Bundesregierung geht über EU-Vorgaben hinaus: "Das Anti­ter­r­or­ge­setz führt das Straf­recht an seine rechts­staat­li­chen Grenzen"

von Hasso Suliak

09.10.2025

Die Bundesregierung hat Verschärfungen im StGB auf den Weg gebracht, damit Deutschland besser auf Bedrohungen durch Terrorismus und ausländische Spionage eingestellt ist. Bei Strafrechtlern sorgen einige Regelungen nun für massive Kritik.

Über Jahre hat Deutschland die Umsetzung der EU-Terrorismusrichtlinie in nationales Recht verschlafen. Geschehen sollen hätte dies eigentlich bis September 2018. Nach mehreren Aufforderungen durch die Kommission, drohte ein Vertragsverletzungsverfahren.

Am 1. Oktober hat das Bundeskabinett jetzt das "Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2017/541 zur Terrorismusbekämpfung und zur Anpassung des Strafrahmens bei geheimdienstlicher Agententätigkeit" beschlossen. Die Bundesregierung schlage darin "Anpassungen im Strafrecht" vor, wie es in der begleitenden Presseerklärung des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) heißt. Also alles ganz harmlos, nur ein paar "Anpassungen" und im Übrigen die Umsetzung einer Richtlinie?

Mit dem Entwurf macht die Bundesregierung nicht nur ihre Hausaufgaben für Brüssel, sondern reagiert auf Anschläge in jüngerer Zeit (Solingen, Magdeburg, Mannheim). Dabei hatten Terroristen jeweils Alltagsgegenstände wie Autos oder Messer genutzt. Bereits die Vorbereitung von Taten mit solchen Gegenständen soll künftig strafrechtlich verfolgt werden können. Erfasst werden soll auch die Einreise "ausländischer terroristischer Kämpfer" mit dem Ziel, in Deutschland eine terroristische Straftat zu begehen. Und schließlich wird der Strafrahmen des Spionage-Straftatbestandes heraufgesetzt.

Zur konkreten Umsetzung der Richtlinienvorgaben werden dabei insbesondere § 89a Strafgesetzbuch (StGB) und § 89c StGB geändert (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat bzw. Terrorismusfinanzierung). Doch die Bundesregierung geht laut Strafrechtlern in ihrem Entwurf an einigen Stellen in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise über die EU-Vorgaben hinaus. Der größte Aufreger: Ausgeweitet werden soll der ohnehin umstrittene Anti-Terror-Paragraf § 129a Strafgesetzbuch (StGB).

Versuch der Vorbereitung einer terroristischen Straftat künftig strafbar

Abschied nimmt der Entwurf zunächst vom Begriff der "schweren staatsgefährdenden Gewalttat", wie er sich u.a. im geltenden § 89a StGB findet. Dieser hatte sich in der Vergangenheit als rechtlich wenig praktikabel erwiesen. Neuer Anknüpfungspunkt ist künftig die "Vorbereitung einer terroristischen Straftat". Definiert wird diese in § 89a StGB – im Gleichlauf mit den §§ 89c Abs. 1 S. 2, 129a Abs. 3 StGB – durch einen massiv erweiterten Straftatenkatalog.

Weitere Voraussetzung ist die Verfolgung bestimmter terrorismusspezifischer Zwecke (z.B. Einschüchterung der Bevölkerung, Nötigung einer Behörde oder die Beseitigung sozialer Grundstrukturen eines Staates) und außerdem eine erhebliche Schädigungseignung der lediglich vorbereiteten Katalogtat. All diese Änderungen – wie auch eine neu hinzugekommene Strafbarkeit der bloßen Androhung terroristischer Straftaten – stünden noch im Einklang mit Art. 3 der EU-Richtlinie, erklärt Strafrechtsprofessorin Bettina Weißer.

Nicht unproblematisch hingegen findet die Direktorin für Ausländisches und Internationales Strafrecht an der Uni Köln die Einfügung etlicher neuer Versuchsstrafbarkeiten. Diese beziehen sich ihrerseits auf Vorbereitungshandlungen für eine terroristische Straftat, die Terrorismusfinanzierung und die "Anleitung zur Verwirklichung terroristischer Straftaten" (§ 91 StGB). Damit werde eine Vorfeldkriminalisierung betrieben, die rechtsstaatlich nicht unbedenklich sei, kritisiert Weißer im Gespräch mit LTO. Allerdings bleibe Deutschland auch hier nicht viel anderes übrig. Die Vorfeldverlagerungen der Strafbarkeit beruhten auf Art. 14 Abs. 3 der EU-Terrorismusrichtlinie, so dass die Bundesregierung bei der Umsetzung keinen Spielraum habe.

Versuchsstrafbarkeit in § 129a StGB: "Verfassungsrechtlich kaum legitimierbar"

Über die Vorgaben der EU hinaus geht die Bundesregierung jedoch an anderer Stelle des Entwurfes – im Zusammenhang mit dem Straftatbestand der Bildung von terroristischen Vereinigungen (§ 129a StGB). Kritiker sehen in diesem Paragrafen schon länger eine "unlautere Präventionsnorm", die eine Strafbarkeit bereits weit im Vorfeld der Vorbereitung konkreter strafbarer Handlungen begründet und unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung politischen Aktivismus unter Strafe stellt.

Jetzt kommt es hier zu einer weiteren Ausweitung der Strafbarkeit. So soll künftig in Absatz 5 auch der bloße Versuch der Bildung einer Terrorvereinigung strafbar sein. "Damit wird ohne Not eine verfassungsrechtlich kaum legitimierbare Kriminalisierung versuchter – auch vollkommen wirkungsloser – Unterstützungshandlungen eingeführt", meint Weißer.

Der Münchner Strafrechtler Prof. Mark Zöller teilt gegenüber LTO diese Kritik: Es sei bedauerlich, dass die Bundesregierung über die ohnehin weiten Vorgaben der EU-Terrorismusrichtlinie hinausgehe und sich damit teilweise unnötig auf verfassungsrechtlich unsicheres Terrain begebe. "Und ob die versuchte Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, z.B. wenn eine Geldzahlung abgefangen wird, wirklich strafwürdig und praktisch verfolgbar ist, darf getrost bezweifelt werden," so Zöller.

Bedenken kommen im Hinblick auf die Änderung des als "Gummiparagrafen" verschrienen 129a StGB auch von der Bundesrechtanwaltskammer (BRAK). Prof. Holger Matt, Vorsitzender des Strafrechtsausschusses der BRAK, weist darauf hin, dass im Falle eines Tatverdachts dann auch Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Strafprozessordnung (StPO) möglich würden. Matt plädiert dafür, die strengen EU-Vorgaben, die an dieser Stelle eigentlich nur die Terrorismusfinanzierung beträfen, nicht auf andere Bereiche wie eben den § 129a StGB auszuweiten: "Die präzise beschränkten Vorgaben der EU-Richtlinie in Art. 11 und 14 zur Strafbarkeit einer (versuchten) Terrorismusfinanzierung dürfen nicht dazu führen, dass generell das gesamte dogmatische System in § 129 a Abs. 5 StGB ausgehebelt wird und eine weitere generelle Vorverlagerung von Strafbarkeit stattfindet, durch die auch ersichtlich nicht strafwürdige Fälle erfasst würden."

"Wir entfernen uns gefährlich von einem Tatstrafrecht"

Neben dem Aufreger in § 129a StGB sieht das Gesetz weiter vor, dass § 89a Abs. 2 Nr. 2 StGB künftig auch Vorbereitungshandlungen für Anschläge mit gefährlichen Werkzeugen wie Messern und Kraftfahrzeugen erfasst. Aber auch hier ist einigen Strafrechtlern die gefundene Regelung zu weitgehend: "Bei der technischen Umsetzung hat man der Tatsache nicht ausreichend Rechnung getragen, dass auch ganz normale Alltagsgegenstände wie Haarbänder, Einmachgummis, Paketschnüre, Farbstifte, Getränkeflaschen oder Mülltüten im Einzelfall zumindest objektiv als gefährliche Werkzeuge eingestuft werden können", kritisiert Zöller.

Ihm pflichtet auch der Hamburger Strafrechtsprofessor Aziz Epik bei. In Kombination mit der Tathandlung des "Verwahrens" derartiger Werkzeuge führe die Neuregelung dazu, dass schon der bloße Gedanke daran, mit dem Schraubenzieher, den man schon Jahre besitze, eine Katalogtat zu begehen, den Tatbestand erfülle. Es sei keinerlei objektive Manifestation der Intention erforderlich, um eine Strafbarkeit zu begründen, kritisiert Epik. "Wir entfernen uns mit einer solchen Tatbestandsfassung gefährlich von einem Tatstrafrecht. In diesen Zeiten ist das höchst befremdlich." Die Bundesregierung gehe hier über das unionsrechtlich erforderliche Maß hinaus. Epik hat gerade gemeinsam mit seiner Potsdamer Kollegin Prof. Julia Geneuss seine fachlichen Bauschmerzen in einer längeren Abhandlung in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift für Rechtspolitik (Heft 7/2025) zusammengefasst.

Spionagetatbestand: "Strafrahmenanhebung ist echte Mogelpackung"

Nicht unbeanstandet bleibt auch die geplante Verschärfung des Straftatbestandes der geheimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99 StGB). Hier wird der Strafrahmen des Grundtatbestandes in Absatz 1 StGB angehoben, dem Täter droht künftig eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren (statt bisher Geldstrafe oder Gefängnis bis zu fünf Jahren).  

Die Strafrahmenanhebung, erläutert Strafrechtlerin Weißer, erfülle künftig bei entsprechendem Tatverdacht eine "Türöffnerfunktion" zu besonderen strafprozessualen Ermittlungsbefugnissen, etwa der Online-Durchsuchung nach § 100b StPO oder der akustischen Wohnraumüberwachung, § 110c StPO.  

Ihr Kollege Zöller hält die Strafrahmenanhebung daher für eine "echte Mogelpackung". Es sei ein offenes Geheimnis, dass damit lediglich der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen werde. Diese schließe die Weitergabe von personenbezogenen Daten von den Nachrichtendiensten an die Strafverfolgungsbehörden bei Straftaten der einfachen und mittleren Kriminalität faktisch weitgehend aus. "Damit zäumt man aber das Pferd von hinten auf. Stattdessen wäre man gut beraten, diesen veralteten Spionagetatbestand, der noch den Geist des Kalten Krieges atmet, an die aktuelle hybride Bedrohungslage anzupassen", meint er.

"Nicht Handlungen, sondern Vorsatz wird kriminalisiert"

Ernüchternd fällt schließlich das Resümee des Augsburger Strafrechtlehrers Prof. Michael Kubiciel zum Gesetzentwurf der Bundesregierung aus.

Der Entwurf führe das Strafrecht an seine – jedenfalls bislang geltenden - Grenzen. "Dies nicht nur in legalistischer Hinsicht mit teils schwer durchdringbaren, ineinander verschachtelten Vorschriften, sondern vor allem rechtsstaatlich und materiell." So kriminalisiere der Entwurf vielfach nicht mehr kriminelle Handlungen, sondern den Vorsatz dazu, etwa beim Versuch der Anstiftung, aber auch bei der Kriminalisierung der Vorbereitung von Straftaten mit gefährlichen Werkzeugen.

Kubiciel sieht den Gesetzgeber in einem Dilemma, aus dem es keinen einfachen Ausgang gebe: "Den Verzicht auf staatliche Interventionen im Vorfeld einer terroristischen Tat, wäre eine Option, die jedoch schwer vermittelbar erscheint. Die Ersetzung des Strafrechts durch Polizeirecht oder Sicherheitsrecht schützt zwar die Formen des Strafrechts, nicht aber den Einzelnen."

Ihren Gesetzentwurf hat die Bundesregierung für das parlamentarische Verfahren an den Bundesrat und den Deutschen Bundestag zur Beratung übersandt. Im Parlament könnte dieser in einer der nächsten Sitzungswochen auf die Tagesordnung kommen. Spätestens im Rahmen einer Sachverständigenanhörung dürften die kritischen Stimmen dann wieder laut werden.

Zitiervorschlag

Bundesregierung geht über EU-Vorgaben hinaus: . In: Legal Tribune Online, 09.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58347 (abgerufen am: 14.11.2025 )

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