WLAN-Betreiber sollen künftig nicht mehr für rechtswidrige Handlungen ihrer Nutzer im Rahmen der Störerhaftung verantwortlich sein. Paetrick Sakowski zu den kommenden Änderungen und einem drohenden Konflikt auf Ebene des EU-Rechts.
Vor fast einem Jahr sollte die Störerhaftung bereits entfallen. Dieser Versuch des Gesetzgebers erwies sich in der Folge aber als untauglich. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) schob ihr in der Entscheidung McFadden ebenfalls keinen Riegel vor. Nun aber soll die Störerhaftung für WLAN Betreiber endgültig fallen.
Zum Ende dieser Legislaturperiode werden noch einige lange vorbereitete und umstrittene Vorhaben vom Bundestag verabschiedet: die Ehe für Alle, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz und das dritte Gesetz zur Änderung des Telemediengesetzes (TMG). Hinter letzterem verbergen sich jene Paragraphen, welche die bestehende Rechtsunsicherheit im Zusammenhang mit öffentlich zugänglichem WLAN beseitigen sollen.
Ein entsprechender Entwurf lag bereits Anfang des Jahres vor, passierte aber erst an diesem Mittwoch den beratenden Ausschuss und wurde heute mit geringfügigen Änderungen vom Bundestag beschlossen. Nach § 8 Abs. 1 S. 2 TMG n.F. haften künftig Diensteanbieter, worunter nach Abs. 3 ausdrücklich auch WLAN-Betreiber fallen, bei rechtswidrigen Handlungen ihrer Nutzer grundsätzlich nicht auf Schadensersatz, Beseitigung oder Unterlassung. Etwas anderes gilt nach § 8 Abs. 1 S. 1 TMG n.F. nur, wenn sie selbst an der Rechtsverletzung beteiligt sind.
Mit dem Ausschluss des Unterlassungsanspruchs entfällt die Grundlage der Störerhaftung. Aus der Unterlassungspflicht hatten deutsche Gerichte die Pflicht abgeleitet, Schutzmaßnahmen gegen den Missbrauch durch Nutzer zu etablieren. Für privat genutzte Anschlüsse etwa verlangt der BGH einen Passwortschutz und die Belehrung minderjähriger Nutzer. Überzogene Anforderungen, wie dass private Anschlussbetreiber selbst ihre volljährigen Familienangehörigen belehren müssen, haben sich in der Rechtsprechung nicht durchsetzen können (BGH, Urt. v. 12.05.2016, Az. I ZR 86/15).
Die Rückkehr der Netzsperren
Die Abschaffung der Störerhaftung ist allerdings nicht vollständig. Zumindest in einem anderen dogmatischen Gewand lebt sie in § 7 Abs. 4 S. 1 TMG n.F. als Anspruch auf Sperrung von Inhalten fort. Danach sind Betreiber von WLAN-Zugängen dann zur "Sperrung der Nutzung von Informationen" verpflichtet, wenn Nutzer Rechte des geistigen Eigentums Dritter verletzen und diese "keine andere Möglichkeit [haben], der Verletzung [ihres] Rechts abzuhelfen".
Konkret muss der Betreiber dann technische Maßnahmen ergreifen - die Gesetzesbegründung nennt beispielsweise DNS-, IP- oder URL-Sperren oder Datenmengenbegrenzungen für die Nutzer -, damit konkrete Inhalte nicht aufgerufen werden können. Diesen Ansatz gab es bereits im Rahmen der Störerhaftung (BGH, Urteil vom 26.11.2015, Az. I ZR 174/14). Er wurde vom EuGH (Urt. v. 27.3.2014 – C-314/12 - UPC Telekabel) für europarechtlich zulässig erachtet.
2/2: Reichweite der Netzsperren noch offen
Neu ist, dass die hinsichtlich der zu treffenden Schutzmaßnahmen offene Störerhaftung nun auf Inhaltssperren verengt wird. Der Gesetzgeber stellt ausdrücklich klar, dass Passwörter und Nutzregistrierungen nicht mehr beansprucht werden können (§ 8 Abs. 4 TMG n.F.). Nur freiwillig können solche Maßnahmen weiter ergriffen werden.
Unter der neuen Rechtslage wird es entscheidend darauf ankommen, welche Anforderungen die Gerichte an das Sperren konkreter Inhalte stellen werden. Es ist damit zu rechnen, dass Rechteinhaber den ihnen einzig verbliebenen Anspruch möglichst umfangreich durchzusetzen versuchen werden. Kritiker befürchten daher, dass es zu einem "Overblocking" kommt, also der Gefahr, dass auch zulässige Inhalte regelmäßig "mitgesperrt" werden.
So kann etwa von Port- oder URL-Sperren auch legales Filesharing miterfasst werden. Die Gerichte müssen entscheiden, wann eine Inhaltssperre noch verhältnismäßig ist. Bei nur geringen Anteilen legaler Inhalte wird dies noch der Fall sein. Wann die Grenze erreicht ist und wie diese zu bestimmen ist, ist derzeit offen. Zeitliche Begrenzungen der Sperren können immerhin gewährleisten, dass ggf. gerichtlich angeordneten Änderungen des Inhalts Rechnung getragen wird.
Für Betreiber offener Netze hat der Gesetzgeber noch eine andere Art der Besserstellung vorgesehen. Anders als sonst bei zivilrechtlichen Auseinandersetzungen besteht kein Anspruch gegen den Betreiber auf Erstattung vor- und außergerichtlicher Kosten. Rechteinhaber können daher weder die Kosten ihrer Abmahnungen noch im Falle eines gerichtlichen Obsiegens ihre Anwaltskosten geltend machen. Einzig die Gerichtskosten und seine eigenen Kosten muss der Betreiber in einem solchen Fall tragen.
Neue Rechtsunsicherheit auf europäischer Ebene?
Neue unbestimmte Rechtsbegriffe führen naturgemäß zu Auslegungsschwierigkeiten. Wann Sperren "zumutbar und verhältnismäßig" sind, werden die Gerichte an Einzelfällen klären. Auch die Antwort auf die Frage, welche technischen Lösungen zur Gewährleistung von Sperren erforderlich und angemessen sind, wird sich in der Praxis zeigen.
Fundamentale Rechtsunsicherheit droht jedoch erneut aus europäischer Sicht. Der deutsche Gesetzgeber ist in der Ausgestaltung der Haftungsprivilegien für Netzbetreiber nämlich nicht völlig frei, weswegen die ersatzlose Streichung der Störerhaftung schon immer ein vom nationalen Gesetzgeber nicht zu verwirklichendes Ziel war.
Während die E-Commerce Richtlinie (Richtlinie 2000/31/EG) nämlich auch unionsrechtlich eine Privilegierung der Betreiber fordert, verlangt die Enforcement-Richtlinie (Richtlinie 2004/48/EG), dass Rechteinhaber ihre Rechte auch effektiv durchsetzen können. Der Passus in der Gesetzesbegründung zur 3. TMG-Novelle, die nicht erstattbaren vor- und außergerichtlichen Kosten könnten ja vom anonymen Nutzer beansprucht werden, wirken vor diesem Hintergrund zynisch.
Kern der europarechtlichen Auseinandersetzung wird sein, ob die Verengung der Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche auf einen Anspruch auf Inhaltssperren noch den Anforderungen an eine effektive Rechtsdurchsetzung genügt. Sollte der EuGH wieder mit der Materie befasst werden, wird er auch die einzelnen Grundrechtspositionen abzuwägen haben und beurteilen müssen, ob die Lösung des deutschen Gesetzgebers diese hinreichend berücksichtigt.
Für die Betreiber offener Netze bedeutet die neue Rechtslage trotz verbleibender Unwägbarkeiten einen großen Gewinn. Die Störerhaftung ist - wenn auch im Ergebnis nicht völlig verschwunden - doch zumindest gebändigt.
Paetrick Sakowski ist Rechtsanwalt bei CMS Hasche Sigle in Düsseldorf und berät Unternehmen bei allen Fragen des geistigen Eigentums, insbesondere im Patentrecht.
Paetrick Sakowski , Bundestag verabschiedet 3. TMG-Novelle: Abschaffung der Störerhaftung - diesmal richtig? . In: Legal Tribune Online, 30.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23333/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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