Transitzonen für Schutzsuchende: Neue Vokabel für eine alte Idee

von Dr. Timo Tohidipur

28.10.2015

Die Diskussion um Transitzonen ist nicht neu – bloß wurden sie früher als "Auffanglager" bezeichnet. Rechtliche Garantien lassen sich dort selbst in der Theorie nur schwer verwirklichen, meint Timo Tohidipur. Von der Praxis ganz zu schweigen.

Die deutsche Diskussion über die Einrichtung von sog. "Transitzonen" klingt begrifflich zunächst eher harmlos, etwa nach einem kurzen Zwischenstopp auf einer Reise. Sie birgt aber nichts anderes als die alte Idee von extraterritorialen Auffanglagern für Schutzsuchende an deutschen Grenzen oder EU-Außengrenzen. Hier drohen rechtsstaatlich fragwürdig verkürzte Verfahren, deren schnelle Durchführung in Gegenden ohne geeignete Infrastruktur stattfinden, auf den Schultern von überfordertem Personal lasten werden und deren Kosten zudem unabsehbar sind.

Dies gefährdet die mühsam errungenen Rechtsgarantien des internationalen und europäischen Menschen- bzw. Flüchtlingsschutzes, die gerade Teil des in Art. 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) niedergelegten Wertesystems sind, auf welches die Staaten der EU sich sonst mit Vorliebe berufen.

Bislang nur Flughafentransit konkret geregelt

Der rechtliche Rahmen zur Errichtung von Transitzonen ist vage, aber doch vorhanden. In Deutschland spielt der Begriff "Transit" bislang vor allem im Aufenthaltsgesetz eine Rolle, nämlich bei den Vorschriften zum Flughafentransit, einem speziellen Verfahren nach Ankunft von Flüchtlingen auf dem Luftwege. In diesen, eher seltenen Fällen, findet eine erste Prüfung des Antrages auf Schutz in einem gesonderten Bereich statt, der zwar noch vor der offiziellen Einreise ins Land liegt, für den die deutschen Behörden aber gleichwohl hoheitlich zuständig sind.

Die Genfer Flüchtlingskonvention GFK kennt den Begriff der Transitzonen nicht, doch der Visakodex der EU und die Aufnahmerichtlinie erwähnen Transitzonen zum Teil auch ohne Bezug zum Flugverkehr. Am spezifischsten äußert sich die europäische Asylverfahrensrichtlinie (AsylverfRL, Richtlinie 2013/32/EU), deren Art. 43 insbesondere festlegt, dass Verfahren "an der Grenze oder in Transitzonen" zunächst ohne Einschränkung nach den üblichen rechtsstaatlichen Grundsätzen und Garantien der Asylverfahrensrichtlinie (Verweis auf Kapitel II der RL) stattfinden müssen. Eine deutliche Definition des Begriffs "Transitzone" enthält die Richtlinie zwar nicht, doch sie konturiert immerhin Rahmenbedingungen – eine Transitzone wäre also kein rechtliches Niemandsland.

Für die Beurteilung ihrer Zulässigkeit kommt es naturgemäß auf die praktische Umsetzung an. Grundsätzlich stehen hierzu zwei Modelle im Raum: Einerseits die Einrichtung von Transitzonen an den Grenzen Deutschlands, andererseits die Behandlung von Asylanträgen bereits an den Außengrenzen der EU.

Transitzonen an deutschen Grenzen

Für Transitzonen an der Grenze Deutschlands wird das Flughafenverfahren als Muster genannt. Es sieht vor, dass ein Asylsuchender im Transitbereich des Flughafens verbleibt, bis über die Erfolgsaussichten seines Antrages vorab entschieden wird. Das Bundesverfassungsgericht hatte hierzu jedoch vor knapp 20 Jahren betont, dass das Flughafenverfahren sich wesentlich vom regulären Verfahren unterscheide (v. 14.05.1996, Az. 2 BvR 1516/93).

Die Prüfung des Asylantrages innerhalb kürzester Zeit verstärke die ohnehin fragile Situation der Schutzsuchenden; zur psychisch und physisch belastenden Flucht kämen mangelnde Sprachkenntnisse, fremde kulturelle und soziale Gegebenheiten und unbekannte Behördenregeln und Verfahrensabläufe hinzu. Dies müsse durch hinreichend sachkundiges Personal, Dolmetscher und effektiven Rechtsbeistand kompensiert werden. Das Konzept des Flughafenverfahrens ist bis heute umstritten, es bleibt jedenfalls in der Gesamtschau eine Ausnahme. Durch die Übertragung dieses Verfahrens auch auf den Landweg würde die Ausnahme jedoch zur Regel werden.

Rechtliche Anforderungen im Asylverfahren

Die Asylverfahrensrichtlinie erlaubt den Mitgliedstaaten grundsätzlich ein im Regelfall auf vier Wochen begrenztes beschleunigtes Verfahren über Anträge auf internationalen Schutz in "Transitzonen", bevor eine Einreise erlaubt wird (vgl. Art. 43 Abs. 2 AsylverfRL). Dies kann gemäß Art. 31 Abs. 8 b der AsylverfRL insbesondere Menschen aus sog. "sicheren Herkunftsstaaten" betreffen, wo die Vermutung fehlender Schutzbedürftigkeit seitens der Antragsteller nur schwer entkräftet werden kann. Die Festlegung sicherer Herkunftsstaaten ergibt sich nach deutschem Recht aus Art. 16a Abs. 3 Grundgesetz (GG) i.V.m. § 29a Abs. 1 und 2 AsylVfG i.V.m. Anlage II.

Das von Deutschland ins Europarecht übertragene Konzept ist jedoch äußerst fragwürdig – so hat zuletzt das Verwaltungsgericht (VG) Oldenburg die Flüchtlingseigenschaft einer Schutzsuchenden aus dem "sicheren" Mazedonien anerkannt (VG Oldenburg Urt. v. 18.09.2015, Az. 6 A 32/15). Überdies hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und in der Folge auch mitgliedstaatliche Gerichte in Deutschland und Österreich Dublin-Rückführungen nach Griechenland und Ungarn wegen der dortigen menschenrechtlichen Situation für unzulässig erklärt (vgl. VG Berlin, Urt v. 15.01.2015, 23 L 899.14 A). Von wirklicher Sicherheit kann also nicht mal innerhalb der Mitgliedstaaten der EU in allen Fällen die Rede sein.

Zitiervorschlag

Dr. Timo Tohidipur, Transitzonen für Schutzsuchende: Neue Vokabel für eine alte Idee . In: Legal Tribune Online, 28.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17346/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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