Ein gutes True-Crime-Format vermittelt neben Grusel auch Wissen. Oft liegen der Unterhaltung echte Fälle zugrunde. Da redet gerne jeder mit, der das Wort Strafrecht schon mal gehört hat. Lorenz Bode wünscht sich mehr Sachlichkeit.
True Crime sells. Die Bevölkerung gruselt sich gern – egal, ob im Live-Talk mit dem Rechtsmediziner oder im Podcast mit der Gerichtsreporterin – Hauptsache: Mord, am besten garniert mit etwas Sex. Das wahre Verbrechen – da kann und will jeder mitreden. Oft wirkt das Strafrecht mit seinen formal-juristischen Vorgaben bei diesem Spektakel eher störend. Es ist jedoch wichtig, auch über das Strafrecht, die Justiz und darüber zu reden, wo die schauerliche Unterhaltung mit True-Crime-Formaten an ihre Grenzen stößt.
True-Crime-Formate handeln – wie der Name schon sagt – von wahren Verbrechen. Es werden meist Kriminalfälle besprochen. Gern greift man dabei auf Gerichtsentscheidungen, insbesondere auf Urteile der Schwurgerichte zurück. Spätestens seit Erscheinen der ersten Geschichten von Bestseller-Autor Ferdinand von Schirach ist klar, dass Strafurteile eine hervorragende Grundlage und die amtlichen Entscheidungssammlungen einen reichhaltigen Fundus für True-Crime-Storys bilden.
Der Sinn von Urteilen
Wenn man Strafurteile heranzieht, sollte man allerdings Folgendes bedenken:
Es ist weder die Aufgabe noch die Funktion eines Strafurteils, eine möglichst spannende Mordgeschichte zu erzählen oder gar ein moralisches Werturteil über Menschen zu fällen. Auch ist das Urteil kein Bericht einer Historikerkommission und es fällt bisweilen kürzer aus, als es sich Angehörige oder Opfer wünschen, denn ein Wortprotokoll ist es ebenso wenig.
Vielmehr geht es beim Strafrecht um Rechtsgüterschutz. Strafurteile dienen dem Rechtsfrieden. Zugleich sind sie als Arbeitsleistung des Gerichts anzusehen und mithin Justizhandwerk. Sie werden aber auch im Namen des Volkes gesprochen und sind damit Allgemeingut. Man kann sie bewerten, sie für abwegig halten oder eine Entscheidung ausdrücklich begrüßen. Das steht jedem frei. Vorsicht sollte man jedoch walten lassen, wenn es um die gerichtliche Beweiswürdigung geht. Es gilt der bekannte Satz: "Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters" (BGH, Urt. v. 26.10.2016, Az. 2 StR 275/16). Und dieser Satz betrifft nicht nur das Revisionsgericht, sondern – zumindest mittelbar – auch True-Crime-Formate. Nur allzu leicht schwingen sich dort Experten dazu auf, das von unabhängigen Richterinnen und Richtern gefundene Ergebnis durch die eigene Beweiswürdigung zu ersetzen. Das kann überheblich wirken.
Ein Todesfall im Mordprozess
Die Ausdrucksweise macht viel aus. Um sicher sagen zu können, ob jemand schuldig und der Täter ist, sollte man die Aburteilung, besser gesagt die Rechtskraft des Urteils abwarten. Dabei darf nicht übersehen werden, dass Schuld und Täterschaft nicht generell, sondern nur grundsätzlich Hand in Hand gehen. Auch kann das Verfahren – trotz Freispruchs – für den schuldunfähigen Täter in einer geschlossenen Einrichtung, namentlich dem Maßregelvollzug enden (exemplarisch LG Essen, Urt. v. 10.10.2019, Az. 26 KLs-12 Js 1958/18-6/19: "Der Angeklagte wird freigesprochen. Seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wird angeordnet").
Apropos enden: Ende gut, alles gut – das ist eine Formel, die weniger zu Strafurteilen als zu Kriminalgeschichten passt. Es gibt viele Umstände, die dazu führen können, dass ein Verfahren von diesem Vorstellungs- und Erwartungsbild abweicht. So kann es sein, dass ein Mordprozess mit einer bloßen Verfahrenseinstellung endet, wenn der Angeklagte zwischenzeitlich verstirbt. Bedrückend und zugleich sehr anschaulich ist hier der Fall Demjanjuk. John Demjanjuk diente als sogenannter Hilfswilliger der SS und soll als Aufseher im Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen eingesetzt gewesen sein. Dafür wurde er angeklagt. 2011 verurteilte ihn das Landgericht München II wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren. Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt. Noch bevor der Bundesgerichtshof über die Revision entscheiden konnte, verstarb Demjanjuk im Jahr 2012. Das Urteil gegen ihn wurde also nie rechtskräftig.
Von Gerichtsreportern, Rechtsmedizinern und der Polizei
Es gibt Menschen, die zwar berufsmäßig am Strafverfahren mitwirken oder es begleiten, aber nicht die Abschlussentscheidung treffen. Dass das so ist, ist im Sinne staatlicher Gewaltenteilung nur richtig und gut. Es sagt nichts über den Wert ihrer Arbeit aus. Im Gegenteil: Die Justiz braucht den Sachverstand der Rechtsmedizinerin ebenso wie die kriminalistische Erfahrung des Polizeibeamten. Und die Gerichtsreporterin ist in ihrer Funktion als "Watch Dog" wichtig, um dem Staat und seinen Institutionen im Bereich des Strafrechts auf die Finger zu schauen. Im Rahmen von True-Crime-Formaten treten diese Personen ebenso wie Richterinnen und Richter oder Staatsanwältinnen und Staatsanwälte gern und zu Recht als Experten auf.
Ein gutes True-Crime-Format lebt davon, dass es neben Grusel auch Wissen vermittelt und die Menschen darüber aufklärt, was das Strafrecht und die einzelnen Verfahrensbeteiligten zu leisten im Stande sind. Denn – und das ist der entscheidende Punkt – True Crime passiert nicht im luftleeren Raum. Es handelt sich meist um Strafverfahren. Für diese gibt es Spielregeln, namentlich die Strafprozessordnung. Experten wissen das. Und sie wissen auch, dass diese Spielregeln ihren Sinn und Zweck haben und nicht zuletzt hart erkämpft sind.
Sie sollten das Format daher verstärkt als Möglichkeit zur Wissensvermittlung und Aufklärung nutzen. Denn klar ist: In einem Strafverfahren gehört es dazu, schwierige Entscheidungen zu treffen, es können sogar Fehler passieren. Klar ist aber auch: Dieser Umstand war dem Gesetzgeber bewusst. Er hat deshalb verschiedene rechtliche Mechanismen vorgesehen, etwa den Instanzenzug oder den sogenannten Richtervorbehalt bei Ermittlungsmaßnahmen. Nur vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, warum nicht jeder Fehler ein Skandal und nicht jede Urteilsaufhebung oder Wiederaufnahme ein kritikwürdiger Vorgang ist. Mehr noch: Gerade die kritischen Fälle zeigen, dass unser Strafrechtssystem funktioniert und die Kontrolle gewährleistet ist.
Opfer und Moral
Eine vielfach gegen True-Crime-Formate erhobene Kritik lautet: Die Opferperspektive kommt zu kurz. Auch werden True-Crime-Formate bisweilen als moralisch verwerflicher Täterkult bezeichnet. So schrieb etwa die taz in Bezug auf die Netflix-Serie "Monster", die vom US-Serienmörder Jeffrey Dahmer handelt, Folgendes:
"Zusammen mit Ted Bundy gehört Dahmer zu den beliebtesten Serienmördern der Welt, und so makaber es ist, in diesem Kontext von ´beliebt` zu sprechen, so treffend ist es leider auch. Denn für viele treten seine grausamen Verbrechen in den Hintergrund, obwohl der 1960 geborene Dahmer von 1978 bis 1991 17 Männer ermordete, die größtenteils Schwarz oder People of Color waren. Danach stellte er unbeschreibliche Dinge mit ihren Leichen an, aß sie teilweise sogar. Wie kann es da sein, dass sich die (primär weiblichen) Fans so ungerührt davon zeigen?"
Manchen True-Crime-Formaten fehlt die Opferperspektive ebenso wie die Sachlichkeit. Besonders bedrückend wird es jedoch, wenn nicht nur eine moralische, sondern auch eine rechtliche Grenze bei diesem Format überschritten wird. Die Persönlichkeitsrechte sind zu wahren – opfer- wie auch täterseitig. Gut folgen lässt sich hier der Auffassung des bekannten Medienanwalts Christian Schertz. Er konstatiert, dass Opfer regelmäßig keine Personen der Zeitgeschichte seien. Und Täter könnten sich, was den Schutz ihres Persönlichkeitsrechts angeht, sogar auf das Bundesverfassungsgericht, namentlich auf die berühmte Lebach-Entscheidung (Urt. v. 05.06.1973. Az. 1 BvR 536/72) berufen. In dem Urteil heißt es:
"Die Ausstrahlungswirkung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Persönlichkeit läßt es jedoch nicht zu, daß die Kommunikationsmedien sich über die aktuelle Berichterstattung hinaus zeitlich unbeschränkt mit der Person eines Straftäters und seiner Privatsphäre befassen. Vielmehr gewinnt nach Befriedigung des aktuellen Informationsinteresses grundsätzlich sein Recht darauf, ‚allein gelassen zu werden‘ (…)“.
Darüber hinaus steht für Opfer und Angehörige die Gefahr einer Retraumatisierung im Raum. Fehlende Sachlichkeit kann schließlich auch für Unbedarfte toxisch wirken.
Too good to be true?
True Crime bleibt beliebt und dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Doch wäre mehr Sachlichkeit wünschenswert und vor allem mehr Wahrheitsgehalt und Aufklärung über die strafrechtlichen und justiziellen Gegebenheiten (vorbildlich: strafstation.berlin – der neue Podcast der Staatsanwaltschaft Berlin). Denn – Unterhaltung hin oder her – Falschdarstellungen schaden nicht zuletzt dem Vertrauen in unseren Rechtsstaat.
Dr. Lorenz Bode ist Proberichter und lebt in Magdeburg.
Die Grenze von True-Crime-Formaten: . In: Legal Tribune Online, 25.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53263 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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