Die Diskussion um Transitzonen ist nicht neu – bloß wurden sie früher als "Auffanglager" bezeichnet. Rechtliche Garantien lassen sich dort selbst in der Theorie nur schwer verwirklichen, meint Timo Tohidipur. Von der Praxis ganz zu schweigen.
Die deutsche Diskussion über die Einrichtung von sog. "Transitzonen" klingt begrifflich zunächst eher harmlos, etwa nach einem kurzen Zwischenstopp auf einer Reise. Sie birgt aber nichts anderes als die alte Idee von extraterritorialen Auffanglagern für Schutzsuchende an deutschen Grenzen oder EU-Außengrenzen. Hier drohen rechtsstaatlich fragwürdig verkürzte Verfahren, deren schnelle Durchführung in Gegenden ohne geeignete Infrastruktur stattfinden, auf den Schultern von überfordertem Personal lasten werden und deren Kosten zudem unabsehbar sind.
Dies gefährdet die mühsam errungenen Rechtsgarantien des internationalen und europäischen Menschen- bzw. Flüchtlingsschutzes, die gerade Teil des in Art. 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) niedergelegten Wertesystems sind, auf welches die Staaten der EU sich sonst mit Vorliebe berufen.
Bislang nur Flughafentransit konkret geregelt
Der rechtliche Rahmen zur Errichtung von Transitzonen ist vage, aber doch vorhanden. In Deutschland spielt der Begriff "Transit" bislang vor allem im Aufenthaltsgesetz eine Rolle, nämlich bei den Vorschriften zum Flughafentransit, einem speziellen Verfahren nach Ankunft von Flüchtlingen auf dem Luftwege. In diesen, eher seltenen Fällen, findet eine erste Prüfung des Antrages auf Schutz in einem gesonderten Bereich statt, der zwar noch vor der offiziellen Einreise ins Land liegt, für den die deutschen Behörden aber gleichwohl hoheitlich zuständig sind.
Die Genfer Flüchtlingskonvention GFK kennt den Begriff der Transitzonen nicht, doch der Visakodex der EU und die Aufnahmerichtlinie erwähnen Transitzonen zum Teil auch ohne Bezug zum Flugverkehr. Am spezifischsten äußert sich die europäische Asylverfahrensrichtlinie (AsylverfRL, Richtlinie 2013/32/EU), deren Art. 43 insbesondere festlegt, dass Verfahren "an der Grenze oder in Transitzonen" zunächst ohne Einschränkung nach den üblichen rechtsstaatlichen Grundsätzen und Garantien der Asylverfahrensrichtlinie (Verweis auf Kapitel II der RL) stattfinden müssen. Eine deutliche Definition des Begriffs "Transitzone" enthält die Richtlinie zwar nicht, doch sie konturiert immerhin Rahmenbedingungen – eine Transitzone wäre also kein rechtliches Niemandsland.
Für die Beurteilung ihrer Zulässigkeit kommt es naturgemäß auf die praktische Umsetzung an. Grundsätzlich stehen hierzu zwei Modelle im Raum: Einerseits die Einrichtung von Transitzonen an den Grenzen Deutschlands, andererseits die Behandlung von Asylanträgen bereits an den Außengrenzen der EU.
Transitzonen an deutschen Grenzen
Für Transitzonen an der Grenze Deutschlands wird das Flughafenverfahren als Muster genannt. Es sieht vor, dass ein Asylsuchender im Transitbereich des Flughafens verbleibt, bis über die Erfolgsaussichten seines Antrages vorab entschieden wird. Das Bundesverfassungsgericht hatte hierzu jedoch vor knapp 20 Jahren betont, dass das Flughafenverfahren sich wesentlich vom regulären Verfahren unterscheide (v. 14.05.1996, Az. 2 BvR 1516/93).
Die Prüfung des Asylantrages innerhalb kürzester Zeit verstärke die ohnehin fragile Situation der Schutzsuchenden; zur psychisch und physisch belastenden Flucht kämen mangelnde Sprachkenntnisse, fremde kulturelle und soziale Gegebenheiten und unbekannte Behördenregeln und Verfahrensabläufe hinzu. Dies müsse durch hinreichend sachkundiges Personal, Dolmetscher und effektiven Rechtsbeistand kompensiert werden. Das Konzept des Flughafenverfahrens ist bis heute umstritten, es bleibt jedenfalls in der Gesamtschau eine Ausnahme. Durch die Übertragung dieses Verfahrens auch auf den Landweg würde die Ausnahme jedoch zur Regel werden.
Rechtliche Anforderungen im Asylverfahren
Die Asylverfahrensrichtlinie erlaubt den Mitgliedstaaten grundsätzlich ein im Regelfall auf vier Wochen begrenztes beschleunigtes Verfahren über Anträge auf internationalen Schutz in "Transitzonen", bevor eine Einreise erlaubt wird (vgl. Art. 43 Abs. 2 AsylverfRL). Dies kann gemäß Art. 31 Abs. 8 b der AsylverfRL insbesondere Menschen aus sog. "sicheren Herkunftsstaaten" betreffen, wo die Vermutung fehlender Schutzbedürftigkeit seitens der Antragsteller nur schwer entkräftet werden kann. Die Festlegung sicherer Herkunftsstaaten ergibt sich nach deutschem Recht aus Art. 16a Abs. 3 Grundgesetz (GG) i.V.m. § 29a Abs. 1 und 2 AsylVfG i.V.m. Anlage II.
Das von Deutschland ins Europarecht übertragene Konzept ist jedoch äußerst fragwürdig – so hat zuletzt das Verwaltungsgericht (VG) Oldenburg die Flüchtlingseigenschaft einer Schutzsuchenden aus dem "sicheren" Mazedonien anerkannt (VG Oldenburg Urt. v. 18.09.2015, Az. 6 A 32/15). Überdies hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und in der Folge auch mitgliedstaatliche Gerichte in Deutschland und Österreich Dublin-Rückführungen nach Griechenland und Ungarn wegen der dortigen menschenrechtlichen Situation für unzulässig erklärt (vgl. VG Berlin, Urt v. 15.01.2015, 23 L 899.14 A). Von wirklicher Sicherheit kann also nicht mal innerhalb der Mitgliedstaaten der EU in allen Fällen die Rede sein.
2/2: Viel Aufwand, geringer Nutzen, noch geringeres Schutzniveau
Mit Blick auf Verfahren in Transitzonen verlangt Art. 12 AsylverfRL auch Garantien für Antragsteller, hauptsächlich in Form von unentgeltlicher sofortiger sprachlicher Unterstützung, Kontakt zu praktischer Beratung (z.B. UNHCR) und unentgeltlichem Zugang zu Rechtsanwälten oder sonstigen Rechtsberatern. Besondere Garantien gelten für unbegleitete Minderjährige nach Art. 25 AsylverfRL.
Die Mitgliedstaaten dürfen Antragsteller auch nicht schon deswegen in Gewahrsam nehmen, weil ein Antrag auf Schutz gestellt wird.
Das bedeutet im Gegenzug, dass ein Verbleib von Schutzsuchenden in der Transitzone nach Entscheidung der Behörden eine Freiheitsentziehung darstellt. So verlangt Art. 26 der AsylverfRL – ebenso wie das BVerfG im Fall des Flughafenverfahrens (BVerfG Beschl. v. 23.10.2014, Az. 2 BvR 2566/10) – eine richterliche Entscheidung. Dies birgt auch logistisches Konfliktpotenzial, wenn z.B. für abgelehnte Schutzsuchende ein Abschiebungshindernis besteht oder der Herkunftsstaat eine Wiederaufnahme verweigert. Auch die Dublin III-Verordnung, wonach eigentlich in jedem Einzelfall zu prüfen wäre, welcher Mitgliedstaat für die weitere Behandlung zuständig ist, lässt sich mit einer Eilentscheidung in der Transitzone schwerlich vereinbaren.
Die rechtlichen und politischen Vor- und Nachteile sollten frühzeitig abgewogen werden. Die Errichtung von Transitzonen würde behördliche Infrastrukturen in grenznahen Kommunen erfordern, die zu diesem Zweck umfunktioniert oder erst noch gebaut werden müssten. Ortsnaher gerichtlicher Rechtschutz und rechtliche Vertreter sowie Dolmetscher, ganz zu schweigen von medizinischer und sonstiger Versorgung, müssten durchweg vor Ort gewährleitet sein. Die sog. grüne Grenze müsste umfassend kontrolliert werden, da sonst die Transitstellen von Schutzsuchenden umgangen würden.
Zugleich könnte dies dazu führen, dass grenznahe Kommunen überlastet sind, während Kapazitäten im inneren des Landes, wie zurzeit in München, ungenutzt bleiben. Vorteile sind angesichts des erheblichen logistischen und finanziellen Aufwands und der überaus kritikwürdigen dauerhaften Herabstufung des rechtlichen Schutzniveaus nicht wirklich ersichtlich – abgesehen vielleicht von einer politisch gewollten "optische Hygiene", die das Erleben von Schutzsuchenden im Straßenbild im Inneren des Landes geringfügig reduziert, dafür aber menschenrechtliche Verbürgungen aufs Spiel setzt.
Exterritoriale "Transitzonen"
Das zweite Szenario der Einrichtung von "Transitzonen" an den Außengrenzen der EU hätte eine andere Qualität. Hier geht es darum, Schutzsuchenden das Überschreiten der EU-Außengrenzen gar nicht erst zu ermöglichen. Ähnliche "Auffanglager" hatte der frühere Bundesinnenminister Schily in Staaten Nordafrikas einrichten wollen. Die Kritik daran begann schon bei der Begrifflichkeit des "Lagers", bevor der sog. "Arabische Frühling" zu neuen politischen Konstellationen führte, die alte Partnerschaften mit Regimen Nordafrikas suspendierte. Die Idee blieb aber bestehen und suchte sich neue Begriffe.
Grundsätzlich untersagt ist den EU-Mitgliedstaaten nach Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention jedenfalls, Schutzsuchende ohne Prüfung der Gefährdung von Leben und Freiheit abzuweisen. Dieses Non-Refoulement-Prinzip hat auch Eingang ins europäische und deutsche Recht gefunden und ist unabdingbar.
Möglich ist jedoch die Einrichtung sog. "Hot Spots, wie sie die EU-Kommission derzeit vorantreibt. Geplant ist zunächst die Etablierung von elf zentralen Orten (Hot Spots) in Italien und Griechenland, wo ankommende Flüchtlinge schnell registriert und nach Stellung der erforderlichen Anträge auf die Mitgliedstaaten verteilt werden sollen. Neben anderen soll insbesondere die Grenzschutzagentur Frontex für Koordination und reibungslosen Ablauf sorgen.
In der Realität gelingt das oftmals nicht. Die vielfach dokumentierten, menschenunwürdigen Zustände am jüngst in Betrieb genommenen EU-Hotspot auf der griechischen Insel Lesbos lassen auch für weitere Hot Spots, "Transitzonen" oder anderweitige Auffanglager nichts Gutes ahnen. Zudem gibt es bislang nicht mal einen rechtlich oder politisch gesicherten Beschluss der Mitgliedstaten der EU zur Verteilung der Betroffenen. Der in Art. 80 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ausdrücklich niedergelegte Grundsatz der Solidarität in der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeit unter den Mitgliedstaaten im Bereich Asyl und Einwanderung findet ohnehin keine Beachtung.
So bleiben Transitzonen und Hot Spots nur neue Vokabeln für alte, menschenrechtlich kaum tragbare Konzepte.
Der Autor Dr. Timo Tohidipur ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Habilitand am Lehrstuhl für öffentliches Recht der Goethe Universität Frankfurt.
Dr. Timo Tohidipur, Transitzonen für Schutzsuchende: Neue Vokabel für eine alte Idee . In: Legal Tribune Online, 28.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17346/ (abgerufen am: 30.11.2023 )
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