Die westlichen Staaten haben beschlossen, Russland aus dem Zahlungssystem Swift auszuschließen. Auch die Bundesregierung hat nach Zögern zugestimmt. Zahlungsverkehrsrechtler Jörg Etzkorn über Chancen und Risken einer harten Sanktion.
Hinweis: Dieses Interview wurde bereits am 25. Februar 2022, also kurz vor dem Beschluss, Russland von Swift auszuschließen, geführt.
LTO: Herr Dr. Etzkorn, Swift ("Society for Worldwide Interbank Telekommunikation") ist eine genossenschaftlich organisierte Gesellschaft, die dem EU-Recht unterworfen ist. Wäre ein Ausschluss Russlands aus dem Zahlungsverbund "von jetzt auf gleich" so ohne weiteres möglich? Gibt es da Übergangsfristen oder auch Rechtsbehelfe?
Dr. Jörg Etzkorn: Diese Frage richtet sich nach belgischem Gesellschaftsrecht. Soweit der Board von Swift hier nicht alleine handlungsfähig ist, kann er die genossenschaftliche Mitgliederversammlung einberufen und beschließen lassen. Hier haben die nichtrussischen Mitglieder eine überwältigende Mehrheit und eine Entscheidung dürfte sehr schnell gehen.
Rechtsmittel gegen eine Mitgliederversammlung der Genossen oder eine Hauptversammlung haben bekanntlich kaum Aussicht aus Erfolg.
Der Rauswurf Russlands aus Swift wird in der Finanzwelt als "nukleare Option" bezeichnet. Wie sinnvoll wäre denn eine solche drakonische Maßnahme?
Sie wäre hochwirksam. Ein Ausschluss Russlands aus dem System, an das mehr als 11.000 Banken international angedockt sind, wäre eine äußerst sinnvolle Ergänzung zu bereits beschlossenen Sanktionen der EU und würde dem System Putin sehr weh tun.
"Deutliche Nebenwirkungen"
Es gibt Warnungen, ein solcher Ausschluss hätte massive, unerwünschte Nebenwirkungen? Welche könnten das sein?
Es gäbe deutliche Nebenwirkungen, wirtschaftliche wie politische. Denn üblicherweise folgen auf Sanktionen bekanntlich ähnlich gelagerte Gegensanktionen. Präsident Putin hat derartiges ja auch bereits angekündigt.
Für einen Ausschluss aus Swift gibt es allerdings keine wirkungsähnliche Gegenmaßnahme. Auf russischer Führungsseite dürfte eklatant das Gefühl verstärkt werden, "ungerecht" behandelt und ausgestoßen zu werden. Dagegen spricht aus meiner Sicht nun nichts.
Inwieweit das Risiko besteht, das Putin auf die Maßnahme seine militärische Aggression – auch gegenüber anderen Staaten – ausweitet, darüber möchte ich lieber nicht spekulieren.
"In der Ukraine kommt Zögern nicht gut an"
Eine Entscheidung der EU zu Swift kam bisher u.a. wegen der Haltung Deutschlands nicht zustande. Jedoch hat Bundeskanzler Olaf Scholz die Maßnahme nicht kategorisch ausgeschlossen, sondern will sie sich aufsparen, "für eine Situation, wo es notwendig ist, auch noch andere Dinge zu tun". Ist das Zögern riskant, also könnte Russland jetzt Vorkehrungen treffen, um Folgen eines späteren Ausschlusses "abzufedern"?
Zunächst einmal: Swift handelt nicht aufgrund von EU- oder nationalen Beschlüssen, auch wenn es natürlich politischen Einfluss gibt.
Und zu Ihrer Frage selbst: Nein, eine Alternative zu dem weltweit agierenden Swift-System gibt es nicht, es ließe sich auch nicht ohne weiteres, schon gar nicht auf die Schnelle, aufbauen.
Um noch ein paar Sanktions-Pfeile im Köcher zu haben, könnte ein Zuwarten möglicherweise politisch Sinn machen. Andererseits kommt die zögerliche Haltung in der Ukraine gar nicht gut an, zumal es nicht danach aussieht, dass sich Putin von den bereits angekündigten Sanktionen irgendwie beeindrucken lässt.
"Gaslieferungsverträge bleiben wirksam"
Bundesfinanzminister Christian Lindner sagte in der Sendung "Maischberger", bei einem Ausschluss Russlands bestehe "eine hohe Gefahr", dass "Deutschland nicht mehr mit Gas, nicht mehr mit Rohstoffen versorgt wird". Wieso hängen diese vertraglichen Verpflichtungen so eng mit einem Zahlungssystem zusammen?
Ein Ausschluss von Swift würde nicht nur die Möglichkeiten russischer Wirtschaftsteilnehmer erheblich erschweren, sondern auch die derjenigen, die ihrerseits ein Interesse haben, mit russischen Gesellschaften Geschäfte zu betreiben und den Zahlungsverkehr hierzu abzuwickeln. Gaslieferungsverträge blieben aber dennoch wirksam, nur deren Begleichung würde schwieriger.
Der Bundesregierung wird angesichts ihrer Zögerlichkeit auch vorgeworfen, sie wolle Rücksicht auf die deutschen Banken nehmen, die ansonsten auf ihren Krediten sitzen bleiben würden.
Ich sehe diese Verbindung nicht. Kredite deutscher Banken an russische Gesellschaften wären unberührt von der Erschwerung des Zahlungsverkehrs, deren Werthaltigkeit bestimmt sich (unverändert) nach der Bonität der russischen Kreditnehmer. Dass Zahlungen zu Zins- und Fälligkeitsterminen schwieriger werden, ändert daran nichts.
"Nationale Zahlungssystem keine Alternative zu Swift"
2014 hatte Russland einmal berechnet, dass die Abkopplung von Swift die russische Wirtschaftsleistung um fünf Prozent schrumpfen lassen und zu einem passiven Kapitalabfluss führen würde. Seither hat das Land wohl mit dem System SPFS ein Alternativsystem entwickelt. Lässt sich damit einiges auffangen?
Nein, das ist keine wirksame Alternative, auch auf mittlere oder längere Sicht nicht. Das russische SPSF ist ein System, das größenordnungsmäßig in keiner Weise mit Swift vergleichbar ist, es wickelt ganz überwiegend nationale Zahlungen ab. Ähnliche (nationale) Systeme gibt es auch etwa in den USA, in England oder der Schweiz, ohne dass diese aber eine solche internationale Bedeutung hätten. Eine "Internationalisierung" von SPSF fände nur statt, wenn und insoweit ausländische Banken bereit wären, diesem System beizutreten, was für westliche Banken derzeit aber auszuschließen ist.
Befürchtet wird, dass ein Swift-Ausschluss Russlands dazu führen könnte, dass Russland und China noch enger zusammenrücken und der eurasische Wirtschaftsraum gestärkt wird. Die Chinesen verfügen mit CIPS wohl ebenfalls bereits über eine Alternative.
Für das chinesische CIPS gilt das gleiche wie für das russische SPSF. Aber selbst eine chinesisch-russische Zusammenarbeit über das System CIPS würde nur den Zahlungsverkehr beider Länder untereinander abwickeln. Es wäre keinerlei Ersatz für Swift.
"Wirksamste Maßnahme, die nur schwer zu toppen ist"
Ein Argument gegen den Swift-Ausschluss Russlands lautet schließlich, dass dies auch Folgen auf den innerrussischen Handel hätte und dann auch die russische Bevölkerung hart treffen würde. Ist das richtig?
Nein, das trifft nicht zu. Man kann zwar auch rein nationalen Zahlungsverkehr über Swift abwickeln, nötig ist Swift dafür aber nicht. Es gibt ja in Russland das bereits genannte SPSF, über das der nationale Zahlungsverkehr läuft und weiterlaufen kann.
Gibt es ggf. zielgenauere Maßnahmen, die das Finanzsystem Putins härter treffen würden?
Der Ausschluss von Swift ist eine der wirksamsten Maßnahmen, die nur schwer zu toppen ist.
Aber natürlich gibt es auch Maßnahmen, die in eine ähnliche Richtung gehen und ebenfalls Sinn ergeben: In New York existiert z.B. seit langem ein effizientes Banken-Clearingsystem namens CHIPS. Würde man den Zahlungsverkehr von und nach Russland hiervon komplett ausnehmen, wäre auch dies für Russland von großem Nachteil.
Doch auch wenn diese Maßnahme ergriffen würde: Eine vollwertige Alternative zum Swift-Ausschluss stellt dies aber auch nicht dar.
Dr. Jörg Etzkorn ist Rechtsanwalt im Kammerbezirk Bamberg. Er hat zum Thema Swift promoviert und immer wieder zu Rechtsfragen des internationalen elektronischen Zahlungsverkehres publiziert. Etzkorn hat die Rechtsabteilungen diverser Banken und Versicherungen geleitet. Zuletzt war er Chief Compliance Officer und Chefjurist bei der Versicherungsgruppe HUK Coburg.
Rauswurf Russlands aus dem Zahlungsverbund Swift: . In: Legal Tribune Online, 25.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47658 (abgerufen am: 12.12.2024 )
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