Nach umstrittenen Plänen: Grön­land, Geo­po­litik und freie Fahrt durch die Arktis

Gastbeitrag von Dr. Felix Werner

31.01.2025

Das Tauziehen um Grönland dauert an. Neben militärischen Aspekten geht es um die zukünftige kommerzielle Nutzung der Arktis für den Abbau von Bodenschätzen und die Schifffahrt. Felix Werner erläutert die völkerrechtlichen Regeln.

Wohl in keiner anderen Region auf der Welt sind die Auswirkungen der Erderwärmung so deutlich spürbar wie auf der Arktis. Durch den Temperaturanstieg schmilzt das Eis im Nordpolarmeer seit Jahrzehnten – mit deutlichen Auswirkungen für die Menschen und die Ökosysteme. Die Eisschmelze führt aber auch dazu, dass Seewege in den arktischen Gewässern, die bisher unzugänglich waren, in Zukunft befahren werden können. Das gleiche gilt für den Abbau von Rohstoffen.

Der völkerrechtliche Status der Arktis ist umstritten. Verschiedene Anrainerstaaten einschließlich der USA, Kanada, Russland und Dänemark versuchen auf unterschiedliche Weise, ihren Einfluss zu vergrößern – etwa durch Stationierung von Truppen. Aber auch Ansprüche auf Schiffsrouten und vermutete Bodenschätze werden erhoben.  

Aufgrund seiner geographischen Lage hat Grönland dabei eine große Bedeutung. Es kommt deshalb nicht von ungefähr, dass das Interesse von US-Präsident Donald Trump auch nach der Inauguration fortbesteht. Ob das mit dem Selbstbestimmungsrecht der Grönländer vereinbar ist, hat Prof. Dr. Matthias Goldmann bereits im LTO-Interview erläutert. Welche völkerrechtlichen Regeln gelten in der Arktis etwa zur Rohstoffgewinnung – und wie kann man das Gewässer für die kommerzielle Schifffahrt nutzen?

Grönland als Teil Dänemarks

Grönland war seit 1721 eine dänische Kolonie und ist seit 1953 Teil des dänischen Königreichs mit weitreichender Selbstverwaltung. Die grönländischen Bodenschätze werden dabei zusammen mit Dänemark verwaltet. Sowohl zu Land als auch im Meer werden reiche Vorkommen an Öl, Gold, Platin und Uran aber auch seltenen Erden wie Neodym vermutet. Diese haben in der Batterie-, Solar- und Windkrafttechnologie hohe Bedeutung und sind daher im Rennen um zukünftige Technologien besonders interessant.

Das Interesse der USA an der größten Insel der Welt ist nicht neu. Kaufabsichten wurden schon in den Jahren 1860, 1946, 1960 und 2019 geäußert. Im Zweiten Weltkrieg war Grönland für die USA von hoher militärischer Bedeutung. Dies blieb auch über den Kalten Krieg hinaus bis heute so. Aufgrund der vermuteten Bodenschätze hat auch die Volksrepublik China – bisher erfolgslos – versucht, Minen zu errichten und Marinestützpunkte zu erwerben.

Bedeutung der Arktis-Routen für den kommerziellen Schiffsverkehr  

Die Debatte um die kommerzielle Schifffahrt durch die Arktis dauert bereits länger an. Die Routen durch die Arktis sind für den kommerziellen Schiffsverkehr besonders interessant, weil sie im Vergleich zu den sonstigen Schifffahrtswegen insbesondere zwischen der Ostküste der USA bzw. Europa und Asien durch den Panama- und Suezkanal deutlich kürzer sind.

Es existieren mehrere Routen durch die Arktis: die sogenannte Northern Sea Route nördlich von Russland und die Northwest Passage entlang der kanadischen arktischen Insel. Russland bzw. Kanada betrachten (Teile) dieser Route jeweils als ihr Hoheitsgebiet.  

In naher Zukunft zwischen 2030 und 2050 soll die sogenannte Transpolar Sea Route (TSR) entlang Grönlands östlicher Küste als erste eisfreie Route nutzbar sein. Diese wäre dann auch die kürzeste Route zwischen Europa und Asien. Hinzu kommt, dass sie durch ihr tieferes Gewässer größere Schiffe als die anderen Routen erlauben würde. Diese sind bisher durch ihr teils niedriges Fahrwasser im Vergleich zum Suezkanal, der jede Schiffsgröße erlaubt, für die kommerzielle Schifffahrt weniger attraktiv.

Völkerrechtliche Regeln zur Nutzung der Arktis

Anders als für die Antarktis gibt es für die Nutzung der Arktis und des arktischen Ozeans keinen eigenen völkerrechtlichen Vertrag. Stattdessen greift das allgemeine Seevölkerrecht, insbesondere das Seerechtsübereinkommen (SRÜ) aus dem Jahre 1982.  

Ob und unter welchen Voraussetzungen Schiffe durch die Meere navigieren und Ressourcen aus dem Meer und Meeresboden gewonnen werden dürfen, hängt nach dem SRÜ maßgeblich davon ab, ob es sich um Innere Gewässer (Art. 8 SRÜ), Küstenmeere (Art. 2 ff. SRÜ), Anschlusszonen (Art. 33 SRÜ), Ausschließliche Wirtschaftszonen (Art. 55 ff. SRÜ), Festlandsockel (Art. 76 ff. SRÜ) oder die Hohe See handelt (Art. 86 ff. SRÜ).  

Im Grundsatz nimmt die Kontrolle des Küstenstaats mit zunehmender Entfernung von der Küste ab. Es gibt somit Abstufungen zwischen voller territorialer Souveränität (Innere Gewässer), eingeschränkter Souveränität (Küstenmeer) und funktional begrenzter Hoheitsmacht (Anschlusszone, Ausschließliche Wirtschaftszone und Festlandsockel). Die Hohe See unterliegt keiner staatlichen Hoheit. Das SRÜ garantiert im Grundsatz das Recht der friedlichen Durchfahrt durch Küstenmeere.

Rechte der Küstenstaaten in Ausschließlichen Wirtschaftszonen

Die Anwendung dieser Kategorien des SRÜ ist in der Praxis sehr streitbefangen. Dies zeigt exemplarisch der nicht beigelegte Streit zwischen den USA und Kanada über die Northwest Passage. Kanada betrachtet die Northwest Passage als Inneres Gewässer. Die USA hingegen sehen sie als Küstengewässer, durch die etwa Transitfahrten von Kriegsschiffen möglich sind.

Bezüglich der TSR ist das Recht zur Durchfahrt von Schiffen voraussichtlich weniger streitbefangen. Denn diese Route verläuft überwiegend durch Ausschließliche Wirtschaftszonen oder Festlandsockel von Russland, Island, Norwegen, die USA (Alaska) und Grönland bzw. Dänemark. Diese decken schätzungsweise 60 Prozent des arktischen Ozeans ab.  

Innerhalb der Ausschließlichen Wirtschaftszonen steht den Küstenstaaten im Grundsatz das Recht zur Erforschung, Ausbeutung, Erhaltung und Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen der Gewässer über dem Meeresboden, des Meeresbodens und seines Untergrundes zu. Außerdem dürfen Küstenstaaten die Zone auch anderweitig wirtschaftlich nutzen, etwa um Energie aus Wasser, Strömung und Wind zu erzeugen.  

Demnach dürfte der Küstenstaat etwa Bohrinseln sowie Offshore-Windparks errichten und Fischerei betreiben. Zudem üben die Küstenstaaten gewisse Hoheitsrechte aus, etwa zum Schutz der Meeresumwelt. Ähnliches gilt bei der Ausbeutung des Meeresbodens auch für den Festlandsockel. Die Öffnung der TSR für die kommerzielle Nutzung bietet in der Region um den Nordpol für die Küstenstaaten also attraktive Öl- und Gasfördermöglichkeiten sowie Fischereirechte.

Ausschließliche Wirtschaftszonen schränken freie Durchfahrt nicht ein

Das Recht zur Durchfahrt von Schiffen wird durch Ausschließliche Wirtschaftszonen oder Festlandsockel grundsätzlich nicht eingeschränkt. Im Notfall – etwa bei einer Verschiebung der Eisplatten – könnte ein Schiff von der TSR aber in ein Küstengewässer ausweichen müssen und daher den dortigen Gesetzen unterworfen sein.  

Nicht zuletzt wird befürchtet, dass Russland oder andere Küstenstaaten auf dem Gebiet ihrer Ausschließlichen Wirtschaftszonen oder sogar auf Hoher See über ihrem Festlandsockel entgegen dem SRÜ versuchen werden, nationale Gesetze zur Regelung des Schiffsverkehrs durchzusetzen.

Umso interessanter wird es für den internationalen Schiffsverkehr, die TSR eher westlicher, Richtung Grönland und damit zu einem großen Teil durch die Ausschließliche Wirtschaftszone Grönlands zu befahren. Damit kommt Grönland auf einem großen Teil der TSR eine geopolitisch interessante Schlüsselrolle zu.

Einhaltung des Seevölkerrechts hängt von Machtfaktoren ab

Bis die Arktis voll kommerziell nutzbar ist, wird es zwar noch einige Jahre dauern. Der Wettlauf um die geopolitische Hoheit und die arktischen Ressourcen hat aber bereits begonnen. Dieses Tauziehen findet in einem hochkomplexen Regelungsregime für die kommerzielle Nutzung statt. Staaten versuchen hier auf verschiedenen Wegen, sich Vorteile zu verschaffen, um den völkerrechtlichen Rahmen zu nutzen.

Gleichzeitig hängen die Umsetzung und Einhaltung des Seevölkerrechts stark von Machtfaktoren und dem Willen der beteiligten Küstenstaaten zu einer konsensualen Lösung ab. Der sogenannte Arktische Rat (Arctic Council) kann zur konstruktiven Zusammenarbeit der Staaten in der Arktis beitragen. Dieses zwischenstaatliche Forum ist vor allem für Fragen der nachhaltigen Entwicklung und des Umweltschutzes in der Arktis zuständig.  

Das SRÜ gibt den Rechtsrahmen vor. Es sieht etwa auch einen Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten vor, der zu einer bindenden Entscheidung des Internationalen Seegerichtshofs, des Internationalen Gerichtshofs oder eines internationalen Schiedsgerichts führen kann. Angesichts der zunehmenden geopolitischen Spannungen und der Tatsache, dass die USA das SRÜ bis heute nicht ratifiziert haben, dürfte die Situation in der Arktis auch in der Zukunft konfliktträchtig bleiben.

Dr. Felix Werner ist Senior Associate im Bereich Compliance & Investigations bei Hogan Lovells in Berlin.

Der Autor dankt dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Herrn Ingo Simon für die Unterstützung bei der Erstellung dieses Beitrags. 

Zitiervorschlag

Nach umstrittenen Plänen: . In: Legal Tribune Online, 31.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56492 (abgerufen am: 11.02.2025 )

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