Nach Sturz von Baschar al-Assad: Es drohen keine Abschie­bungen nach Syrien

von Tanja Podolski

12.12.2024

Das Assad-Regime in Syrien ist nach jahrzehntelangem Terror gestürzt. Noch im ersten Jubel kommen die Forderungen nach Abschiebungen. Was also bedeutet der Umsturz für Menschen aus Syrien in Deutschland?

Die ersten Rufe kamen wenige Stunden nach dem Sturz des diktatorischen Assad-Regimes in Syrien: Jens Spahn (CDU) regte 1.000 Euro Handgeld und Charterflüge für Menschen aus Syrien an, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt forderte eine "Rückkehr-Roadmap" zur Unterstützung der Heimkehr. Auch CSU-Chef Markus Söder (Jurist*) forderte die Überlegung, "wie eine stärkere Rückführung" möglich sei. Der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Alexander Throm (CDU, Volljurist), möchte prüfen lassen, ob der Schutzstatus nicht entfalle, sagte er dem Handelsblatt, die Lage in Syrien habe sich ja "grundlegend geändert"

Allerdings berichtete bereits am Mittwoch die ARD-Korrespondentin Natalie Amiri auf der Plattform X von dem neu berufenen Justizminister Syriens, Shadi Alwaisi. Dieser habe mitgeteilt, dass es keine Richterinnen mehr geben werde und die Gerichte nur noch von Männern geleitet würden. **Den Tweet hat die Journalistin inzwischen gelöscht, das Statement stammte offenbar nicht von ihm, teilte sie tags drauf als Grund mit. Auch diesen korrigierenden Tweet löschte sie später. Was also bleibt ist Ungewissheit, wie das Land nach jahrzehtelangem Terror und Bürgerkrieg nun aufgebaut wird  - wenige Tage nach dem Sturz des Regimes ist die Lage vor Ort unübersichtlich.

Wie also ist die rechtliche Lage für die Menschen, die vor dem Terrorregime aus Syrien nach Deutschland geflüchtet waren?

Menschen aus Syrien führen einige deutsche Statistiken an: Aus diesem Land kommen seit dem Jahr 2014 die meisten in Deutschland Schutzsuchenden. Aus Syrien stammen auch die meisten Eingebürgerten. Zudem steht das Land auch im Jahr 2024 an erster Stelle der Herkunftsländer aller Schutzsuchenden mit einem Anteil von 33,4 Prozent aller Erstanträge.

Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gegenüber LTO hielten sich zum Stand 31. Oktober 2024 insgesamt 974.136 syrische Staatsbürger:innen in Deutschland auf. Mehr als Zweidrittel davon sind laut statistischem Bundesamt "Schutzsuchende", also Personen, die aus humanitären Gründen Schutz suchten. Möglicher humanitärer Schutzstatus sind die Anerkennung als "Flüchtling" gem. § 3 Asylgesetz (AsylG) oder als "subsidiär Schutzberechtigte" (§ 4 AsylG). Hinzu kommt der in der Regel kaum vergebene Status des Asylberechtigten nach Art. 16a Grundgesetz (GG). 

Von den syrischen Staatsbürgern in Deutschland sind laut BAMF 5090 als Asylberechtigte (Art. 16a GG) anerkannt. Die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 AsylG haben 321.444 Personen. Subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG 329.242 Menschen. Hinzu kamen nach Angaben der Bundesregierung vom Sommer 18.619 Kontingentflüchtlinge, §§ 23, 24 Aufenthaltsgesetz (AufenthG, Stand Juni 2024)), andere Aufenthaltstitel bestehen etwa durch den Familiennachzug.

Die Gesamtschutzquote für Syrien lag laut BAMF bei den Erst- und Folgeanträgen allein im Jahr 2024 bei 83,6 Prozent (91.160 Entscheidungen). 

Nicht entschieden waren mit Stand vom 30. November 2024 die Asylverfahren von 47.270 Menschen aus Syrien (21,7 Prozent aller Verfahren). 

Dem Schutzstatus folgt ein Aufenthaltstitel, um sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten zu dürfen – insgesamt gibt es sieben Aufenthaltstitel, einer davon ist die für die Schutzsuchenden vor allem relevante so genannte Aufenthaltserlaubnis, §§ 22 ff. AufenthG (insbes. §§ 25, 26 AufenthG). Sie wird ausschließlich befristet erteilt. Asylberechtigte (Art. 16a GG), Flüchtlinge (§ 3 AsylG) und subsidiär Schutzberechtigte (§ 4 AsylG) erhalten zunächst eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis, § 25 AufenthG. 

Liegt kein Schutzstatus, sondern lediglich ein Abschiebungsverbot vor, wird die Aufenthaltserlaubnis in der Regel auf ein Jahr befristet, § 25 Abs. 3 AufenthG.

Nicht als Aufenthaltstitel gilt die so genannte Aufenthaltsgestattung. Diese erhalten die Antragstellenden während des laufenden §§ 55 Abs. 1 AsylG.

Von Menschen aus Syrien haben einige nach vielen Jahren des Lebens in Deutschland die persönliche Entscheidung getroffen, bleiben zu wollen und sich dem Verfahren einer Einbürgerung unterzogen: Im Jahr 2023 wurden laut Statistischem Bundesamt in Deutschland 75.485 Personen aus Syrien eingebürgert. Davon waren 47.995 Männer und 27.490 Frauen. 

Viele dieser Menschen seien in den Jahren von 2014 bis 2016 nach Deutschland gekommen und erfüllen inzwischen vermehrt die Voraussetzungen für eine Einbürgerung, so das Bundesamt. Dazu zählt unter anderem eine Mindestaufenthaltsdauer von in der Regel acht Jahren. Die Menschen müssen unter anderem gute Deutschkenntnisse haben und in der Lage sein, selbst für ihren und den Unterhalt von Familienangehörigen zu sorgen. 

Durch die Einbürgerung erwerben die Personen die deutsche Staatsangehörigkeit. Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit können nicht abgeschoben werden. 

Wenn kein Aufenthaltstitel und keine -gestattung besteht, hat ein Ausländer eine Ausreisepflicht, § 50 AufenthG. Diese führt allerdings nicht unmittelbar zur Abschiebung, denn auch das nicht-Vorliegen von Schutzberechtigungen zieht nicht zwangsläufig eine Ausweisung samt Abschiebung nach sich. 

Denn nach Prüfung der Schutzberechtigungen folgt im Asylrecht die Prüfung, ob ein Abschiebehindernis vorliegt. Hintergrund dessen ist, dass eine Abschiebung ausgeschlossen ist, wenn einem Menschen im Herkunftsland die Todesstrafe, Folter oder die Gefahr für Leib, Leben oder die Freiheit droht, § 60 AufenthG. 

Wird die Abschiebung vorübergehend ausgesetzt, so ist der Ausländer geduldet, § 60a AufenthG. Die Ausreisepflicht bleibt allerdings bestehen, so dass die Abschiebung durchgeführt werden kann, sobald das Abschiebungshindernis weggefallen ist. Auf den Wegfall folgen Ausweisung und Abschiebung. Die Ausweisung ist dabei der das Recht zum Aufenthalt beendende Verwaltungsakt, die Abschiebung die tatsächliche Umsetzung der Ausreisepflicht.

Das BAMF, als für das Asylverfahren zuständige Behörde, könnte also noch zusammen mit einer ablehnenden Asylentscheidung die Ausreiseaufforderung erlassen. Der Vollzug einer Abschiebungsandrohung liegt jedoch bei den Bundesländern, also konkret den regionalen Ausländerbehörden. Einer Abschiebung muss aber immer die Entscheidung in dem Asylverfahren vorausgehen.

Zu so einer Entscheidung wird es derzeit nicht kommen. Denn von sich aus wird das BAMF aktuell keine Entscheidungen zu Menschen aus Syrien treffen, in denen es auf die Lage in Syrien ankommt. Das hat die Behörde am Montag mitgeteilt. Die Entscheidungen der Antragstellenden würden zurückgestellt, so das BAMF. Die Lage in Syrien werde beobachtet, sie sei "nach dem Sturz des Assad-Regimes außerordentlich dynamisch, unübersichtlich und schwer zu bewerten". Zurzeit sei nicht vorhersehbar, "ob die aktuellen Entwicklungen zu Fluchtbewegungen in der Region oder aus der Region hinausführen".

Diese Mitteilung dürfte jedoch Überstellungen in andere EU-Länder nach den Dublin-Regeln nicht betreffen. "Auch der Familiennachzug für Menschen mit einem Schutzstatus dürfte nicht ausgesetzt sein", so Constantin Hruschka, Professor für Sozialrecht an der EH Freiburg gegenüber LTO. Denn das Recht auf Familiennachzug bestehe auch, wenn die Familienmitglieder keinen eigenen Verfolgungsgründe geltend machen könnten – die Lage in Syrien ist in diesen Fällen also nicht entscheidend", so der Migrationsrechtsexperte. 

Die Aufenthaltserlaubnis der in Deutschland lebenden Menschen aus Syrien ist in aller Regel befristet. "Bis 2023 gab es nach Ablauf der Frist eine Regelüberprüfung, doch inzwischen erfolgt die Prüfung nur noch, wenn die Menschen etwa einen Antrag auf eine Niederlassungserlaubnis bei der Ausländerbehörde stellen oder wenn das BAMF Kenntnis von Umständen oder Tatsachen erhält, die einen Widerruf rechtfertigen könnten", sagt Constantin Hruschka. Und weiter: "Nur in diesen Fällen muss das BAMF innerhalb des Verfahrens mitteilen, ob es in Bezug auf den Schutzstatus ein Widerrufsverfahren einleitet." Der Änderung der Regelüberprüfung ging voraus, dass die Menschen für die Niederlassungserlaubnis deutlich strengere Anforderungen als zuvor erfüllen müssen.

"Wird also jetzt ein Antrag auf Niederlassungserlaubnis gestellt, müsste das BAMF prüfen, ob die Gefährdungslage im Syrien weggefallen ist", so Hruschka. In diesem Fall wäre also die Sicherheitslage in Syrien entscheidend. Aktuell könnte man nach der eigenen Mitteilung durch das BAMF daher davon auszugehen, dass die Behörde diese Mitteilung nicht abgeben wird. "Da das BAMF aber nur feststellen müsste, ob die Gefährdungslage beendet ist, was aktuell nicht mit der notwendigen Sicherheit zu prognostizieren ist, ist das Vorgehen in einem solchen Fall nicht konkret abschätzbar", so Hruschka.

Das BAM teilte dazu auf LTO-Anfrage mit: "Die instabile Lage in Syrien lässt derzeit keine Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse zu, die Grundlage für einen Widerruf der gewährten Schutzzuerkennungen sein könnten."

Den Menschen droht Hruschka zufolge derzeit jedenfalls keine Abschiebung nach Syrien. Zudem sei in der ungewissen Lage im Land auch noch lange nicht entschieden, wie es mit dem Schutzstatus für Menschen aus Syrien künftig aussehe. 

Zuletzt hatte das Oberverwaltungsgericht NRW in dem Fall eines Straftäters aus Syrien entschieden, dass in dem Land kein Bürgerkrieg mehr herrsche, ein pauschaler subsidiärer Schutz also nicht mehr erteilt werden müsse (Urt. v. 16.07.2024, Az. 14 A 2847/19.A)

"Der Europäische Gerichtshof (EuGH) fordert für eine Abschiebung eine dauerhafte und nachhaltige Veränderung der Strukturen im Herkunftsland", betont Hruschka. Nötig sei nach dem EuGH, dass diese Veränderungen dauerhaft und nicht nur vorübergehend sind (Abdullah-Entscheidung, EuGH, Urt. v. 02.03.2010, Az. C-175/08) und dass effektiver Schutz im Herkunftsland durch einen staatlichen oder quasistaatlichen Akteur verfügbar ist (OA-Entscheidung, EuGH, Urt. v. 20.01.2021, Az. C-255/19). Und auch dann – das dürfe man im Asyl- und Aufenthaltsrecht nie vergessen – ist immer noch eine Prüfung der Situation im jeweiligen Einzelfall erforderlich. 

Hruschka ist sich daher sicher: "Eingebürgerte und Syrer:innen mit einem Aufenthaltsstatus in Deutschland - also die große Mehrheit aller Personen mit syrischen Wurzeln - müssten sich keine Sorgen über eine drohende Abschiebung machen". 

An den Verwaltungsgerichten sind noch immer viele Klagen von Geflüchteten anhängig, meist sind es Verbesserungsklagen, um vom Status der subsidiären Schutzberechtigung zum besseren Status des Flüchtlings zu kommen.

"Derzeit hat der vom BAMF mitgeteilte Entscheidungsstop auf anhängige Verfahren keine Auswirkungen", teilte Dr. Nicola Haderlein, Pressedezernentin und Vizepräsidentin des VG Düsseldorf auf LTO-Anfrage mit. Das VG führe weiterhin mündliche Verhandlungen durch und treffe Entscheidungen. "Die hier eingereichten Klagen sind ja sog. Verbesserungsklagen, die auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus (§ 3 AsylG) gerichtet sind. Da das BAMF den syrischen Antragstellern in allen anhängigen Erstverfahren bislang bereits einen Schutzstatus, nämlich den subsidiären Schutz (§ 4 AsylG), zugesprochen hat, sind die aktuelle humanitäre Lage, die Frage, ob der Bürgerkrieg beendet ist oder ähnliche tagesaktuelle Fragestellungen für die Gerichtsverfahren nicht von Belang", so Haderlein. Sofern Kläger eine politische Verfolgung durch das bisherige Assad-Regime geltend gemacht hätten, dürfe dieser Vortrag nunmehr im Regelfall für sich alleine keinen Erfolg mehr haben, d.h. nicht zur Anerkennung als Flüchtling führen können. In den Fällen bleibt zwar die Verbesserungsklage erfolglos, der subsidiäre Schutz wird bei der aktuellen Lage jedoch bestehen bleiben.

Haderlein geht davon aus, dass sich "die Zahl der neu eingehenden Verfahren infolge des Entscheidungsstopps des BAMF reduzieren" dürfte.

*Korrektur, 12.12.04, 12.52 Uhr: hier stand zunächst, Söder sei Volljurist. Er hat jedoch nur das erste Staatsexamen abgelegt (tap).
**Satz ergänzt am 12.12.24, 13.17 Uhr (tap)

Zitiervorschlag

Nach Sturz von Baschar al-Assad: . In: Legal Tribune Online, 12.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56094 (abgerufen am: 20.01.2025 )

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