Die deutsche Wirtschaft ist beunruhigt, die Türkei scheint nicht länger ein zuverlässiger Partner zu sein. Dabei können die Unternehmen sich wehren - selbst wenn das regulatorische Umfeld sich ändern würde, beruhigt Patricia Nacimiento.
LTO: Die Türkei hat die Liste mit knapp 700 Unternehmen, die sie der Terrorismusfinanzierung bezichtigt hatte, zwischenzeitlich zurückgezogen. Aber spätestens jetzt ist nach der Politik auch die deutsche Wirtschaft beunruhigt. Halten Sie das nur für atmosphärische Störungen – oder gibt es dafür handfeste rechtliche Gründe?
Nacimiento: Unabhängig davon, wie umfangreich die Liste wirklich ist, die ja bislang nur in Auszügen öffentlich gemacht wurde – sollte das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) tatsächlich in der angekündigten Überprüfung zur Aussetzung der Bundesgarantien gelangen, können sich die "atmosphärischen Störungen" durchaus zu einem Gewitter zusammenbrauen. Diese sind nämlich gerade für mittelständische Exporteure und Investoren von unschätzbarem Wert.
LTO: Was konkret fürchten deutsche Unternehmer, die sich in der Türkei engagieren oder dort investieren wollen?
Nacimiento: In der aktuellen Situation kann man in der Türkei nicht sicher sein, dass das regulatorische Umfeld konstant bleibt – Änderungen sind jederzeit mittels Präsidialdekret möglich. Ebenso könnte die Türkei die Einreisebestimmungen für ausländische Mitarbeiter verschärfen oder das nationale, unabhängige Gerichtssystem auflösen.
Inwieweit diese Sorgen berechtigt sind, kann nur die Zukunft zeigen. Doch allein die Sorge hat bereits unmittelbaren Einfluss auf Investitionsentscheidungen und Handelsbeziehungen, denn das BMWi hat bereits angekündigt, die Ausgabe von Bundesgarantien zu überprüfen und gegebenenfalls ganz einzustellen. Diese Garantien bilden die Basis für viele Investitionen.
"Androhung einer internationalen Schiedsklage reicht oft schon aus"
LTO: Stehen Unternehmen, die investieren wollen, ohne diese Garantien schutzlos da? Inwieweit schützt sie das internationale Investitionsschutzrecht und bietet ihnen auch Rechtsschutzmöglichkeiten, die außerhalb des Machtbereichs des türkischen Präsidenten liegen?
Nacimiento: In der Türkei sind Unternehmen auf internationale Investitionsschutzabkommen angewiesen. Die Türkei hat knapp 100 bilaterale Investitionsschutzabkommen, aber gerade im deutsch-türkischen Abkommen fehlt eine Investor-Staat-Schiedsklausel.
Eine solche würde es deutschen Unternehmen ermöglichen, Schiedsverfahren aufgrund einer Verletzung eines der materiellen Investorenrechte anzustrengen. Im Energiesektor immerhin können deutsche Investoren sich auf den Energie-Charta-Vertrag stützen, der umfänglichen Schutz bietet. Unter Umständen können deutsche Unternehmen ihre Investition über einen anderen EU Mitgliedsstaat strukturieren und so zu einem Schiedsverfahren aus einem anderen bilateralen Investitionsvertrag mit der Türkei gelangen.
Ein Unternehmen kann aber geltend machen, dass der Grundsatz des "Fair and Equitable Treatment" verletzt worden sei. Dieses Gebot der gerechten und billigen Behandlung wird regelmäßig in Investitionsschutzverträgen vereinbart, der Energie Charta Vertrag ist da keine Ausnahme. Unternehmen werden dadurch u.a. vor intransparenten und willkürlichen Maßnahmen des Staates geschützt – also zum Beispiel davor, dass der Staat per Dekret entscheidet, vertragliche Verpflichtungen, die er gegenüber dem Investor zuvor eingegangen war, nicht mehr wahrzunehmen.
LTO: Wie können Unternehmen sich gegen eine Verletzung wehren?
Nacimiento: Wird das Gebot des "Fair and Equitable Treatment" verletzt, ist die wichtigste Möglichkeit für die betroffenen Unternehmen eine Schiedsklage vor einem internationalen Schiedsgericht, soweit es dafür eine rechtliche Grundlage gibt. In vielen Fällen reicht alleine die Androhung einer solchen Klage schon aus, um Gespräche und letztendlich einen Kompromiss zu erreichen.
Daneben kommt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Betracht, der nicht nur Rechtsschutz für Individuen bietet, sondern auch für Unternehmen.
Leider gilt das nur mit Einschränkungen für die Türkei, weil die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten als Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Klage vor dem EGMR die Ausschöpfung des nationalen Rechtsweges vorsieht. Das hat der EGRM in Bezug auf menschenrechtliche Beschwerden von Türken im Zusammenhang mit den "Säuberungen" nach dem Putschversuch bestätigt. Für viele Unternehmen ist das also keine reale Option.
2/2: "Auf vollstreckungsfähige Vermögen außerhalb der Staatsgrenzen zugreifen"
LTO: Wie kann ein Unternehmen einen erwirkten Schiedsspruch in supranationalen Fällen vollstrecken?
Nacimiento: In der New York Convention haben sich 157 Vertragsparteien verpflichtet, Schiedssprüche ohne Berufung anzuerkennen und zu vollstrecken. Möglich bleibt nur eine dort vorgesehene Rechtskontrolle auf wesentliche Verfahrensverstöße und Vereinbarkeit mit der öffentlichen Ordnung durch nationale Gerichte.
Soweit es sich um einen Schiedsspruch nach den Regeln der Konvention des Internationalen Zentrums zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID-Konvention) handelt, kommt eine Vollstreckung auf dieser Grundlage in Betracht: Ein Schiedsspruch hat hiernach den Status eines letztinstanzlichen staatlichen Urteils, so dass in allen Mitgliedstaaten der ICSID-Konvention vollstreckt werden kann. Das einzige Rechtsmittel dagegen ist die Anrufung eines ICSID-Annulment-Komitees, das den Schiedsspruch auf mögliche Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien kontrolliert.
LTO: Gehört auch die Türkei zu den 157 Vertragsparteien? Kann also vollstreckt werden? Und können Sie, die selbst auf der ICSID-Liste der Schiedsrichter und Mediatoren stehen, einschätzen, wie es mit der praktischen Umsetzung aussieht - in einem Staat, in dem sich täglich alles ändern kann?
Nacimiento: "Die Türkei gehört zu den Vertragsstaaten der New York Convention. Die ICSID Konvention ist für die Türkei am 2. April 1989 in Kraft getreten. Daher können deutsche Unternehmen Schiedsverfahren nach dem Energie Charter Vertrag gegen die Türkei gemäß den ICSID Schiedsregeln anstrengen und im Falle des Obsiegens von dem vereinfachten Anerkennungsverfahren profitieren.
Wir beobachten bei der Vollstreckung von Schiedssprüchen gegen Staaten sehr selten, dass im beklagten Staat Vollstreckungsversuche gestartet werden. Viel eher wird mittels darauf spezialisierter Firmen staatliches Vermögen im Ausland ausfindig gemacht, das der Vollstreckung offen steht, also nicht der Staatenimmunität unterliegt, auf die sich der Staat im Vollstreckungsverfahren berufen kann. Wenn auf vollstreckungsfähiges Vermögen der Türkei außerhalb der Staatsgrenzen zugegriffen werden kann, sind sowohl das Drohpotenzial als auch die Chancen der tatsächlichen Befriedigung etwaiger Ansprüche durchaus hoch.
"Investoren nehmen politische Äußerungen nicht automatisch für bare Münze"
LTO: Gehen Sie davon aus, dass die Lage sich zumindest auf der Ebene der Wirtschaft etwas entspannen wird, nachdem die Liste wegen angeblicher „Kommunikationsprobleme“ zurückgezogen wurde? Oder wird nur noch versucht, längst zerbrochenes Porzellan notdürftig zu kitten?
Nacimiento: Trotz der angespannten politischen Lage haben die ausländischen Direktinvestitionen in die Türkei in der ersten Hälfte des Jahres angezogen. Investoren nehmen die politischen Äußerungen aus Ankara also nicht automatisch für bare Münze.
Die türkische Politik weiß, dass sie auf ausländische Investoren angewiesen ist. Vor diesem Hintergrund müssen Äußerungen wie etwa die des türkischen Wirtschaftsministers verstanden werden, der kürzlich zusicherte, deutsche Investitionen in der Türkei seien sicher.
Dr. Patricia Nacimiento ist Partnerin bei Herbert Smith Freehills und leitet die deutsche Praxisgruppe Dispute Resolution. Sie ist auf internationale Rechtsstreitigkeiten spezialisiert, insbesondere Investitionsstreitigkeiten. Die Bundesregierung hat sie seit 2007 für die Liste der Schiedsrichter und Mediatoren bei der ICSID benannt, der Schiedsorganisation der Weltbankgruppe. Daneben ist sie Herausgeberin mehrerer Kommentare zur Schiedsgerichtsbarkeit und Lehrbeauftragte an den Universitäten Heidelberg, Frankfurt und Saarbrücken.
Die Fragen stellte Pia Lorenz.
Pia Lorenz, Investitionsschutz in der Türkei: "Das Recht schützt die Unternehmen –auch gegen Präsidialdekrete" . In: Legal Tribune Online, 28.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23699/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag