"Natürlich sind wir in Gefahr, wir mischen uns schließlich in Streitigkeiten ein." Edre Olalia sagt das mit einer Selbstverständlichkeit, als gehörte es ganz offiziell zur Berufsbeschreibung des Anwalts. Gewissermaßen tut es das auch – zumindest für jene, die in seinem Heimatland, den Philippinen, die heiklen Mandate anpacken. An ihr Schicksal erinnern Kundgebungen am Freitag in Berlin und Essen.
Ein Gespräch mit Edre Olalia ist eine gewissermaßen surreale Erfahrung; fast droht man, verloren zu gehen in der Kluft zwischen Intonation und Inhalt seiner Aussagen.
Einmal sind da die Geschichten, die Olalia erzählt: Von der Kollegin, die sicherheitshalber jeden Tag einen anderen Weg zur Arbeit wählt. Von Dienstreisen, die man nur noch in Begleitung unternimmt und von Handys, die man lieber nicht einschaltet. Und von all jenen, bei denen diese Vorsichtsmaßnahmen nicht gereicht haben. Denen, die nachts attackiert wurden und morgens im Krankenhaus aufgewacht sind - wenn sie Glück hatten.
Olalia klingt, wenn er von diesen Vorfällen erzählt, die er nur als "Ablenkungen" bezeichnet, ernst, aber nicht verbittert. Nicht wie jemand, der auf das Mitleid seines Gegenübers hofft. Im Gegenteil, wenn er spricht, dann mit sportlichem Elan, wie der Außenseiter vor dem Boxkampf, der als einziger an den eigenen Sieg glaubt; auch wenn der Gegner mit Vorliebe unter die Gürtellinie schlägt und der Kampf über deutlich mehr als zwölf Runden gehen wird.
Zerrissenes Land, verbissener Kampf
Olalia ist Mitglied der National Union of People's Lawyers (NUPL), einer philippinischen Anwaltsvereinigung, die sich vor allem für die Schwachen stark macht: Farmer und Fischer, Alte und Kranke, Studenten und Migranten. Sie alle haben einen schlechten Stand in dem Land, dessen politischer Kurs trotz formell bestehender Demokratie vor allem von einer Handvoll ultrareicher Familien erdacht und von Polizei und Militär erzwungen wird.
Die innenpolitische Lage ist bescheiden bis desolat, je nachdem, welchen Maßstab man anlegt: Auf der einen Seite muslimische Rebellen- und Terrorgruppen, auf der anderen eine korrupte Herrscherkaste, die vor allem am Halten und Verwalten der eigenen Macht interessiert ist. Dazwischen läuft eine weitgehend verarmte Bevölkerung Gefahr, im Spannungsgefüge zerrieben zu werden, wenn sie nicht stillhält.
Natürlich sind (Menschrechts-)Anwälte nicht die alleinigen Leidtragenden dieser Situation. Auch andere Berufsgruppen, besonders Journalisten, werden kurzerhand vom Aktivisten zum Extremisten und damit zum Feind umdeklariert. Die Aufstandsbekämpfungsgesetze des Landes machen es möglich, sie verleihen weitgehende Freiheiten.
Umgekehrt ist nicht alle Gewalt, die sich gegen Anwälte richtet, politisch motiviert: Von den 41 Anwälten, die seit 2001 im Land ermordet wurden, waren nur 22 Prozent im Bereich der Menschenrechte tätig. Die Zahl ist dennoch beträchtlich, wenn man bedenkt, dass gerade einmal 0,5 Prozent der philippinischen Anwaltschaft überhaupt derartige Mandate behandelt. Und sie wird noch beträchtlicher, wenn man die nicht-tödlichen Angriffe einbezieht: Hier waren nach Zahlen der NULP in 76 Prozent aller Fälle Menschenrechtler betroffen.
85 Prozent der Täter kamen von Militär oder Polizei
Die Täter konnten in über der Hälfte aller Fälle nicht ermittelt werden; wo dies gelang, entstammten sie mit großer Mehrheit (65 Prozent) dem Militär, zum zweitgrößten Teil der Polizei (20 Prozent). Nicht nur für Olalia ist klar, dass die Regierung der Philippinen den Taten zu lasch nachgeht. Auch internationale Beobachter wie Hans Gaabeek, der Vizepräsident der European Democratic Lawyers (EDL), oder Thomas Schmidt, der Generalsekretär der European Association of Lawyers for Democracy and World Human Rights (ELDH), bestätigen, dass es nur in wenigen Fällen zu Konsequenzen kam, die zudem oft den Eindruck von Bauernopfern erweckten. Wo im Einzelfall die Grenze zwischen inkompetenter Verfolgung, stillschweigender Duldung oder gar ausdrücklicher Anordnung der Verbrechen verläuft, lasse sich kaum mit Bestimmtheit sagen.
Mit dem "Tag des bedrohten Anwalts" am 23. Januar wollen die Vereinigungen von Schmidt und Gaasbeek sowie weitere Beteiligte ein Bewusstsein wecken für die teils katastrophalen Bedingungen, unter denen ihre Kollegen in anderen Ländern arbeiten müssen. Ab 14 Uhr findet eine Kundgebung vor der philippinischen Botschaft in Berlin, ab 12 Uhr eine vor dem philippinischen Konsulat in Essen statt.
In früheren Jahren standen Kolumbien, die Türkei oder Spanien im Fokus der Aktion, für das laufende Jahr waren auch (Weiß-)Russland und Honduras im Gespräch. Den Ausschlag für die Philippinen gab die bereits seit Jahrzehnten schlechte und unter der seit 2010 amtierenden Regierung von Benigno Aquino III. trotz gegenteiliger Versprechen sogar noch weiter verschlechterte Lage im Land.
Anwälte als Widerstandswall gegen das Unrecht
Der Fokus speziell auf Anwälte hat neben einem gewissen berufsständisch vermittelten Zusammenhalt durchaus auch strategische Gründe: In Nationen, die irgendwo zwischen Rechts- und Unrechtsstaat umhertaumeln, ist es gerade eine funktionierende Justiz und sind es mutige Anwälte, die den Ausschlag in Richtung Rechtsstaat geben können. Gelingt es umgekehrt, die Juristen mundtot zu machen, ist damit oft der letzte Widerstand gegen die Durchsetzung auch des größten Unrechts überwunden.
Und nicht alle sind mit Olalias stoischer Entschlossenheit gesegnet: Gerade unter den jungen Juristen des Landes werde es schwerer, Begeisterung für Menschenrechte zu wecken, sagt er. Sie wollen ihre Kanzlei nicht im Sarg verlassen. Auch das ist verständlich.
Was die Möglichkeiten grundlegender Veränderung betrifft, herrscht bei den Organisatoren des Tags des bedrohten Anwalts eher Zurückhaltung als Optimismus: Man müsse eben der stete Tropfen sein und hoffen, dass der Stein schon irgendwann nachgebe. Im Kleinen ist Olalia sich jedoch sicher, dass die Kritik durch Regierungen und NGOs auch heute schon Früchte trägt. "Die Morde in unserem Land hören deshalb nicht auf – aber sie werden auch nicht ganz so leichtfertig begangen. Es hilft, wenn die Verantwortlichen wissen, dass sie beobachtet werden. Ohne die internationale Aufmerksamkeit hätte es vielleicht hunderte weitere Tote gegeben, vielleicht tausende."
Constantin Baron van Lijnden, Tag des bedrohten Anwalts 2015: "Wenn wir aufgeben, haben sie gewonnen" . In: Legal Tribune Online, 22.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14459/ (abgerufen am: 08.12.2023 )
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