eine Regierungskoalition bilden wollte, sehen beide ebenfalls nicht als alleinigen Grund, Weidel auszuschließen. Dafür seien Koalitionsaussagen vor Wahlen zu unsicher.
Und wie steht es mit Robert Habeck? Schließlich ist er unter anderem im aktuellen Politbarometer nur einen Prozentpunkt hinter Scholz bei der Frage nach dem beliebtesten Kanzlerkandidaten. Umfragen zur Beliebtheit von Politiker:innen können hier genauso ein Indikator für eine Einladung ins Kanzlerduell sein wie Umfragen zur Partei, meint Schulz. Ein Sendungskonzept, das wesentlich auf persönliche Beliebtheitswerte abstellt, wäre laut Ferreau allerdings nicht schlüssig. Das Wahlvolk wähle schließlich nicht den Kanzler, sondern Kandidaten für den Deutschen Bundestag.
Genug Auftrittsmöglichkeiten im restlichen Programm?
Letztlich hat das BVerfG im Westerwelle-Beschluss noch etwas klargestellt, das auch für den gegenwärtigen Konflikt wichtig sein dürfte. Und zwar müssten die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Rücksicht darauf nehmen, dass ihr redaktionelles Konzept die Erfolgsaussichten von Beteiligten am Wahlkampf auch nachhaltig mindern kann. Auf ihre gegenwärtige Entscheidung übertragen, Merz nur gegen Scholz antreten zu lassen, bedeutet das: Sie müssen den anderen Wettbewerbern im restlichen Programm genug Auftrittsmöglichkeiten bieten.
Das dürften sie getan haben, indem sie Weidel und Habeck zu einem extra Duell geladen haben. Außerdem findet – wie im Fall von Westerwelle – das Kanzlerduell zwei Wochen vor der geplanten Wahl statt. Damit sollte anschließend noch genug Zeit für alle anderen Kandidat:innen bleiben, sich in Talkshows oder ähnlichen Formaten zu präsentieren. Außerdem sollen in einer am 20. Februar ausgestrahlten Schlussrunde noch einmal alle Spitzenkandidat:innen zusammenkommen.
Gelassen sieht den ganzen Zwist um die Duelle übrigens die Kanzlerkandidatin mit den geringsten Aussichten: Sahra Wagenknecht. Die Politikerin sagte der dpa: "Falls die Sender Bedarf haben, ich habe überhaupt kein Problem, mit Frau Weidel zu diskutieren. Ich habe das schon einmal gemacht, ich mache es auch gern bei ARD und ZDF."
AfD prüft juristische Schritte: . In: Legal Tribune Online, 18.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56143 (abgerufen am: 12.02.2025 )
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