Das Europäische Parlament hat sich gegen die bisher geplanten TTIP-Schiedsgerichte ausgesprochen und Alternativen vorgeschlagen. Bernhard Fröhler über Vorbehalte und Kritik an einem Konzept, das ursprünglich ein deutsches ist.
Die im Rahmen des Transatlantischen Freihandelsabkommens (TTIP) anvisierten privaten Schiedsgerichte waren vielen von Anfang an ein Dorn im Auge. Gerade deutsche Stimmen sehen in ihnen einen Angriff auf die Freiheit der Demokratie. So sprach sich Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) gegen ihre Einführung aus und stützte sich hierbei unter anderem auf ein Gutachten des Erlanger Rechtsprofessors Markus Krajewski. Zwei Münchner Professoren halten eine solche private Schiedsgerichtsbarkeit sogar für verfassungswidrig. Verfolgt man die tagespolitische Debatte, so findet sich diese Haltung gegenüber der bisherigen Investor-Staat Streitbeilegung (ISDS) auch in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung.
Was einigen Kritikern nicht bekannt sein dürfte: das Instrument der privaten Schiedsgerichte, das scheinbar die westliche Demokratie bedroht, stammt ursprünglich sogar aus Deutschland und wurde hier im Zuge der vielen bilateralen Abkommen beständig erweitert. Doch was ursprünglich dem Schutz nationaler Interessen dienen sollte, fällt dem Staat inzwischen selbst vor die Füße.
Neuen Diskussionsstoff für die Kritiker könnte eine unverbindliche, aber politisch einflussreiche Empfehlung des Europäischen Parlaments an die Kommission sein, welche die Verhandlungen mit den USA führt. So schlugen die Abgeordneten Anfang Juli vor, die geplanten privaten Schiedsgerichte durch ein System zu ersetzen, das weitestgehend den streng reglementierten nationalen Instanzenzügen und Besetzungen entspricht. Obgleich dieser Vorschlag das Risiko hoher Schadensersatzzahlungen nicht eliminiert, könnte er zumindest einigen verfassungsrechtlichen Bedenken der Kritiker entgegen kommen.
Schiedsgerichte – eine deutsche Idee
Den Grundstein hierfür legte schon das erste bilaterale Investitionsschutzabkommen (BIT), welches zwischen der BRD und Pakistan im Jahr 1959 geschlossen wurde, viele weitere Abkommen folgten. Da die Rechtsschutzmöglichkeiten der Vertragspartner oftmals nicht den eigenen Vorstellungen entsprachen, bedurfte es einer Möglichkeit der neutralen Streitbeilegung außerhalb des "fremden" Rechtssystems. Inzwischen hat allein Deutschland über 130 solcher Investitionsschutzabkommen vereinbart, um die Investitionen im Ausland zu fördern und zu schützen.
Eines der drei gängigsten Systeme der Beilegung sog. Investor-Staat Streitigkeiten wurde 1965 mit der sog. ICSID-Konvention etabliert, der mittlerweile 150 Staaten beigetreten sind. Der bei der Weltbank angesiedelte ICSD-Schiedsgerichtshof besteht aus entscheidenden Spruchkörpern, welche für jede Streitigkeit ad-hoc, also tagesaktuell zusammengestellt werden. Jeder Spruchkörper besteht regelmäßig aus drei Richtern, wobei jede Partei einen Richter bestimmt und der dritte konsensual benannt wird.
Zwar steht den Investoren regelmäßig auch der Weg zu nationalen Gerichten des Gaststaates offen. Der besonderen Reiz der privaten Schiedsgerichte liegt jedoch darin, dass ihre Schiedssprüche in allen Konventionsstaaten vollstreckbar sind, sie aber grundsätzlich keiner nationalstaatlichen Überprüfung unterliegen.
2/2: Sinneswandel in Zeiten von Vattenfall I und II
Gerade diese Mechanismen eines unabhängigen Schiedsgerichts verlieren jedoch schnell ihren Charme, wenn man erfährt, dass der Investitionsschutz keine Einbahnstraße ist. So wurde die Bundesrepublik in den letzten Jahren gleich zweimal von Vattenfall vor dem ICSID-Schiedsgericht verklagt. Unter anderem wegen des von der Regierung beschlossenen Atomausstiegs könne der Konzern seine Investitionen nicht wie geplant nutzen, so die Begründung. Dabei geht es um mindestens dreistellige Millionenbeträge. Die Rechtssache Vattenfall I wurde mittlerweile durch einen Vergleich beigelegt.
In diesen Verfahren zeigt sich, dass nicht nur willkürliche staatliche Enteignungen in vermeintlich "rechtsfreien Drittstaaten" möglich sind, welche den Planungen der Investoren und ihrem (möglicherweise) berechtigtem Vertrauen entgegenlaufen. Auch legitime nationalstaatliche Gesetzesänderungen, wie beispielsweise die Energiewende nach Fukushima, können souveräne Staaten schadensersatzpflichtig machen.
Eben hier sehen die Gegner des ISDS-Systems einen Feind der Demokratie. Die ad-hoc Gerichte, die auch im Rahmen von TTIP geplant sind, sollen in teils nicht-öffentlichen Verfahren über Schadensersatzklagen von Wirtschaftsunternehmen entscheiden und zu Zahlungen verurteilen, welche bis in die Milliarden gehen können. Vielfach wird befürchtet, dieses Damoklesschwert könnte den demokratischen Gesetzgeber von seiner Tätigkeit abhalten.
Auch wenn das Beispiel von Deutschland zeigt, dass eine drohende Klage den Atomausstieg und damit den Grund für Vattenfall II keinesfalls verhindert hat, mag diese Befürchtung doch auf Verständnis stoßen. Ob es denn wirklich zu einer Lähmung des Gesetzgebers käme, kann dahinstehen. Im Bereich eines demokratischen Systems ist es nachvollziehbar, schon den bösen Schein vermeiden zu wollen.
EU-Parlament nimmt Befürchtungen ernst
In der Abstimmung vom 8. Juli 2015 hat sich das Europäische Parlament zwar grundsätzlich für das Abkommen selbst ausgesprochen. Zugleich hat es jedoch gefordert, das darin enthaltene ISDS durch ein neues System zu ersetzen. So sollen keine ad-hoc Richter mehr entscheiden, sondern öffentlich bestellte Berufsrichter. Damit sollen die Unwägbarkeiten, welche mit immer neu zusammengesetzten Spruchkörpern verbunden wären, vermieden werden. Zudem soll eine bislang bei den bisherigen privaten Schiedsgerichten regelmäßig nicht vorgesehene Berufungsinstanz eingerichtet werden. Diese Modifikation soll zusammen mit der Etablierung ständiger Berufsrichter gewährleisten, dass die Entscheidungen inhaltlich kohärent sind.
Auch diese Neuerungen beseitigen natürlich nicht die Gefahr, dass ein Staat zu hohen Strafzahlungen verurteilt wird. Für einen effektiven Investitionsschutz ist die Möglichkeit, Schadensersatz zu erhalten, aber schlicht notwendig. Ein entsprechendes Urteil sollten jedoch zumindest gänzlich unabhängige Richter in einem transparenten Verfahren fällen, so der Gedanke der Brüsseler Politiker. Auch verspricht die Berufungsmöglichkeit ein "Mehr" an Rechtsstaatlichkeit.
Die Verhandlungen mit den USA zu TTIP werden auf Seiten der Europäischen Union zwar von der Kommission geführt. Da das Abkommen letztlich jedoch auch vom Parlament abgesegnet werden muss, ist zu erwarten, dass die Kommission die Inhalte der nach Artikel 288 AEUV unverbindlichen Empfehlung in ihre Verhandlungen zu TTIP mit aufnehmen wird. Bereits im vergangenen Jahr wurde bekannt, dass die Kommission eine Streichung der Schiedsgerichte aus dem TTIP-Entwurf erwäge.
Der Autor ist Rechtsreferendar am Oberlandesgericht München und absolviert derzeit seine Wahlstation bei einer deutschen Landesvertretung in Brüssel. Er war von 2011 bis 2014 Mitarbeiter am Centrum für Europarecht an der Universität Passau e.V. (CEP).
Bernhard Fröhler, EU-Parlament lehnt TTIP-Schiedsgerichte ab: Wer hat's erfunden? . In: Legal Tribune Online, 01.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16756/ (abgerufen am: 18.04.2024 )
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